Leona mied Kochabende, verglich die Kalorien ihrer Speisen mit denen der Mitbewohnerin. Lange verschwieg sie ihre Essstörung – bis sie sich nicht mehr verstecken konnte.
Von Nelly Ritz
Gemeinsames Abendessen in einer Freiburger WG. Leona Kringe nimmt sich einen Pfannkuchen, bedeckt ihn mit Spinat, Pilzen, Tofu. Neben ihr, ganz in Schwarz, Krankenpfleger Till, der sich als "WG-Opa" vorstellt. Gegenüber sitzen Julia, die Masterstudentin, und Jonas, der Ethnologe, die beiden sind ein Paar. Vor ein paar Monaten haben sich die vier zusammengesetzt und überlegt, wie sie ihr Zusammenleben gestalten wollen. An diesem Abend erzählte Leona von dem, was sie über 13 Jahre lang vor anderen Mitbewohner:innen verschwieg: Magersucht.
Nach Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erkranken durchschnittlich etwa 16 von 1.000 Menschen in Deutschland einmal in ihrem Leben an Magersucht. Einer Erhebung der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse zufolge leben rund 67 von 1.000 Menschen ab 14 Jahren in Deutschland in einer Wohngemeinschaft. Die beiden Statistiken lassen sich nicht vergleichen, sie verwenden verschiedene Bezugsgrößen und betrachten unterschiedliche Zeiträume. Zwischen dem Leben in einer WG und einer Essstörung besteht kein Zusammenhang. Aber: Es schließt sich auch nicht aus. Es kann sein, dass Menschen, die schon lange in einer Wohngemeinschaft leben, aus bestimmten Gründen eine Essstörung entwickeln. Oder dass Menschen, die schon lange mit einer Essstörung leben, in eine Wohngemeinschaft ziehen. So wie Leona Kringe. Wie geht gemeinsames Essen, wenn eine Person am Tisch Probleme damit hat? Wie lebt man zusammen, wenn die Bedürfnisse der einen die Triggerpunkte der anderen sind?
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