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Franck Ribéry - Zu Hause ist er nicht daheim

Mal Witz-, mal Raufbold; für die einen ein Held, für die anderen ein Problemfall: FranckRibéry gibt ein kompliziertes Zerrbild ab. Der Angreifer des FC Bayern – Europas Fussballer des Jahres – fühlt sich in München richtig wohl. In seiner echten Heimat Frankreich begegnet man ihm noch immer mit Misstrauen.

Es gibt Momente, da wirkt er unbeholfen. Er, der den aktuell wohl besten Klub der Welt auf dem Feld anführt, Europas Fussballer des Jahres, wirkt verlegen. Für Franck Ribéry ist es an diesem Donnerstagmorgen ein Medientermin wie viele andere zuvor. Im Trainingszentrum des FC Bayern München an der Säbener Strasse herrscht eitel Sonnenschein, meteorologisch mit goldenem Herbstwetter, sportlich nach dem 5:0 in der Champions League gegen Viktoria Pilsen. Wie so oft nuschelt der Franzose ein wenig; er macht einen Witz, einen kleinen Spruch, merkt, dass er nicht verstanden worden ist, seine Wangen röten sich, er lächelt verlegen, schweigt. Dabei möchte er doch immer nur, dass man ihm Verständnis entgegenbringt.

Spitzhacke statt Schuhspitze

Franck Ribéry ist einer der besten Fussballer der Welt, der Auszeichnung des europäischen Primus könnte im Januar durchaus jene als Weltfussballer folgen. Doch mit anderen Anwärtern auf diesen Titel hat der schwer fassbare Nordfranzose wenig gemein. Er besitzt nicht den souveränen Auftritt eines Cristiano Ronaldo, nicht die arrogante Präsenz eines Zlatan Ibrahimovic, aber auch nicht Lionel Messis Unscheinbarkeit. Franck Ribéry fühlt sich immer wieder unverstanden, er ist auf reichlich Zuneigung angewiesen. Beim FC Bayern hat er diese erfahren, «ich fühle mich, als wäre ich in München geboren», hat er einmal gesagt und es mit seiner einzigartigen Bestimmung des Spiels zurückgezahlt. Dabei stammt Franck Ribéry aus einer rauen Gegend. Dort, wo er herkommt, am Ärmelkanal, in Boulogne-sur-Mer, muss man sich immer wieder neu behaupten, wenn man auch von den Landsleuten aus dem Süden beachtet werden will. Am Rande einer zentralistischen Nation gelegen, wird die Region um die Hafenstadt von den Puristen in Paris manchmal lieber zu Belgien gezählt, die Sprache goutieren sie sowieso nicht, die Urteile fallen abschätzig aus. Dem zweijährigen Knaben Franck schneidet bei einem Autounfall eine Scherbe eine hässliche Narbe ins Gesicht, was das Älterwerden im schwierigen Umfeld nicht unbedingt erleichtert. Die Fussballakademie in Lille muss er wegen disziplinarischer Probleme verlassen, Ribéry bringt sein Temperament nicht unter Kontrolle. 2001 spielt er in der dritten Liga Frankreichs. Als sein Verein Olympique Alès in Konkurs geht, findet er sich neben seinem Vater François wieder, im Strassenbau als «terrassier». Spitzhacke statt Schuhspitze, Schattenseiten einer vermeintlichen Bilderbuchkarriere.

Beim Aufstieg Ribérys haben seine Trainer immer die entscheidenden Rollen gespielt. Einige wollten ihm ihre Vorstellungen des Spiels brüsk auftragen, Louis van Gaal bei den Bayern etwa, doch mit Bevormundungen ist es so eine Sache bei Ribéry. «Ich bin eine sehr affektorientierte Person», sagt er etwa, «kurz einen Kaffee zusammen zu trinken, das kann für mich ein grosses Zeichen von Zuneigung, von Interesse sein.» Er sagt das beiläufig, mitten im Satz. Aber es zeigt, was Trainer, die mit Franck Ribéry erfolgreich waren, frühzeitig erkannt hatten: Ein Fussballfreigeist wie er lässt sich nicht in eine Schablone pressen. Jean Fernandez gehört zu diesen Fussballlehrern. Er gibt Ribéry 2004 beim FC Metz wieder einen Profivertrag. Es sollte sich lohnen, Ribéry zeigt starke Partien, zieht weiter, nach der WM 2006 an der Seite von Zinédine Zidane folgt der Wechsel zum FC Bayern, der Weg in die grosse Fussballherrlichkeit. Und dort hat er jüngst mit Pep Guardiola einen der einfühlsamsten Trainer überhaupt bekommen.

Probleme des «Petit Napoléon»

Doch das Zerrbild des Franck Ribéry ist zu kompliziert, um alleine an der Karriereleiter erklärt werden zu können. Ribéry ist Witz- und Raufbold, Sensibelchen und Prügler, und so ambivalent, wie er zu sein scheint, so wird er auch wahrgenommen. Hier die Münchner, die in ihm einen typischen Franzosen sehen, der den FC Bayern wieder an die Weltspitze geführt hat, die für ihn im Stadion «Aux Champs Elysées» singen, Joe Dassin mit bajuwarischem Einschlag. Und dort die Pariser, die ob dem Nordfranzosen die Nase rümpfen. Nebst seiner Herkunft und seiner Sprache echauffieren sich Ribérys Landsleute darüber, dass er zum Kreis der Spieler gehört, die 2010 an der Weltmeisterschaft in Südafrika den peinlichen Aufstand gegen Trainer Raymond Domenech anzettelten. Das Revolutiönchen des «Petit Napoléon» hatte nicht nur die zwischenzeitliche Verbannung aus der Nationalmannschaft, sondern auch Imageprobleme zur Folge. Die Affäre mit einer minderjährigen Prostituierten des für seine Frau zum Islam konvertierten Familienvaters war zu diesem Zeitpunkt gelinde gesagt wenig hilfreich. «Ich geniesse die Anerkennung der Leute, dafür spiele ich auch Fussball. Und mit allem anderen kann ich auch leben», meint der Gescholtene heute lapidar. Längst ist der kindliche, störrische Stimmungsfussballer zum Führungsspieler gereift, doch in seiner Heimat ist er noch immer nicht über alle Zweifel erhaben. «Ich brauche das Vertrauen der französischen Fans», sagt er diplomatisch, obwohl in einer Umfrage von «France Football» im September gerade mal 30 Prozent angaben, ein positives Bild von Ribéry zu haben. Erstaunlich, hat er doch dem Nationalteam wieder ein Gesicht gegeben.

Franck Ribéry ist es aber gelungen, seine schier unglaubliche Energie in den Fussball zu packen, darin sind sich seine Beobachter alle einig. Als er gegen Viktoria Pilsen mühelos zwei Gegenspieler stehen lässt und elegant zum 3:0 trifft, wirft er sich vor der Fankurve in die Brust, voilà, das bin ich. Nie sonst fühlen sich 170 Zentimeter so gross an. «Es macht mich glücklich, wenn jemand meinetwegen glücklich ist», sagt er selbst. Beim FC Bayern führt das zur perfekten Harmonie, und Ribérys Worte nach seiner Vertragsverlängerung 2010 sind in München so etwas wie Kennedys Bekenntnisse ein paar Jahrzehnte zuvor in Berlin geworden. «Isch ’abe gemacht fünf Jahre mehr», sagte der 30-Jährige auf der Meisterfeier zu den verzückten Fans. Es ist gut möglich, dass er seine Karriere dort beendet; wenn der (wiederum erneuerte) Kontrakt ausläuft, wird er 34 sein. Der Unverstandene scheint seinen Hafen gefunden zu haben, der Anarchist am Ball ist mit seiner Regierung im Einklang. Moritz Marthaler, München