1 abonnement et 3 abonnés
Article

Der Ursprung der Menschheit: Blätter, die die Welt bedeuten

Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 17/2023.

Der künftige König von England war knapp sieben Jahre alt, als er von seinem Vater trotz Aussicht auf mehrere Schlösser ein Baumhaus verlangte. Es sollte "so hoch sein, dass ich von jedem und allem verschwinden kann", befahl Prinz William dem Architekten, der das Refugium im Auftrag der Windsors bauen sollte.

Das Baumhaus meiner Kindheit war zwar keine royale Maßanfertigung, diente aber auch mir als Flucht vor den Anderen. Wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war, Goldnuggets in einem Lastenaufzug hochzuhieven, über Schatzkarten zu brüten oder Wölfe abzuwehren, blickte ich durch das Blätterdach in die Sterne, machte ein Feuer und genoss das Gefühl, unerreichbar zu sein. Das Haus hatte die Produktnummer 3217-B, war aus Kunststoff und von Playmobil. Ein echtes Baumhaus habe ich als Stadtkind nie besessen und mir doch immer eins gewünscht. Das zumindest haben Prinz William und ich gemeinsam.

Heute sind es vor allem Erwachsene, die sich den Traum von der Realitätsflucht im Blätterdach erfüllen: Auf sind Baumhäuser mittlerweile so beliebt, dass die Plattform ihnen eine eigene Kategorie widmet. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Grand View Research wird der Umsatz des globalen Baumhaus-Tourismus bis 2028 jedes Jahr um etwa 9 Prozent wachsen, der Markt wurde 2020 bereits auf knapp 170 Millionen Euro geschätzt. Führende Anbieter sind in Europa vor allem Großbritannien und Frankreich, die großen Ressorts und kostspieligen Baumhaushotels sind oft in den USA oder in tropischen Ländern wie Thailand oder Costa Rica zu finden. Aber woher kommt diese ungebrochene Liebe zum Versteck in den Bäumen eigentlich?

Die Ursprünge der Menschheit

Laut der Anthropologie liegt die Antwort in unseren Genen. Dafür müssen wir unsere nächsten lebenden Verwandten ins Visier nehmen: die Menschenaffen. Mit Schimpansen teilen wir über 98 Prozent unserer DNA. Sie bauen jede Nacht eine Plattform in das Dickicht des Waldes, um dort vor Feinden geschützt zu schlafen. Dafür flechten sie ein Nest aus Zweigen und polstern es mit einer bequemen Blättermatratze. Je nach Wind und Temperatur passen sie die Architektur dieser Baumbetten an, in Gefangenschaft werden die Nester teilweise so komplex, dass sie fast einer Hütte ähneln. Haben wir diesen Instinkt von unseren befellten Verwandten geerbt und ihre Fähigkeiten verfeinert?

Newsletter

Willkommen im Wochenende

Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende - lesen Sie hier die aktuelle Ausgabe und abonnieren Sie unseren Letter.

Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis.

Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail geschickt.

Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.

Der Anthropologe Alexander Piel vom University College London versucht genau das herauszufinden. "Wir wissen, dass alle Menschenaffen Nester bauen und dass viele frühe Hominiden Anpassungen an das Leben in Bäumen bewahrt haben", sagt der Wissenschaftler. Füße beispielsweise, die ihnen das Klettern ermöglichen, vielleicht sogar das Sammeln von Honig. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass auch sie Nester gebaut haben. Dies hätte Schutz vor Kälte und den Gefahren der offenen Savanne geboten. Piels Forschungen in den Baumwipfeln von Tansania zufolge haben unsere Vorfahren höchstwahrscheinlich auch in den Baumkronen gelernt, auf zwei Beinen zu laufen - und nicht auf dem Boden, wie lange angenommen wurde. In einem Artikel für das renommierte Forschungsmagazin The Conversation schreibt der Anthropologe: "Die Heimat eines Schimpansen könnte der Ort sein, an dem wir die Ursprünge der gesamten menschlichen Spezies finden können."

Tarzan erkennt sich im Baumhaus als Menschen

Ist es also die Suche nach unserem ersten Zuhause, die uns in die Astgabeln lockt? Oder liegt es eher daran, dass das Baumhaus seit Jahrhunderten von Literatur und Film romantisiert wird? Vielleicht haben wir aber auch alle einfach ein bisschen zu viel Disney geguckt.

Der Konzern verfilmte im 20. Jahrhundert mehrere Robinsonaden, in denen das Baumhaus ein Ort des Überlebens ist - gleichzeitig ist es aber auch verspielt und geborgen, wie eine Höhle, nur ohne Durchzug. Die perfekte Mischung aus Abenteuer und Gemütlichkeit. So lebt in Disneys Peter Pan aus den 50er-Jahren der gleichnamige Held zusammen mit den verlorenen Jungs in einem Baumhaus. In den Neunzigern adaptierte Disney zudem die Tarzan-Comics. Der Junge, der unter Primaten aufwächst, findet im Baumhaus seiner Eltern zu seiner wahren Herkunft und erkennt sich als Menschen...

Rétablir l'original