Vor knapp zwei Jahren war der Reporter und Autor Stephan Orth für zwei Monate im Iran unterwegs. Aber nicht einfach als herkömmlicher Tourist, sondern als Couchsurfer - und Journalist. Eine ganz besonders gefährliche Kombination, denn im Iran ist beides nicht besonders gerne gesehen. Erst vor Kurzem war er mit seinem Roman Couchsurfing im Iran auf Lesetour durch Deutschland. Dabei hat er auch in Essen einen Stopp eingelegt. Unsere Redakteurin Mirjam Ratmann hat ihn getroffen.
: Sie waren jetzt schon zwei Mal im Iran. Woher kommt Ihre Faszination für das Land?
Stephan Orth: Ich arbeite schon lange als Reiseredakteur. Dabei suche ich immer besonders nach Reisezielen, die noch nicht auf der touristischen Landkarte sind. Ich habe schon öfter von Leuten gehört, die im Iran waren und in höchsten Tönen von dem Land und seinen Leuten geschwärmt haben. Deswegen war es schon länger auf meiner Liste. Im Jahr 2013 habe ich dann irgendwann gesagt: „Jetzt passt es und jetzt fahre ich dahin." Erst einmal nur für zwei Wochen. In dieser Zeit habe ich aber schon für mich gemerkt, dass das Land mich selbst völlig begeistert hat, gerade die Herzlichkeit der Menschen. Daraufhin bin ich dann ein Jahr später wiedergekommen und habe das Buch geschrieben.
: Abgesehen von der Herzlichkeit der Menschen, die Sie bereits erwähnt haben - was macht den Iran noch zu einem so spannenden Reiseland?
Stephan Orth: Es hat einfach ganz viel zu bieten. Einerseits natürlich ganz tolle Architektur, besonders in den Städten wie Isfahan oder Schiras, dort ist die islamische Architektur besonders spektakulär. Vor allem unter dem Aspekt, dass es im Moment ganz wenige islamisch geprägte Länder gibt, die man ohne größere Gefahren bereisen kann. Außerdem gibt es ganz tolle, spannende Wüstenregionen. Aber für mich sind wirklich die Einheimischen die Hauptattraktion, weil die so gastfreundlich und herzlich sind, wie ich es so noch in keinem anderen Land bisher erlebt habe.
: Zu Beginn ihres Buches sagen Sie an einer Stelle: „Ich mache da Urlaub wo andere Diktatur machen." So richtig von Urlaub lässt sich da ja nicht sprechen oder wie kann man sich das vorstellen?
Stephan Orth: Grundsätzlich gibt es ja immer so eine Diskussion, ob man in solche Länder reisen soll oder nicht, ob man damit nicht eher die Regierung unterstützt. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass man gerade in solchen Ländern besonders herzlich aufgenommen wird und dass es die Leute dort sehr zu schätzen wissen, dass man eben doch hinkommt, trotz der politischen Situation und sich sein eigenes Bild machen will. Ich glaube auch, dass die Leute selber was davon haben und dass es sie inspiriert, wenn sie mit jemandem aus Europa sprechen können und mitbekommen, in welchen Freiheiten wir leben. Und dass es sie inspiriert, dann dafür auch selber mehr zu kämpfen. In der Hinsicht hatte ich den Eindruck, dass es auch sehr positive Dinge bewirkt. Das macht es auch zu einem sehr emotionalen Erlebnis, wenn man mit den Menschen dort zu tun hat. Wenn man jetzt aber natürlich wahnsinnig viel Geld ausgeben würde und in den teuersten Hotels übernachtet, wo man weiß, dass das Geld womöglich an das iranische Regime fließt, hätte ich dann auch ein ganz schlechtes Gefühl dabei.
akduell: ...deswegen haben Sie sich auch entschieden, im Iran Couchsurfing zu machen. Wie sind Sie darauf gekommen?
Stephan Orth: Couchsurfing mache ich schon seit über zehn Jahren auf jeder meiner Reisen. Ich kann mir das auch gar nicht mehr vorstellen, anders unterwegs zu sein. Es ist mir sehr wichtig mit den Leuten eines Landes direkt zu tun zu haben und nicht so isoliert zu sein als Tourist. Ich bin richtig süchtig nach Couchsurfing.
akduell: Beim Couchsurfing trifft man schonmal auf sehr verrückte Persönlichkeiten oder gerät in skurrile Situationen. Ist Ihnen da im Iran etwas Derartiges passiert?
Stephan Orth: Verrückt war sicher eine Übernachtung in der unmittelbaren Umgebung von einem Atomkraftwerk, in der Nähe von Buschehr. Das ist ein ganz berühmtes Atomkraftwerk, das erste überhaupt, das im Iran gebaut und in Betrieb genommen wurde. Es war schon ein komisches Gefühl nur 500 Meter entfernt von einem Atomkraftwerk zu schlafen und wo einem auch der Gastgeber sagt, dass das Gebiet eigentlich schon längst hätte evakuiert werden sollen. Da habe ich dann wirklich nicht gut geschlafen. Aber jeder Gastgeber für sich war eine eigene Welt. Man muss auf jeden Fall immer offen sein für Überraschungen. Mir war es immer wichtig, spontan zu sein und mich voll auf die Iraner und ihr Leben einzulassen.
akduell: Jetzt waren Sie im Iran aber nicht bloß als Tourist unterwegs, der die Iraner näher kennen lernen wollte, sondern auch als Journalist. Sind Sie deswegen in Schwierigkeiten geraten?
Stephan Orth: Da gab es vor allem eine kritische Situation als wir an einer Wache an der Grenze zum Irak vorbeigekommen sind. Da sind die Polizisten immer etwas nervös, weil da oft Menschen illegal über die Grenzen gehen. Da haben mich die Polizisten nach meinem Ausweis gefragt. Und als ich denen dann nur eine Kopie meines Ausweises gezeigt habe, sind sie misstrauisch geworden und haben zwei Stunden lang mein gesamtes Gepäck durchsucht. Auch die Fotos in der Kamera. Da haben sie aber zum Glück dann nichts gefunden, obwohl auch kritische Aufnahmen dabei waren. Da hatte ich zwischendurch echt Angst. Drei Monate später wurde ein Reporter der Washington Post festgenommen und wegen Spionage-Verdachts 18 Monate ins Gefängnis gesteckt.
akduell: In ein Land wie den Iran reist sicherlich keiner ohne gewisse Vorurteile. Was gab es für Vorurteile, die sich für Sie bestätigt haben oder die sich entkräften ließen?
Stephan Orth: Ein Vorurteil war sicherlich, dass ich dachte, dass 90 oder 95 Prozent der Iraner streng gläubige Muslime seien. Das habe ich dann aber viel weniger gesehen. Die Mullahs, die Machthaber, sind schon in der Minderheit. Aber sie sind so mächtig und so brutal, dass sie es trotzdem schaffen, an der Macht zu bleiben. Aber ich habe so viele Leute kennengelernt, die zu Hause offen über den Islam lästern und die auch ständig die Regeln brechen. Das hat mich schon überrascht.
akduell: ...das klingt sehr danach, als würde das ‚echte' Leben hauptsächlich drinnen, zu Hause stattfinden.
Stephan Orth: Ja, absolut. Es sind schon zwei Welten. Einmal die öffentliche Welt, wo man oft etwas vorspielt und sich an die Regeln hält und dann die Welt zu Hause, wo man sich offen über das Land und das Regime äußert. Da werden dann auch oft Partys gefeiert und es wird Alkohol getrunken. Das ist schon ein ziemlich schizophrenes Leben. Vor allem, weil man in der Öffentlichkeit ständig Angst davor haben muss, Ärger zu bekommen und im Gefängnis zu landen. Es ist ja kein Rechtsstaat. Nur zu Hause findet demnach eine gewisse Freiheit statt.
akduell: Zu Beginn Ihres Buches nennen Sie als eins Ihrer Reiseziele „Assimilierung". Haben Sie das denn geschafft?
Stephan Orth: Natürlich ist es sehr begrenzt, was man dahingehend erreichen kann. Ich glaube aber, dass ich zumindest ein sehr starkes Verständnis für die Mentalität der Menschen entwickelt habe, dadurch, dass ich so viel Zeit mit den Einheimischen verbracht habe. Ganz am Ende der Reise, da war ich auf einer Hochzeit eingeladen, hat sogar ein Mädchen gesagt, dass sie mich für den Sohn des Gastgebers gehalten hätte. Sie hatte mich tatsächlich für einen Iraner gehalten! Es hat also geklappt!
akduell: Abschließend die Frage: Was sind die iranischen Menschen für Sie in fünf Worten?
Stephan Orth: Interessiert, herzlich, stolz, gastfreundlich und desillusioniert.
Mehr Infos über den Autor und seine Projekte: www.stephan-orth.de Am 20. März erschien sein zweiter Roman: Couchsurfing in Russland