Wer neu in eine Stadt kommt, tut sich oft schwer, Anschluss zu finden. Internetportale helfen dabei, dass sich Menschen mit ähnlichen Hobbys treffen. Warum es sich lohnen kann, einfach mal ins kalte Wasser zu springen.
Es ist kurz vor sieben Uhr morgens und der Münchner Eisbach gleicht einer silbrig-blauen Suppe. Am Horizont wird es zwar langsam heller, doch bis die Sonne aufgeht, dauert es noch eine gute Stunde. Für acht Männer und eine Frau hier am Bachufer hat der Tag dennoch längst begonnen. Während sich die einen noch aus ihren Hosen und Winterjacken schälen, sind andere schon auf dem Weg Richtung Wasser. Die angefrorenen Grashalme knirschen unter ihren nackten Füßen, als sie einen Schritt vor den anderen setzen - bis sie bis zum Hals im Wasser stehen. Die Außentemperatur liegt an diesem Morgen bei etwa vier Grad, der Eisbach dürfte kaum wärmer sein. Die Teilnehmer lassen sich im Wasser treiben, eine Minute lang, manche zwei. Über ihnen funkeln die Sterne.
Was folgt ist ein ritueller Tanz: Organisator Oliver Nettinger streckt die Arme zur Seite aus, wirft den Kopf nach links und geht in die Knie. Die anderen machen es ihm gleich. "Te Waka!", schreien sie im Chor, von einem Kanu handelt der danach folgende Text - und davon, dass dessen Insassen sicher am Ufer ankommen. Man sieht, wie die Teilnehmer den Atem aus ihren Körpern pressen, in die kalte Morgenluft hinein. Die Tänzer laufen aufeinander zu, paarweise stoßen sie zusammen, Brust an Brust. "Jetzt ist mir wieder warm", sagt einer von ihnen danach.
Warm ums Herz vermutlich, denn diese Version des neuseeländischen Haka-Tanzes ist ein Freundschaftstanz. Freunde zu finden, das ist auch Sinn und Zweck der gesamten Veranstaltung: Die Eisbader treffen sich wöchentlich hier im Englischen Garten und teilnehmen kann jeder, der möchte. Oliver Nettinger und sein Team organisieren die Gruppe über Meetup, eine Onlineplattform fürs Freundefinden. Im Grunde gehe es darum, Menschen kennenzulernen, "bei denen die gleiche Schraube locker ist", fasst Nettinger es zusammen.
Nicht bei allen Meetup-Veranstaltungen muss man gleich in den kalten Eisbach hüpfen. Andere Gruppen treffen sich etwa zum gemeinsamen Malen, sie machen zusammen Musik oder bringen sich gegenseitig Fremdsprachen bei. Manche richten sich an bestimmte Berufsgruppen, andere etwa an Frauen. Mal wird gemeinsam Sport gemacht, manchmal trifft man sich aber auch einfach auf ein Bier.
Meetup will Menschen verbinden, die in derselben Gegend leben und ähnliche Hobbys haben - in München und weltweit. Nach Angaben der Plattform nutzen mehr als 44 Millionen Mitglieder diese Möglichkeit in 190 Ländern und 2000 Städten. User können Gruppen gründen, Events veranstalten oder eben an vorhandenen Veranstaltungen teilnehmen. Im Fall der Eisbader rund um Oliver Nettinger besteht der Ablauf - unabhängig von Wetter oder Jahreszeit - aus erstens einer Runde Meditieren, danach geht es in den Eisbach, anschließend folgen Fitnessübungen und der Haka-Tanz. Die Teilnahme ist kostenlos und im Anschluss gehen alle gemeinsam frühstücken. Da hat man dann noch Zeit zu plaudern und sich kennenzulernen. Danach ist es kurz vor acht und die Teilnehmer ziehen frisch und munter weiter zu ihren Arbeitsstätten.
15 bis 20 Veranstaltungen spuckt die Meetup-Suche für München am Tag aus. Weltweit sind es mehr als 80 000 pro Woche. Oliver Nettinger nahm beispielsweise in Hongkong mal an einem Meetup-Event teil, als einfacher Gast. "Ich war damals ein paar Tage in der Stadt und wollte den Abend einfach mit ein paar neuen Leuten verbringen", erzählt er heute.
Vergangenen Sommer legte er die Idee dann auf das Eisbaden um. Die Gruppe hatte schon zuvor bestanden, da war es noch ein Kreis aus Freunden und Bekannten, die sich regelmäßig trafen. Von Juni an war die Runde dann auf Meetup registriert, innerhalb einer Woche hatten sich mehr als 50 Personen angemeldet. "Wir waren selber überrascht, wie schnell das ging", sagt Nettinger heute. Aktuell zählen die Eisbader etwa 200 Mitglieder, knapp 70 davon sind regelmäßig aktiv. Zu den Treffen kommen in der Regel zehn bis 15 Leute. Nicht selten kommt es vor, dass ein oder zwei Angemeldete dann doch nicht auftauchen - da dürfte das warme Bett dann doch verlockender gewesen sein.
Immer wieder sind neue Gesichter dabei. Oftmals haben sie dieselben Absichten wie Nettinger damals in Hongkong hatte: Als Fremde in einer neuen Stadt suchen sie Gesellschaft, Freunde, Gleichgesinnte.
Auch bei Lena Ahmeti war das der Fall. Sie ist erst seit einem Jahr in München, davor lebte sie in Frankfurt und ursprünglich kommt sie aus dem Kosovo. "Ich war ab dem ersten Treffen verliebt in diese Gruppe", sagt sie über die Eisbader. Mittlerweile ist sie seit einigen Monaten festes Team-Mitglied, online auf Meetup wird sie als "Assistenz-Organisatorin" gelistet. Sie ist es, die mit Fitnessübungen zwischendurch dafür sorgt, dass den Teilnehmern warm wird - mit Hampelmännern, Kniebeugen und Liegestützen. Ahmeti turnt vor, die anderen machen's nach.
"Leute kennenzulernen ist in München einfach", sagt ein anderer Teilnehmer später, als die Gruppe im Warmen vor Kaffee- und Teetassen sitzt. Gute Freunde zu finden, das sei hingegen hart. Er selbst ist vor zwei Jahren aus der Slowakei nach München gezogen und arbeitet hier in der IT-Branche. Vor allem Deutsche kennenzulernen, sei schwierig, sagt er. Zugewanderte unter sich würden schon eher irgendwie zueinander finden, sei es über Meetup oder über spezielle Gruppen in Sozialen Netzwerken. Bei den Eisbadern lernte der Slowake viele Deutsche kennen. Nun verbessert sich nicht nur sein Immunsystem - auch seine Sprachkenntnisse werden kontinuierlich besser.
Neben dem sozialen Aspekt ist es der Meditationsteil am Anfang, der viele neue Mitglieder zur Meetup-Gruppe von Nettinger führt. Die Meditation folgt einer Methode, die der Niederländer Wim Hof entwickelt hat. Ein Mann, der den Kilimandscharo in kurzen Hosen bestiegen hat, gelegentlich stundenlang im Eiswasser ausharrt und damit Weltrekorde bricht. Der Münchner Eisbach wäre für ihn wohl ein Klacks. Seine Ideen kommen auch hier zum Einsatz: Durch spezielle Atemübungen vorab könne man es im kalten Wasser länger aushalten, erklärt Nettinger. Alle Teilnehmer nicken bestätigend.
Lena Ahmeti hat noch einen anderen Tipp dafür, wie man den Sprung ins kalte Wasser besser erträgt: Kalt duschen - und zwar noch vor dem Eisbaden. Der Slowake kann darüber nur lachen: Unmöglich sei das, sagt er, kalt zu duschen bringe er morgens nicht übers Herz. Ein Bad im kalten Eisbach vor Sonnenaufgang hingegen scheint kein Problem zu sein.
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