Miriam Khan (29): Die Online-Redakteurin der MOPO ist Vegetarierin. Gegen Fleischesser hat sie nichts - aber gegen deren Doppelmoral.
An sich habe ich nichts gegen Menschen, die Fleisch essen. Was mich anwidert, ist die Doppelmoral, mit der sie es tun. Ein saftiges T-Bone-Steak ist „geil" - dass dafür aber ein Akt des Tötens vorausgeht, davor verschließen viele Fleischesser die Augen.
In der konventionellen Fleischproduktion läuft es meist so ab: Allein zu dem Zweck, getötet und verspeist zu werden, erblicken Ferkel, Lämmer und Kälber auf den Bauernhöfen das Licht der Welt. Sie werden gefüttert, gemästet, großgezogen - und irgendwann kommt ein Laster, der die Tiere abholt. Sie werden zusammengepfercht und zur nächsten Schlachterei gebracht. Dort wartet dann ein Mann mit einer Elektrozange auf sie - oder eine Gaskammer. In Deutschland ist gesetzlich geregelt, dass Tiere, bevor sie geschlachtet werden, betäubt werden müssen. Die Ironie daran: Diese Betäubung selbst ist keineswegs schmerzfrei, erklärt Dr. Edmund Haferbeck von der Tierschutzorganisation Peta - im Gegenteil!
Mit bis zu 80 Volt jagen die Schlachter 15 Sekunden lang Strom durch die Körper der Tiere, ehe sie bewusstlos werden. Die meisten quieken, schreien, zittern dabei vor Schmerz. Noch grausamer ist die „Betäubung" mittels Gas. In kleinen Gruppen werden die Tiere (meist Schweine) in einen Schacht hinuntergefahren, in dem eine hohe CO2-Konzentration herrscht. Durch Einatmen des Gases verlieren sie irgendwann das Bewusstsein - vorher leiden sie Todesangst. Sie merken, dass sie ersticken, schnappen verzweifelt nach Luft und kämpfen etwa 15 Sekunden mit Atemnot, bevor sie ohnmächtig werden.
Unabhängig von der Art und Weise muss es nach der Betäubung schnell gehen: Den bewusstlosen Tieren wird die Hauptschlagader durchtrennt, so dass sie ausbluten. Erst dann sind sie tot. Dann werden die Tiere aufgehängt und ausgeweidet, bevor sie zerstückelt und weiterverarbeitet werden. Deutschlands größter Schlachtbetrieb, die Firma Tönnies in NRW, tötet nach Angaben von Peta jedes Jahr 16 Millionen Schweine. Allein die Anlage in Rheda-Wiedenbrück hat eine Kapazität von 140.000 Schweinen pro Woche.
Wir alle, ob Fleischesser oder nicht, kennen die Bilder. Die Förderbänder, an denen die ausgebluteten Leiber hängen. Metzger mit Schürzen aus Plastik. Blutlachen am Boden. Die schweren Werkzeuge, mit denen den toten Tieren die Körperteile abgeschnitten werden.
Die meisten Menschen ekeln sich vor diesen Bildern. Schalten um, blättern um, weil sie den Anblick nicht ertragen. Und dennoch stehen viele von ihnen abends an der Fleischtheke. Als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen Schlachten und Schnitzel.
Das Paradoxe daran: An sich finden die meisten Menschen Tierquälerei schrecklich. Wenn es um verletzte, verstümmelte oder getötete Hunde, Katzen, Vögel geht, dann empfinden wir Mitgefühl und Entsetzen. Wieso geht es uns bei anderen Tieren nicht genauso? Wieso ist uns Tierquälerei egal, wenn es um unser Essen geht?
„Das Phänomen nennt man kognitive Dissonanz", erklärt Markus Wolter von der Naturschutzorganisation WWF. „Wir haben einen festgelegten Wertekanon, und der sagt: Tierquälerei ist nicht gut. Trotzdem verstoßen wir permanent dagegen." Aber warum? Wolter erklärt: „Essen ist gelernt." Fleischesser wachsen mit dem Verständnis auf, dass Fleisch lecker, günstig und reichhaltig ist. Dieses „Gelernte" können sie nicht in Einklang bringen mit den Bildern aus Schlachthöfen - und das sorgt für Unbehagen. Um sich dieser unangenehmen Situation zu entziehen, werden die ekelerregenden Bilder ausgeblendet.
So scheint der Gemütszustand - vermeintlich - wieder hergestellt. Dr. Haferbeck von Peta geht sogar einen Schritt weiter: Er nennt dieses Verhalten „schizophren: das Kuscheltier zu Hause, das systemgequälte Tier auf dem Teller".
Gibt es überhaupt „gutes", also ethisch vertretbares Fleisch? Umwelt- und Tierschützer sind sich uneins. „In unseren Augen sind 350 Gramm Fleisch pro Woche ökologisch vertretbar", sagt Markus Wolter vom WWF. Allerdings nur wenn es entweder Bio-zertifiziert sei, aus Weidehaltung stamme oder wenn es sich dabei um Wild handle. „Der Fleischkonsum per se ist nicht verwerflich. Aber es geht um die Menge und Art, wie wir mit dem Tier umgehen", so Wolter. Dr. Haferbeck von Peta sieht das anders: „Wer tierische Produkte isst, handelt niemals ethisch, sondern zerstört unseren Planeten, unsere Lebensgrundlage."
Ich bin da eher bei Markus Wolter. Wer partout Fleisch essen möchte, soll das gerne tun. Wer all die quiekenden Schweine, die gerupften Puten, die blutenden Leiber aushält und trotzdem mit Genuss in sein Steak beißen kann, dem sei es gegönnt. Denn: Jeder, der ein Stück Fleisch kauft, muss sich eben auch mit dessen Entstehung auseinandersetzen können - und dazu stehen, dass für den persönlichen Genuss getötet wird.
Im „Standpunkt" schreiben MOPO-Redakteure und Gast-Autoren aus ganz persönlicher Sicht über Themen, die Hamburg bewegen. Darüber darf gern diskutiert werden! standpunkt@mopo.de