Frankfurt.Am 17. September werden in Frankfurt, Berlin, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart bei bundesweiten Großdemos bis zu einer Viertelmillion Menschen gegen die Freihandelsabkommen TTIP (USA) und CETA (Kanada) auf die Straße gehen. Seit Juni arbeitet Stefanie Then an der Organisation der Frankfurter Kundgebung, bei der auch der Kabarettist Urban Priol auftreten wird. „Wir rechnen mit 20 000 Teilnehmern. Wenn es mehr werden, wäre das natürlich ein Erfolg", sagt Then, deren Job es ist, möglichst viele Menschen aus dem Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen und Unterfranken zum Aktionstag auf den Frankfurter Opernplatz zu lotsen.
Stefanie Then ist selbst eher zufällig zur hauptberuflichen TTIP-Gegnerin geworden. Die Frankfurterin ist Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Niederrad. Von diesem ging 2014 die Initiative aus, sich dem insgesamt 30 Institutionen und Wohlfahrtsverbänden zählenden Aktionsbündnis „CETA & TTIP stoppen! - Für einen gerechten Welthandel!" als Unterstützer anzuschließen. Seither hat sich in der politischen Landschaft einiges getan. Man sehe deutlich, dass sich selbst hochrangige Politiker dem Druck der Bevölkerung gebeugt hätten.
„Die Menschen sind nicht gegen TTIP und CETA, weil sie die Uhren zurückdrehen wollen, sondern weil sie sich inhaltlich mit dem Thema befassen", ist Then überzeugt. Das Ziel der TTIP- und CETA-Gegner sei ein gerechter Welthandel, der sich an den höchsten Umwelt-, Arbeitsschutz- und Sozialstandards orientiert, statt die hegemoniale Position von Wirtschaftsmächten wie der USA zu stärken, sagt die studierte Kunst- und Wirtschaftshistorikerin.
Gut vernetzt und vorbereitetWenn sie nicht gerade in der Berliner Bundeszentrale des Aktionsbündnisses weilt, sitzt Then in einem kleinen Büro im Frankfurter Bahnhofsviertel und hält von dort aus Kontakt zu den Initiativen, die sich an der Kundgebung beteiligen. Von hier aus koordiniert sie die Anreise einzelner Demonstrationsgruppen, kümmert sich um den Ablauf der geplanten Demo und versorgt die TTIP-Aktivisten mit Flyern und Informationsbroschüren. Dass Then ihren Arbeitsplatz ausgerechnet in der Deutschlandzentrale des globalisierungskritischen Netzwerk Attac aufgeschlagen hat, ist kein Zufall. Schließlich gehört Attac zu den führenden TTIP-Gegnern in Deutschland. „Das grundsätzliche Problem ist, dass die EU bis heute nicht erklären konnte, was ihre Ziele sind. Man hat nicht den Eindruck, dass die Interessen der Bevölkerung im Mittelpunkt stehen", erklärt Then ihre Vorbehalte gegen das Freihandelsabkommen mit den USA.
Nicht zuletzt die „intransparente Verhandlungsführung" habe immer mehr Menschen gegen das ominöse Handelsabkommen aufgebracht. Jüngst haben sich sogar deutsche und französische Spitzenpolitiker von TTIP distanziert. Unter ihnen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD).
Doch während TTIP inzwischen zu scheitern droht, sind die Verhandlungen mit Kanada über das Schwester-Abkommen CETA weit vorangeschritten. „Auch hier geht es um Prozesse, die nicht demokratisch legitimiert sein werden, sich aber unmittelbar auf unser Leben auswirken", mahnt Then. So erhielten etwa in Kanada ansässige Unternehmen die Möglichkeit, den deutschen Staat zu verklagen. Im schlimmsten Fall drohe also eine Art TTIP durch die Hintertür. „Natürlich braucht man Handelsabkommen. Es muss aber ein gerechter Welthandel gewährleistet sein, der auch arme Länder nicht ausschließt", fordert die Aktivistin.
Die Signale nicht gehörtWährend in Deutschland derzeit die TTIP-Gegner Oberwasser haben, wundert sich in Brüssel mancher EU-Kommissar und Mitarbeiter, wie solch ein abstraktes Thema die Gemüter erhitzen kann. Schon vor einem halben Jahr warb zum Beispiel Lutz Güllner von der Generaldirektion Handel der Kommission vehement für das Zustandekommen des Handelsabkommens. Bei TTIP handele es sich beileibe nicht um Teufelswerk, sagte er. Ein vergleichbarer Vertragsabschluss mit Ozeanien habe hierzulande niemanden interessiert, klagte Güllner in einer Presserunde - und ereiferte sich über die plakative Dämonisierung von Chlorhühnchen aus den USA.
Der EU-Abgeordnete Joachim Schuster (SPD), Mitglied im Ausschuss für internationalen Handel, bekannte seinerzeit im Gespräch mit Journalisten, dass er die Tausende Seiten umfassenden Entwürfe zum Thema TTIP allein aus zeitlichen Gründen nicht gelesen habe. Auf die Frage, wie er über das Handelsabkommen entscheiden werde, antwortete Schuster sinngemäß, dass er sich in dieser Frage der Empfehlung seiner Fraktion anschließen werde.
Offenbar scheint die Brüsseler EU-Bürokratie den Informationsdurst der Bevölkerung von Beginn an unterschätzt zu haben. Im Stile einer Graswurzelbewegung haben sich über Monate und Jahre hinweg Tausende ehren- und hauptberufliche TTIP-Gegner mit der Materie vertraut gemacht, um die Schwächen des Handelsabkommens zu finden und publik zu machen. „Das Engagement der Menschen ist beachtlich", sagt Stefanie Then: Sie berichtet von den vielen Ehrenamtlern, die ihre Freizeit an Info-Ständen und mit dem Verteilen von Flyern verbringen.
Der bisherige Kampf gegen die vermeintliche Übermacht aus Brüssel zeige erste Erfolge, befindet Stefanie Then. „Wir haben in Europa zu lange für Standards wie etwa im Verbraucherschutz gekämpft, um diese hinter verschlossenen Türen aufzuweichen", sagt sie. Auch zeige sich am breit angelegten Protest, dass trotz des großen Politikverdrusses demokratische Meinungsfindung noch möglich sei.