Das Phänomen Poetry Slam gehört zu den auffälligsten Trends der
gegenwärtigen Literaturszene. Der Dichterwettstreit hat seit seinen
Anfängen im Chicago der 1980er Jahre einen weltweiten Siegeszug
angetreten. Zunächst als Teil einer Subkultur, die sich gegen die
Vermittlungsformen der Bildungseliten wandte und eine Demokratisierung
und Öffnung der Literatur anstrebte. Inzwischen ist dieser literarische
Flirt mit dem Publikum auf Zeit fester Bestandteil des kulturellen
Unterhaltungsangebots, die Slams salonfähig und echte Publikumsmagnete.
Längst schielen Publikumsverlage nicht nur mit einem Auge auf das
Geschehen in der Bühnenliteraturszene.
Damit einher gehen
Normierungen, wie sie aus jeder Popularisierung der Kunst resultieren.
Im Falle des Slams betrifft dies die Themenwahl und Vortragsart, die
sich nicht selten an den Vorlieben der Kernzielgruppe orientieren. Diese
Entwicklung mag der Kulturpessimist und mancher Pionier der Kunstform
bedauern. Teil der Wahrheit ist aber, dass die Beliebtheit der
Poetenwettbewerbe aus den Vorzügen des Formats überaus verständlich ist.
Über Sieg und Niederlage in der sportiven Variante der Lesung entscheidet nicht der geschriebene Text, sondern der fünfminütige Vortrag, die Chemie zwischen Publikum und Künstler, der besondere Augenblick. Wenn sich »Publikum, Text und der Vortragende gegenseitig hochschaukeln«, erklärt Bühnenpoet Noah Klaus, »entsteht ein ekstatisches Hochgefühl«. Das Publikum entscheidet durch Punktvergabe, in welchem Maß die Künstler zu überzeugen wussten.
Am 25. November werden von den ursprünglich 24 Startern acht verbliebene Künstler um die Krone des Landesmeisters ringen, ein Titel, der gleichbedeutend mit der Qualifikation für die Deutschsprachigen Meisterschaften im kommenden Jahr ist. Die Finalisten werden in zwei Halbfinals am 23. und 24. November ermittelt. Die erste Vorschlussrunde wird im Kreuzberger SO36 ausgetragen, am Tag darauf wird den Poeten die Bühne im Potsdamer Waschhaus bereitet. An den drei Veranstaltungsabenden kämpfen die Dichter um die Gunst von insgesamt über 2000 Zuschauern.
Profisport
ist der Poetry Slam dennoch nicht geworden. In Deutschland gibt es laut
Schätzung von Volker Surmann, Mitglied des Organisationsteams BB Slam
e.V. und als Verleger dem Thema verbunden, etwa fünfzehn bis zwanzig
Künstler, die sehr gut von Gagen und Buchverkäufen leben können, dazu
etwa 150 bis 200 semiprofessionelle Bühnenliteraten. Gradmesser für den
Erfolg des Formats bleiben also vorerst die Besucherzahlen. Und diese
sprechen für sich: Die deutschsprachige Slam-Szene gilt als zweitgrößte
der Welt - nach der englischsprachigen.
Als Titelverteidiger geht
der Neuköllner Dichter und Kabarettist Karsten Lampe ins Rennen, dessen
Geschichten und Betrachtungen auch im Buchhandel zu haben sind. Mit dem
jungen und mitunter sehr politischen Dichter Noah Klaus steht ein
weiterer ehemaliger Titelträger im Feld. Paul Bokowski dürfte der
Starter sein, der sich als Buchautor die größten Meriten verdient hat.
Doch aus diesen Verdiensten Favoritenrollen ableiten zu wollen,
erschiene allzu kühn. Denn was einst beim Fußball galt, gilt für den
Slam allemal: Die Zuschauer gehen hin, weil sie nicht wissen, wie es
ausgeht.
Vom 23. bis zum 25. November im SO36, im Waschhaus Potsdam und im Konzertsaal der UdK, www.bbslam.de
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