Im Berliner Stadtteil Schöneberg findet man seit 2016 ein kurioses
Lokal, in dem Fisch in Dosen serviert wird. In den bunten Dosen finden
sich feinste Sardinen und Meeresfrüchte aus ganz Europa. Serviert werden
sie frisch geöffnet im blechernen Originalbehältnis auf einem
Holzbrett, dazu wird etwas Salat und frisches französisches Brot
gereicht. Die Berliner, für neue Einfälle immer offen, finden die Idee
gut, zum Wochenende sind die rund 40 Plätze in der „Sardinenbar“ schnell
ausgebucht.
Dass der Küchenmeister Thomas Vetter mal sein Glück im Öffnen von Dosen
finden würde, hätte er wohl selbst nicht erwartet. In Flensburg
aufgewachsen, lernte er das professionelle Kochen im Jagdhaus
Waldfrieden in Quickborn. Dann begab er sich auf Wanderschaft, kochte
lange in gehobenen Restaurants in Irland und kam vor ein paar Jahren in
seine Geburtsstadt Berlin zurück.
Die Sardinenbar gründete er zusammen mit seiner Freundin Anaïs Causse. Gemeinsam mit ihrem Vater Philippe Causse und ihrer Schwester Noémie betreibt sie das legendäre Berliner Feinkostgeschäft „Maître Philippe & Filles“, dessen Käsespezialitäten in Sternerestaurants serviert werden.
Auf Vetters Speisekarte stehen mehr als hundert Sorten Dosenfisch von
Traditionsbetrieben aus Frankreich, Spanien und Portugal. Neben der
großen Auswahl an Sardinen werden auch Thunfisch, Makrelen, Oktopus oder
Bacalao angeboten, mal pur in Olivenöl oder in unterschiedlichen
Varianten gewürzt.
Von 8,50 bis 18,50 Euro
Hauptdarsteller bleiben aber die Sardinen, deren bunt bemalte
Behältnisse auch als ungewöhnliche Dekoration dienen. Auf der
Speisekarte werden sie nach den Geschmäckern der Gäste sortiert, die
Preise liegen bei 8,50 Euro aufwärts. Da gibt es Sardinen „für
Puristen“, die nur in bestem Olivenöl eingelegt sind, „Klassiker“, bei
denen auch Zutaten wie Zitronen, Gewürze, Räucheraromen oder getrocknete
Tomaten für Aroma sorgen, oder „Die Extravaganten“, wie Sardinen
baskischer Art, bei denen Bayonner Schinken und Piment d’Espelette für
pikante und leicht säuerliche Noten verantwortlich sind.
Jahrgangssardinen
Das Ungewöhnlichste aber, das Thomas Vetter im Angebot hat, sind die Jahrgangssardinen. Jahrgangssardinen? Tatsächlich. In der Bretagne werden die schmackhaften Schwarmfische nur in den Nächten zwischen Mitte und Ende September gefangen, schlicht auf Eis gelegt, nicht gefroren. Schon am nächsten Morgen werden die Fischchen ausgenommen und nach Größen sortiert locker in Dosen mit hochwertigem kaltgepresstem Olivenöl gelegt. „En blanc“ heißt das Verfahren. „Zu eng sollen die Sardinen nicht in der Dose liegen“, sagt Vetter, „das Öl lässt den Fisch über die Jahre reifen, durchdringt das Fleisch, macht ihn zartmürbe und buttrig.“ Für die Gestaltung der exklusiven Dosen werden lokale Künstler aus der Bretagne engagiert, man kann die Jahreszahl und manchmal auch den Namen des Fangschiffs ablesen. 18,50 Euro kostet die Rarität „La Perle de Dieux“ von 2011. So wird die Sardine aus der Dose zum nichtalltäglichen, aber durchaus edlen Geschmackserlebnis.
Michael Pöppl
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