Von Michael Hänel
Brokstedt hat die Betroffenen und die politisch Verantwortlichen in Schleswig-Holstein (SH) schockiert. Während das Thema Messerangriffe seit Jahren der AfD meinungsführerschaftlich überlassen wurde, will SH neue Wege gehen, ausloten, was dagegen getan werden kann. Die Verschärfung von Strafgesetzen - oftmals in der öffentlichen Diskussion verlangt - ist nicht erstes Mittel der Wahl. Weil diese Art der Abschreckung durch Strafe nicht funktioniert. Eine neue Initiative ist die Einrichtung eines System der Gewaltpräventionsambulanz, die Erreichung, Betreuung von psychisch erkrankten Messerangreifern, bevor diese zur Waffe greifen. Was zunächst nach "pre-crime" und "Minority Report" klingt, könnte ein Ansatz zur Gewaltverringerung sein. Denn aktuelle Studien der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden haben signifikante Daten zu Tage befördert, wonach es vermehrt zum Messereinsatz im sozialen Nahfeld in psychischen Ausnahmesituationen kommt. Dort anzusetzen soll, so die Verantwortlichen in SH, ein wirksames Mittel gegen Messergewalt sein. Die bisherigen Ausreden, man könne nichts tun, Messer seien nun einmal weit verbreitet, "sollten wir mit Stäbchen essen" - sind vorbei. Auch das Schweigegelübde auf linker Seite, wonach eine soziale oder kulturelle Zuordnung der Täter zu Gewaltgesellschaften (z.B. arabischen oder russischen in der Einwanderungsgesellschaft) bereits rassistisch sei, hat sich als völlig unwirksam zur Bekämpfung von Messerkriminalität erwiesen. Es muss über die Täter (zum überwiegenden Maße Männer) gesprochen werden. Aber auch über die psychischen Folgen für die Überlebenden von Messerangriffen. Zum Beispiel für diejenigen von Brokstedt. Es ist - ähnlich zum Suizid: die Überlebenden, die Angehörigen, das soziale Umfeld haben das (psychische) Problem - über Jahre. Die Täter nicht. Die kommen nach einiger Zeit aus dem Strafvollzug. Ohne Folgen für ihr weiteres Leben.
Am 26. 6. 2023 auf SWR2 Wissen, vorab in der Mediathek und überall, wo es Podcasts gibt
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Angriffe mit Messern geschehen täglich. Berichte in den Medien suggerieren, dass die Täter vor allem Asylbewerber sind oder psychisch krank oder einen Migrationshintergrund haben. Doch die meisten sind Deutsche, wie eine Anfrage der AfD im Saarland ergab. Kriminologen wissen: Wer ein Messer hat, wird es irgendwann benutzen. Deshalb bereitet ihnen die zunehmende Bewaffnung junger Männer Sorgen. Aber es greifen auch Männer ihre (Ex-)Partnerin mit einem Messer an. Um das Gewaltphänomen besser einschätzen zu können, hat die Bundesregierung ein bundesweites Erfassungssystem angekündigt. Nichts geschieht. (Pressetext SWR)