Der Raum, in dem alle Krisenherde der Welt ständig sichtbar sind, ist vollkommen abgeschottet. Hinter drei dicken Türen, im Erdgeschoss eines Brüsseler Hauses, sitzt das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen der Europäischen Union (ERCC). Es ist das Herzstück des europäischen Katastrophenschutzes. Fünf Mitarbeiter überwachen hier rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche, aktuelle Krisen und gefährdete Regionen per Satellit. Sie warnen betroffene Staaten, nehmen Hilferufe entgegen und koordinieren die Reaktionen der unterstützenden Staaten.
Als 2015 in einem rumänischen Nachtclub ein Feuer ausbrach und dortige Krankenhäuser überfüllt waren, vermittelten Mitarbeiter des ERCC Krankentransporte in andere EU-Länder. Im selben Jahr, nach dem Erdbeben in Nepal, koordinierte das ERCC Suchtrupps und sorgte für Wasserreinigungssysteme. Dieser Tage beantwortet es vor allem Anfragen aus Schweden und Griechenland, wo noch immer verheerende Waldbrände wüten.
Das Prinzip ist einfach. Ist ein Land in Not, aktiviert es den Katastrophenschutzmechanismus. 34 Staaten nehmen daran teil - außer den 28 EU-Ländern noch Island, Montenegro, Norwegen, Serbien, Mazedonien und die Türkei. Die Hilfeersuchen laufen im ERCC ein, dieses leitet sie an die Staaten weiter und nimmt deren Antworten entgegen. „Hilfsmaßnahmen müssen gerade im Notfall koordiniert werden", sagt Carlos Martin, ein Sprecher der EU-Kommission. „Es bringt nichts, wenn jeder individuell versucht zu helfen, die Länder sich aber nicht absprechen."
Bislang hat das System gut funktioniert. Seit es 2001 entstanden ist, gingen mehr als 250 Unterstützungsersuchen ein. Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet zu helfen. „Wir sehen aber, dass zwischen ihnen große Solidarität herrscht", sagt der Kommissions-Sprecher. Das zeigt sich auch in der öffentlichen Wahrnehmung. So berichteten die Zeitungen in Portugal auf ihren Titelseiten über die Waldbrände in Schweden - nicht zuletzt, weil sie dorthin Hilfe entsendet haben. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) begleitete niedersächsische Feuerwehrleute. Und ein Video von hupenden Löschfahrzeugen aus Polen, die ihre schwedischen Kollegen begrüßen, war ein Renner bei Twitter.
Ob sich Länder beteiligen können, hängt von ihrem Fachwissen und den schnell verfügbaren Hilfskapazitäten ab. Diese reichen nicht immer aus. Im vergangenen Jahr wurde der Mechanismus 17 Mal aktiviert. Nur in zehn Fällen konnten die Anfragen beantwortet werden. Als beispielsweise in Portugal im vergangenen Oktober Waldbrände ausbrachen, ließen sich nicht schnell genug ausreichend Mittel mobilisieren. Knapp 40 Menschen starben damals in den Flammen. „Die Zahl der Katastrophen nimmt zu", sagt Martin. „Darauf muss man sich vorbereiten."
Deswegen soll das System jetzt verbessert werden. Ein Entwurf der EU-Kommission sieht vor, eine europäische Infrastruktur zum Katastrophenschutz aufzubauen. Dazu zählen: Löschflugzeuge, medizinische Einheiten, Wasserpumpen. Sie sollen möglichst in den Ländern stationiert sein, die über große Erfahrungen im Katastrophenschutz verfügen. Auch will die Kommission dafür sorgen, dass das Hilfsmaterial schnell in Krisenregionen gelangen kann. Für Löschflugzeuge sind aktuell Frankreich, Griechenland und Spanien im Gespräch. Die EU-Mittel kommen nur dann zum Einsatz, wenn nationale Ressourcen und die Hilfe über das ERCC nicht ausreichen. Zudem sieht der Vorschlag vor, den entsendenden Staaten 75 Prozent der Einsatzkosten zu erstatten. Bislang werden nur Transportkosten zum Teil übernommen. Stimmen die EU-Regierungen und das Parlament den Vorschlägen zu, würden bis 2020 zusätzlich 280 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Die EU-Kommission ist zuversichtlich, dass es noch vor der Europawahl im Mai 2019 zu der Neuregelung kommen wird.
Die Vorschläge sind aber noch umstritten. So teilt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mit, grundsätzlich stehe man dem Entwurf der EU positiv gegenüber. Das dürfe jedoch nicht dazu führen, dass „notwendige eigene Anstrengungen der originär verantwortlichen Mitgliedstaaten zur Schaffung eines widerstandsfähigen nationalen Katastrophenschutzsystems eingestellt oder reduziert werden". Stattdessen fordert das Ministerium, auf nationalen Systemen aufzubauen, diese zu ergänzen und mit Erfahrungen der Partner zu unterstützen. Mit welchem Ergebnis die Verhandlungen enden, zeigt sich in den nächsten Monaten. Nichts ändern wird sich indes an der Hauptaufgabe der ERCC-Mitarbeiter in Brüssel.