Es sollte fairer zugehen: Eine Gesetzesänderung versprach, dass die Steuern auf Buchmacherwetten zurück in den Galopprennsport fließen. Aber auf den Rennbahnen kommen die Millionen nicht an.
Iquitos, ein Name mit Symbolkraft, der gut zur Situation im Pferderennsport passt. Denn verworren wie der Dschungel um die peruanische Stadt ist spätestens seit Juni 2012 - seit einer Novelle im Rennwett- und Lotteriegesetz - auch die Situation der Rennvereine und Pferdezüchter.
Damals wurde den Rennvereinen durch eine Gesetzesänderung mehr Geld in Aussicht gestellt. Und: mehr Fairness. "Es war der politische Wille", sagt Jan Antony Vogel, der Geschäftsführende Vorstand des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen (DVR), "dass alle Lager, die vom deutschen Pferderennsport profitieren, sich auch finanziell daran beteiligen." Steuern bezahlen sollten nicht mehr nur die Vereine als Veranstalter der Rennen und des Wettgeschäfts am Ort, sondern auch diejenigen, die fernab der Rennbahnen Wetten vermitteln. Ihre Wetteinnahmen werden deshalb seit 2012 identisch besteuert, mit fünf Prozent. Von den Einnahmen, so ist es festgeschrieben, fließen 96 Prozent zurück an die Rennvereine, zweckgebunden zur Förderung der Vollblutzucht, die die Grundlage ist für den Sport. So steht es im Rennwett- und Lotteriegesetz (RWLG).
Wenn also Iquitos am 3. September beim Hauptrennen der Großen Woche an den Start geht, werden an der Bahn viele Menschen mit Tippscheinen stehen. Und es werden überall auf der Welt Menschen an Computern oder Smartphones bei Online-Anbietern wetten. Beides sollte den Rennvereinen Geld in die Kassen spülen. Eigentlich.
"Es wäre fair, wenn das Geld bei uns landet", sagt Jutta Hofmeister, die Geschäftsführerin von Baden Racing, "die Buchmacher haben keine Veranstaltungskosten, sie müssen ja keine Rennen organisieren." Doch bei Baden Racing, dem Veranstalter der Großen Woche, kommen nach eigenen Schätzungen rund 250 000 Euro jährlich zu wenig an. Der Grund: Steuern von Buchmachern mit Sitz im Ausland, die aus Wetten auf inländische Rennen generiert werden, werden bei der Bundesfinanzverwaltung in Frankfurt nicht als Rennwettsteuer erkannt. Stattdessen landen sie im großen Pool der Sportwettsteuern, in den unter anderem auch Steuern auf Fußballwetten fließen. Von dort fließen sie: in die Haushalte der Bundesländer. Statt, wie vorgesehen, zu den Rennvereinen.
Und um nun das ganze Ausmaß des Problems zu begreifen, muss man noch diese Zahl kennen: 80 bis 90 Prozent jener Buchmacher, bei denen auf deutsche Pferderennen gewettet werden kann, sitzen aus steuerlichen Gründen im Ausland. Die Neuregelung ist ein einziges Desaster.
Was bleibt, sind die Geldsorgen der Rennvereine. Überall in Deutschland beklagen Veranstalter und Züchter sinkende Sponsorengelder und steigende Kosten. Immer mehr Menschen wetten online statt auf der Rennbahn. Hinzu kommen Fixkosten für die Instandhaltung der Renngelände und für die Pferdezucht. All dem sollte die Gesetzesänderung 2012 entgegenwirken. Andere Zuschüsse wurden daraufhin 2013 gestrichen: In NRW beispielsweise die eine Million Euro jährlich aus der Zusatzlotterie "Spiel 77". Ein Verlustgeschäft.
Was auch bleibt, ist die Frage, wer an der verkorksten Neuregulierung Schuld trägt. "Wir sahen es damals als selbstverständlich an, dass unter den Begriff Buchmacher die im In- und Ausland ansässigen Unternehmen fallen", sagt Vogel: "Wir haben Gutachten anfertigen lassen, die die Gesetzesänderung als wirksam bestätigten." Niemand habe darüber nachgedacht, dass der Buchmacher-Begriff nicht fürs Ausland gilt.
Doch als sich die deutschen Rennvereine Ende Juni 2013 erstmals bei den für die Verteilung zuständigen Bundesländern nach dem eingesammelten Steuergeld erkundigten, wurde ihnen mitgeteilt, es sei keines vorhanden. Nur in Nordrhein-Westfalen wurden rund 3500 Euro pro Renntag ausbezahlt. Geld aus Steuerabgaben einiger Buchmacher mit Sitz in NRW. In allen anderen Bundesländern warten die Vereine seit vier Jahren vergeblich.
Die Buchmacher halten das Gesetz für eine "Fehlkonstruktion", sagt Norman Albers, Vorstand beim Deutschen Buchmacher-Verband: "Unter Wahrung des Steuergeheimnisses ist es den Buchmachern mit Sitz im Ausland gar nicht möglich, Wetteinsätze nach Herkunft oder Sportart zu unterscheiden." Dabei sei kein Buchmacher daran interessiert, dass das Steuergeld woanders lande als bei den Rennvereinen. Die simple Rechnung: Je mehr Geld in den Rennsport zurückfließt, desto mehr Rennen finden statt und desto mehr Wettangebot gibt es. "Das Geld soll im Kreislauf bleiben", findet Albers.
Im Bundesfinanzministerium (BMF) hält man das Ziel der Gesetzesänderung hingegen für erreicht. Sowohl die Buchmacher als auch die Rennvereine bezahlen jetzt ja ihre Steuern nach Vorschrift. Wo die Steuereinnahmen landen, sei hingegen Zuständigkeit des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), heißt es in einer Stellungnahme des BMF. Das BMEL wiederum verweist in einer separaten Stellungnahme auf das BMF als zuständiges Ministerium. Praktisch: So ist am Ende keiner zuständig.
Der Galoppverbands-Chef Vogel hätte sich gewünscht, "dass die Politik schneller reagiert, als wir 2013 feststellten, dass die Steuereinnahmen nicht bei uns ankommen". Die jetzige Auslegung widerspreche dem politischen Willen der Gesetzesänderung, sagt er. Und sie kostete die Rennvereine rund 1,5 Millionen Euro pro Jahr - Geld, das endgültig verloren ist.
Dass sich das ändert, fordern die Rennvereine nun seit vier Jahren von der Politik. Ihr Ziel: Buchmacherwetten auf Pferderennen in Deutschland müssten vor der Finanzverwaltung Buchmacherwetten bleiben, egal ob sie im Ausland oder Inland vermittelt wurden. Die zuständigen Ministerien kennen diese Forderung. Bei einem Fachgespräch im Mai 2016 erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im BMF, Michael Meister, dem Direktorium jedoch, dass eine Einbeziehung ausländischer Buchmacher in den Buchmacher-Begriff "nicht in Betracht gezogen werden" könne. Daraufhin schlug das DVR vor, das Gesetz um einen Satz zu erweitern, um die Gelder in die richtige Richtung zu leiten.
Laut BMEL erfolgt derzeit eine Abfrage bei den Ländern, ob diese dem Vorschlag zustimmen können. Aber das hieße ja: Geld abgeben. "Einige Länder wollen nicht, dass ihre Haushalte angetastet werden", sagt Vogel. Anderen Ländern sei der Verwaltungsaufwand zu hoch. "Im Nachhinein ist man schlauer", sagt Vogel.
"Das Geld würde uns wirklich gut tun", sagt Jutta Hofmeister. Ihr Verein veranstaltet die im Schnitt am höchsten dotierten Rennen in Deutschland. Hofmeister glaubt, dass es noch Jahre dauern wird, bis eine Einigung erfolgt. Für sie sind die fehlenden Steuergelder allerdings nur ein "Mosaikstein" im Gefüge der Pferderennsport-Krise. "Die Vereine", sagt sie, "haben ihr Schicksal teilweise selbst in der Hand." Indem sie Medienpräsenz schaffen, indem sie den Renntag als Event stärken. In Baden-Baden scheint das zu funktionieren, 60 000 Zuschauer will Baden Racing diesmal über sechs Renntage verteilt an die Bahn nach Iffezheim locken. Mit Promis wie Daniela Katzenberger oder dem Bachelor aus der RTL-Castingshow, mit Motto-Tagen wie dem zur Jockey-Nachwuchsförderung, mit Hüpfburgen für Kinder, mit hübschen Kunststoffpferden vor dem Baden-Badener Kurhaus. Und natürlich mit dem Highlight am Finalsonntag: Iquitos, der Vorjahressieger und Favorit, Windstoß, der Derbysieger und erste Herausforderer, sieben Pferde insgesamt, darunter auch zwei Hochkaräter aus England. 2400 Meter. 250 000 Euro Preisgeld.
Wer nach Iquitos will, der schafft das am Ende auch. Über den Amazonas ist die Stadt per Schiff zu erreichen, in drei Tagen und zwei Nächten. Der Galoppsport hofft auf eine Einigung noch in diesem Jahr. Sollte die politische Lösung nicht kommen, wird es das Direktorium über den gerichtlichen Weg versuchen. "Aber eigentlich wollen wir das nicht", sagt Jan Antony Vogel. Besser, als weiter im Dschungel der Gesetze umherzuirren, wäre es aber allemal.
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