Viele Menschen kennen das: Ein Bauchgefühl vielleicht, eine Anspannung. Oder ein Traum, der einen nicht in Ruhe lässt. "Ich habe da so ein komisches Gefühl" - so beschreiben es viele. Es geht um die Vorahnung. Genauer um die Vorahnung, die tatsächlich eintritt. Sei es, wenn die Mutter anruft, an die man kurz zuvor gedacht hat. Oder sei es der Tod einer nahestehenden Person, von dem man geträumt hat. Was steckt hinter diesem Phänomen der Vorahnungen?
Die Antwort hängt davon ab, wen man fragt. Manche sagen: Vorahnungen sind ein Kontrollmechanismus, um über die Unkontrollierbarkeit des Lebens hinwegzutäuschen. Andere denken, dass es sich um eine Fähigkeit des handelt, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Manche halten Vorahnungen für einen Topos, also ein Vorstellungsbild, das immer wieder aufgegriffen wird. Egal, welcher Einschätzung man folgt: Es bleiben Fragen offen, man kann sich dem Phänomen aber nähern.
Die Vorahnung hatte einst einen anderen Namen. Sie hieß Vorsehung, war göttliche Eingebung, kam also von oben. "Die Vorahnung taucht erst im späten 18. Jahrhundert auf. Im aufklärerischen Denken erscheint die Welt von der göttlichen Vorsehung befreit", sagt Andreas Bähr, er ist Professor für Europäische Kulturgeschichte der Neuzeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Exempel für eine solche göttliche Vorsehung gebe es in zahlreichen Quellen. Zum Beispiel das Kleine Biechlin von meinem gantzen Leben des Kannengießers Augustin Güntzer aus dem 17. Jahrhundert. Darin sind Träume notiert, die Güntzer im Laufe seines Lebens hatte. "Er suchte nach göttlichen Botschaften. Denn er wollte herausfinden, ob er nach seiner Gesellenreise in seinem Heimatort bleiben soll oder nicht", sagt Bähr. Schließlich entschied er sich für eine weitere Reise - auf Weisung Gottes, wie er glaubte.
Newsletter
"Was jetzt?" - Der tägliche Morgenüberblick
Starten Sie mit unserem sehr kurzen Nachrichten-Newsletter in den Tag. Erhalten Sie zudem jeden Freitag das digitale Magazin ZEIT am Wochenende.
Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis.
Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.
Die Vorsehung für die Menschen kam früher in vielerlei Form: Ein Komet konnte genauso ein Zeichen für etwas sein wie ein Traum. Und schon Konstantin der Große, römischer Kaiser, legitimiert seine Macht durch die Erzählung von einem Kreuz, das am Himmel erschienen sei. Für ihn bedeutete dieses Kreuz, dass er das Christentum als Staatsreligion einführen sollte. Er tat das und gewann die Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahr 312 nach dem Traum.
"Die Vorsehung gab Hinweise auf den Heilsstand eines Menschen. Darauf, wie das eigene Leben einzurichten ist", sagt Andreas Bähr. Eine divinatorische Eingebung galt als Eingriff Gottes in das irdische Leben, sie wies den Weg und verlieh dem Leben desjenigen, der sie erfuhr, Bedeutung. So wurde sie zum Topos, einem vorgeprägten Sprachbild. "Wenn man einen Deutungshorizont hat, folgt die Erfahrung auf dem Fuß", sagt Andreas Bähr. Heißt: Wer weiß, dass es eine göttliche Vorsehung gibt, wird seine eigenen Erfahrungen dementsprechend einordnen - oder sogar nach Zeichen der Vorsehung suchen.
Mit der Etablierung der Psychoanalyse Ende des 19. Jahrhunderts verlor die Vorsehung weiter an Bedeutung. Was vorher noch ein göttlicher Fingerzeig war, wurde zu einem Phänomen in der Psyche des Individuums. Doch der Deutungshorizont blieb bestehen: Wir wissen, dass man Vorahnungen haben kann, also sortieren wir unsere meist zufälligen Träume oder Anwandlungen entsprechend ein, wenn wir vom Eintreffen eines dann vermeintlich vorausgeahnten Ereignisses Kenntnis erhalten. "Mithilfe der Erfahrungen, die wir im Leben gemacht haben, erkennen wir Muster", sagt Angélique Mundt. Sie ist Psychotherapeutin und arbeitete zwölf Jahre im Team der Krisenintervention des Deutschen Roten Kreuzes. Sie spendet Menschen ersten Trost, die gerade erfahren haben, dass sie eine nahestehende Person verloren haben. "Die Mustererkennung ist den Menschen inhärent: Wenn wir Meeresrauschen hören, sehen wir das blaue Wasser vorm inneren Auge und wissen, dass da auch ein Strand sein muss", sagt die Psychologin. Das funktioniere jedoch auch umgekehrt. Wenn etwas nicht zu erklären ist, suchen wir nach Mustern, um eine Sinnhaftigkeit herzustellen. So könnten im Nachhinein Gedanken oder Gefühle zu Vorahnungen werden. Denn nichts ist für den Menschen so unerträglich, wie ohne Erklärung für etwas auskommen zu müssen.
Robert Wegner ist selbst Psychologe - und hat schon einige Vorahnungen empfunden. Eine davon mit einer langjährigen Freundin. Aus der Freundschaft sei mehr geworden. Es hätten sich romantische Gefühle entwickelt. Eines Morgens, nach einer Nacht voller Diskussionen, habe Wegner beim Frühstück aus dem Nichts angefangen zu weinen. Im Radio, er erinnert sich, sei Ein Gruß von Juli gelaufen. Zehn Minuten später sei die Freundin in den Raum gekommen und habe gesagt, dass sie keine Lust mehr auf diese komplizierte Situation habe. Die Beziehung: beendet.