1 abonnement et 7 abonnés
Article

Therapeutische Tattoos: Unter die Haut

Im Wartebereich des Tattoostudios liegt ein Game Boy Color. „Super Mario Land 2" steckt darin. Ich spiele ein paar Level, während die Vorlage meines Tattoos fertiggestellt wird. Zunächst ist es eine Skizze auf dem iPad, dann eine ausgedruckte Schablone, die mir auf die Haut gelegt wird. Danach sind die Umrisse auf meiner Haut, Die Tattoomaschine wird aufgebaut, die Tinte in Töpfe gefüllt, die Liege mit Folie abgedeckt.

Heute wird mir ein Tattoo auf den rechten Oberschenkel gestochen. Ein Motiv aus einem Fragment von Hieronymus Bosch, ein Vogelwesen mit einem Speer in der Hand. Anders als „Super Mario" ohne Farbe: Das Tattoo wird schwarz. Nach zwei Stunden ist die Sitzung beendet und das Motiv auf meinem Körper. Für immer.

Ich werde oft gefragt, wieso ich mich tätowieren lasse. Wieso diese Motive? Was bedeuten die? Ist das eine Sucht? Und wenn ja, wonach? So richtig darüber nachgedacht, wieso ich mich tätowieren lasse, habe ich tatsächlich erst durch diese Fragen. Sie wurden dann auch zu meinen Fragen: Wieso mache ich das eigentlich? Was machen diese Farben, diese Motive auf meinem Körper mit mir? Es gibt da diese Trennung: Ich - und mein Körper.

Sie hat die Musik auf der Haut

Um den Antworten auf diese Fragen näherzukommen, spreche ich mit anderen Menschen, die tätowiert sind - um ihren Körper zu verändern, ihn wieder zu ihrem Körper zu machen, sich ihn wieder anzueignen. Pia zum Beispiel. Seit sie zwölf war, litt sie unter starker Akne, die sich bis ins Erwachsenenalter hinzog. „Ich wollte schon mit 14 Tattoos haben. Als ich dann mit 18 zum Tätowierer ging, wurde mir gesagt, dass bei jedem Pickel die Farbe unter der Haut auslaufe."

Gegen die Akne probierte sie Antibiotika und Cremes aus. Die Haut trocknete dadurch aus, und die Pickel blieben. Erst eine Ernährungsumstellung half. „Ich verzichte inzwischen fast komplett auf Milchprodukte, esse nur noch wenig Kohlenhydrate." Mit 24 Jahren, das ist gut acht Jahre her, ließ sich Pia dann ihr erstes Tattoo stechen: einen Violinschlüssel mit Dornen und Rosen. Die beste Freundin hatte das Motiv gemalt.

Doch der Grund für das Tattoo habe sich in den zehn Jahren, seit der Wunsch zum ersten Mal aufkam, geändert: „Chronische Akne ist ein Einschnitt in so vielen Situationen", sagt Pia. „Mein Dekolleté und meinen Rücken hielt ich immer bedeckt, mein Körper war mir unangenehm." Heute seien die Tattoos ein Zeichen dafür, dass sie durch die harte Arbeit der Ernährungsumstellung ihr Leben verändert hat. Und wenn sie heute mal einen Pickel auf dem Rücken bekommt, weiß sie, dass die Leute den womöglich gar nicht mehr sehen - sondern auf das Tattoo blicken. "Ich bin heute viel entspannter, trage auch rückenfrei."

Vor einem Jahr ließ sie sich das dritte Tattoo stechen. Auf den Violinschlüssel folgte ein Bassschlüssel unter dem Schlüsselbein. Zuletzt kam dann noch ein C-Schlüssel auf dem Oberschenkel hinzu. „Ich habe lange klassischen Gesangsunterricht gehabt und immer viel über Musik geschrieben und nachgedacht", sagt Pia. Jetzt hat sie die Musik auch auf der Haut.

Rétablir l'original