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Krisenfall mit Tradition

Die Anschuldigungen sind nicht ohne und gewiss nicht neu. Sollten sie sich als wahr erweisen, verstieße vor allem Ruanda gegen mehrere internationale Abkommen, Embargos und Gesetze. Laut "geleaktem" Bericht soll der Zwergstaat Ruanda die Rebellengruppe "M23" nicht nur ins Leben gerufen, sondern auch Waffen, Munition und Geheimdienstinformationen geliefert haben. Außerdem fänden sich Hinweise darauf, dass wichtige militärische Operationen und deren strategische Planung aus dem ruandischen Verteidigungsministerium heraus koordiniert würden. Sogar von der Rekrutierung von Kindersoldaten und Ermutigung zur Desertion ist die Rede.

Die Vorwürfe, die die UN-Experten gegen Uganda erheben, sind weitaus weniger schwer, bergen jedoch ebenso einigen Zündstoff. Diesem mutmaßlichen Delinquenten halten die Verfasser des Berichts vor allem vor, dass er den politischen Arm von M23 in Kampala gewähren ließe. Auch wenn die ugandische Einmischung insgesamt subtiler sei, gäbe es aber auch hier Hinweise auf militärische und strategische Unterstützung.

Die Rebellengruppe M23 gründete sich im April 2012 und sieht ihre Legitimation im Missachten der Vereinbarungen eines Friedensabkommens von 2009. Dieses war am 23. März 2009 (daher der Name M23) zwischen der kongolesischen Regierung und dem "Congrès National pour la Défense du Peuple" (CNDP), einer Vorgängerorganisation der heutigen M23, geschlossen worden und beinhaltete die Integration der CNDP-Rebellen in die kongolesische Armee ("Forces Armées de la République Démocratique du Congo", FARDC). Dabei sollte der ehemaligen CNDP eine gewisse Autonomie in der Militärführung gewährt werden.

Bosco Ntaganda, seinerzeit Führer der Rebellengruppe, war maßgeblich für den Aufbau dieser Parallelstrukturen innerhalb der FARDC verantwortlich. Zusätzlich wurden im Vertragsschluss weitere Maßnahmen zur Versöhnung festgehalten, wie unter anderem die Anerkennung der CNDP als politische Partei und die Freilassung politischer Gefangener. Entgegen der vertraglich festgehaltenen, hehren Absichten zeigte sich jedoch, dass die kongolesische Regierung im weiteren Verlauf wenig Interesse an der tatsächlichen Umsetzung des Abkommens zeigte.

Die Schwäche des kongolesischen Staates und seiner maroden Armee bieten den Nährboden für M23

Es rumorte im Ost-Kongo und die Frustration über das Nicht-Einhalten der Vertragspunkte stieg. Der Versuch aus Kinshasa, eben jene CNDP-FARDC Parallelstrukturen aufzulösen und die provokante Aussage von Präsident Joseph Kabila, dass eine Verhaftung des mittlerweile in Ungnade gefallenen und vom Internationalen Gerichtshof wegen Kriegsverbrechen gesuchten Bosco Ntagandas jederzeit möglich sei, brachte das Fass letztlich zum Überlaufen. Der überwiegende Teil der ehemaligen CNDP-Kämpfer meuterte und begann seinen gewaltsamen Aufstand. M23 besteht also in der Tat zu einem großen Teil aus desertierten Regierungssoldaten - bei genauerem Hinsehen drängt sich aber die Erkenntnis auf, dass es sich vielmehr um die Rebellen von gestern unter neuem Akronym handelt. M23 fordert nun die vollständige Durchführung des 2009 vereinbarten Abkommens und droht, solange kämpfen zu wollen, bis dieses Ziel erreicht ist.

Die jüngsten Ereignisse reihen sich zudem in eine Schwächung des kongolesischen Staates mit historischer Kontinuität ein. M23 ist nur ein Symptom einer Jahrzehnte währenden Krankheit. Seinen Anfang fand das Dilemma in der gnadenlosen Ausbeutung und Misshandlung durch den belgischen König, Leopold II., der sich den "Kongo-Freistaat" um die Jahrhundertwende als seinen Privatbesitz einverleibt hatte. Darauf folgten schließlich knapp 60 Jahre unter Kolonialherrschaft, inklusive der üblichen, damit verbundenen Fehltritte und bis heute spürbaren Wunden. Nach der Unabhängigkeit taten dann Jahrzehnte unter der Diktatur Mobutus, der Genozid in Ruanda, der "Afrikanische Weltkrieg", der 2. Kongo-Krieg und daraus resultierende Invasionen aus Nachbarstaaten ihr Übriges, um die DR Kongo heute auf wackeligen Beinen dastehen zu lassen.

Die Situation ist verfahren und wird durch das Mitmischen zahlreicher Akteure zusätzlich verkompliziert. Regierungen verschiedener Länder und ihre Truppen, Warlords und diverse andere Rebellengruppen, die Vereinten Nationen, sowie Gestalten aus Wirtschaft und Entwicklungshilfe - sie alle verfolgen im Kongo eigene Interessen. Hauptverantwortlich und günstiger Nährboden für den "Erfolg" von M23 ist indes die Schwäche des kongolesischen Staates und seiner maroden Armee. Die FARDC kann dem Vorrücken der Rebellen kaum etwas entgegensetzen und krankt an unbezahlten Löhnen und mangelnder Ausrüstung. Gleichwohl sind vermutlich aber auch die Stärke Ruandas und die Ineffektivität internationalen Krisenmanagements Wasser auf die Mühlen der Rebellion.

Ruanda unter der Regierung Paul Kagames wies den Bericht erwartungsgemäß scharf zurück. Die ruandische Seite bemängelt die - ihrer Meinung nach - oberflächliche, fehlerhafte Methodik der Studie und beklagt, dass sie selber zu den Anschuldigungen nie befragt worden sei. Man sieht sich als Prügelknabe, der für das Versagen von Kongo-Kinshasa und der internationalen Gemeinschaft herhalten muss. Auch die Rebellengruppe selbst bestreitet jegliche Unterstützung durch die Nachbarstaaten Ruanda und Uganda.

Die UN-Mission im Kongo hat ihre Ziele weitgehend verfehlt

Uganda fühlt sich schon durch den bloßen Verdacht der Kriegstreiberei so diffamiert, dass es mit Konsequenzen droht, die UN-Friedensmissionen auf afrikanischem Boden akut gefährden könnten. So warnt Kampala, dass man - sollten die Vereinten Nationen an ihren Anschuldigungen festhalten - die wichtige Truppenunterstützung der UN-Mission in Somalia abziehen und die Vermittlerrolle zwischen der kongolesischen Regierung und M23 aufgeben werde. Auch die bisher ergebnislosen Bemühungen der "Internationalen Konferenz der Großen Seen" (ICGLR), eine 4.000-Mann starke Einsatztruppe zur Lösung der M23-Krise auf die Beine zu stellen, wären ohne ugandische Unterstützung massiv gefährdet.

Politiker aus Kinshasa nahmen die Anschuldigungen des Reports begierig auf und drängten nun mehr denn je auf gezielte Sanktionen gegen die Aufrührer aus dem Ausland. Ein Sündenbock außerhalb des eigenen Machtbereichs kommt gerade recht, um verspielten Kredit im eigenen Land wettzumachen. Regierungssprecher Lambert Mende sieht sich in seinem Verdacht bestätigt, dass Kriminelle aus dem Ausland das Drama im Ost-Kongo anheizen. Neu seien für ihn eher die Vorwürfe gegen Uganda.

Derweil schaut der Rest der (westlichen) Welt mit Stirnrunzeln auf die neuerliche Wendung in den "Wirren" des Kongo. Ob der Komplexität des Konflikts und der Vielzahl der beteiligten Akteure zeigt man schon seit jeher nur halbherziges Interesse und beschränkte sich auf Anwendung von Schema F: Entsendung einer militärischen, friedenssichernden Einsatztruppe und hier und da ein Embargo oder eine Sanktion. Aufgrund des Verdachts der Wahlmanipulation im letzten Jahr ist die Motivation auf kongolesischer Seite, unterstützend aktiv zu werden, ohnehin nur sehr gering.

MONUSCO "United Nations Organization Stabilization Mission in the Democratic Republic of the Cong"), so heißt die seit 1999 in DR Kongo stationierte Friedensmission, verschlang gewaltige Finanzmittel und kann dabei kaum Erfolge verbuchen. Den Kernpunkt des Mandats, den Schutz von Zivilisten hat sie nur unzureichend erfüllt. Der Mission fehlen einfach die notwendigen Kapazitäten, um die Schwächen der kongolesischen Armee auszugleichen. Zudem wird MONUSCO kaum noch als neutraler Akteur wahrgenommen - zu ungeschickt und zu eindeutig hat sie in der Vergangenheit blind mit der kongolesischen Armee zusammengearbeitet.

Ruanda nimmt in der Beziehung zur internationalen Gemeinschaft einen Sonderstatus ein

Die internationale Gemeinschaft reagierte auf den neuesten UN-Bericht ambivalent. Einerseits misst man den Anschuldigungen einen gewissen Wahrheitsgehalt zu oder hegt zumindest Zweifel an der Aufrichtigkeit der Beschuldigten. Als Reaktionen haben einige Geber, darunter auch Deutschland und die Europäische Union, Hilfszahlungen an Ruanda vorerst eingefroren. Das Land ist in großem Umfang von ausländischen Geldgebern abhängig und verurteilte die Zahlungseinstellungen als vorschnell und ungerechtfertigt. Andererseits stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen aber dem künftigen Sitz Ruandas im UN-Sicherheitsrat zu und erlaubt es dem Land so, etwaige Sanktionen schon im Keim und auf höchster Ebene zu ersticken.

Ohnehin nimmt Ruanda in der Beziehung zur internationalen Gemeinschaft einen Sonderstatus ein. Das Land gilt als Musterschüler Afrikas, als erfolgreiches Modell von Postkonfliktaufbau. Zudem stellt Ruanda zuverlässig Truppen für UN-Friedensmissionen zur Verfügung und ist führend bei der Erfüllung der "Millenium Development Goals" (MDG). Auch die Schuld der internationalen Gemeinschaft, den ruandischen Genozid 1994 nicht gestoppt zu haben, führt dazu, dass man bei Ruanda mehr Nachsehen hat als bei anderen afrikanischen Staaten mit weniger qualvoller Geschichte.

Nichtsdestotrotz kann man sich die Motive Ruandas für ein potentielles Einmischen in kongolesische Angelegenheiten gut ausmalen. Der Osten des Kongo ist reich. Eine wahre Goldgrube - im wahrsten Sinne des Wortes. Doch auch Diamanten, Kupfer, Kobalt, Coltan, Mangan und Uran wecken Begehrlichkeiten. Automobil-, Elektro- und Luftfahrtindustrie sind stark von kongolesischen Konfliktmineralien abhängig und so könnte sich Ruanda ein Stück vom Kuchen sichern wollen - bevor der Rest der Welt diesen Ressourcenreichtum gierig geplündert hat.

Ein weiterer Beweggrund für Ruandas Engagement im kongolesischen Teil der Region der Großen Seen ist die Bekämpfung dort agierender ruandischer Rebellengruppen. Nach dem Genozid geflohene Hutu-Milizen wie die "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (FDLR) haben sich im Ost-Kongo verschanzt. Dieser Rückzugsort ist nur wenige Kilometer von Kigali entfernt und eine konstante Bedrohung für ruandische Sicherheitsinteressen. Nun könnte Ruanda also das Zepter selbst in die Hand genommen haben. Insbesondere auch deswegen, weil die kongolesische Armee augenscheinlich nicht dazu in der Lage ist, selbst für eine Befriedung des Ost-Kongo zu sorgen.

Etwa eine halbe Millionen Menschen sind auf der Flucht

Schon in der Vergangenheit hat Ruanda nachweislich die Initiative ergriffen und entweder selbst militärisch im Osten des Kongo interveniert oder sich dazu einer der Myriaden von Rebellengruppen als Stellvertreter-Armeen bedient. Die Anschuldigungen sind also keinesfalls aus der Luft gegriffen. Vieles weist darauf, dass Ruanda in der Causa M23 seine Finger im Spiel hat - in welchem Ausmaß, kann jedoch nicht endgültig beantwortet werden.

Die Folgen des jahrzehntelangen Konflikts treffen auch diesmal insbesondere Zivilisten der betroffenen Regionen. Etwa eine halbe Millionen Menschen sind auf der Flucht. Keine der Konfliktparteien hat dabei eine weiße Weste.

Menschenrechtsbeobachter beklagen Hinrichtungen, Vergewaltigungen, Brandstiftung, Entführungen und Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten. Aufgrund schlechter Hygienebedingungen besteht jederzeit die Gefahr eines Seuchenausbruchs. Insgesamt hat die verfahrene Situation im Ost-Kongo höchstwahrscheinlich schon Opferzahlen in Millionenhöhe verursacht.

Diese Zustände zu ändern, daran arbeiten mit großer Anstrengung lokale, afrikanische Institutionen wie Afrikanische Union (AU), ICGLR und die "Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft" (SADC). Deren regionale Lösungsansätze sind sehr viel effektiver und glaubwürdiger als die teuren, kolossalen Fehlschläge der internationalen Gemeinschaft, da sie die Komplexität des Konflikts besser zu verstehen suchen und erkannt haben, dass auch M23 nicht nur einen irrationalen Kampf um des Kämpfens willen führt, sondern - so schwer dies aufgrund der Brutalität der Ereignisse auch erscheinen mag - die Forderungen und von den Rebellen aufgezeigte Missstände ernstgenommen und angehört werden müssen.

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