34 Millionen Deutsche spielen regelmäßig Videospiele. Für manche wird das Zocken zur Sucht. So wie bei unserem Autor Marvin Ku. Sieben Jahre nachdem er sich aus dem Sog der virtuellen Welt gelöst hat, begleitet er einen Jungen, der gerade versucht, sich zu befreien.
"Fuck, ich sterbe, nicht gut, nicht gut!", ruft Leon und presst seinen Daumen gegen den Joystick. Über den Bildschirm rennt eine klotzige Figur. Vor ihr Wälder und Wüsten, Seen und Berge. Hinter ihr eine Meute Zombies, mit eckigen Köpfen und Händen. Der Drehstuhl ächzt, als Leon sich vorbeugt, sein Zeigefinger zuckt auf die Taste, klack, klack, klack, mit einem violetten Schwert kloppt er auf die Monster ein, die in kleine bunte Blöcke zerbersten.
"Pling." Von links schiebt sich ein kleines gelbes Fenster ins Bild: Nur noch fünf Minuten, steht da. "Boah, bitte nicht jetzt", sagt Leon, "hier sind so viele Monster." Die Sekunden ticken herunter: 4:58. 4:57. 4:56.
Es ist ein Abend im Frühling, draußen verschwindet Berlin in der Nacht. Ein Kinderzimmer. Neben dem Bett stapelt sich ein Wäscheberg, an der Wand summt ein Aquarium, der Schreibtisch ist überdeckt mit vollgekritzelten Schreibblöcken und Karteikarten, mit zerknülltem Süßigkeitenpapier und Mangabüchern. Dahinter sitzt Leon Schurmann, ein Teenager mit Brille, weichen Gesichtszügen und Zahnspange. Er ist 16 Jahre alt und knapp 1,90 Meter groß, aber auf dem Stuhl bemerkt man seine Größe nicht, er wirkt wie zusammengefallen.
Es ist der Abend vor einer wichtigen Prüfung. Zehnte Klasse, Realschulabschluss. Davon hängt ab, wie es für Leon weitergeht, wo es weitergeht. Er sagt, er habe zum ersten Mal in seinem Leben ein Ziel, auf das er hinarbeiten wolle: den Wechsel auf eine neue Schule, das Abitur bestehen. Dafür braucht er morgen eine gute Note.
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