Anfang Jahr kündigte das deutsche Pharmaunternehmen BioNTech klinische Studien an: Es will in den nächsten Jahren bis zu 10 000 Patientinnen und Patienten mit mRNA-Impfungen gegen Krebs behandeln. Und an der Jahrestagung der Amerikanischen Vereinigung für Krebsforschung (AACR) im April präsentierten Moderna und Merck vielversprechende Ergebnisse einer Phase-2-Studie zu mRNA-Impfungen bei Patientinnen und Patienten mit schwarzem Hautkrebs. Wie haben Sie diese Nachrichten aufgenommen?
Das sind gute Nachrichten. Für einen wie mich und für alle, die sich im Bereich Krebstherapie auskennen.
fullscreen© Valentin Flauraud
Sie selbst haben bereits zu Krebs-Immuntherapien geforscht, als Onkologen diese noch belächelten, richtig?
Ja, das ist so. Ich bin Internist und habe schon sehr lange mit Krebskranken zu tun, sowohl als Arzt als auch als Forscher. Nach meinem Staatsexamen im Jahr 1982 bin ich schon bald bei der Immunologie gelandet. Während einer fünfjährigen Ausbildung beim späteren Nobelpreisträger Rolf Zinkernagel habe ich gesehen, dass man mit der Immunologie sehr viel Neues machen kann. Wie ungemein kräftig Immunzellen sind, erlebte ich Anfang der 1990er Jahre am Universitätsspital Genf bei der Arbeit mit Leukämiepatienten, bei denen man mit Chemotherapie und Strahlentherapie nicht mehr weiterkam. Seit den 1980er Jahren hatte man begonnen, solchen Patienten Knochenmark eines gesunden, passenden Spenders zu transplantieren. Erst dachte man, das alte blutbildende System, das auch die Krebszellen hervorbringt, werde einfach durch die neuen Knochenmarkszellen ersetzt. Dann stellte sich aber heraus, dass die Immunzellen des Spenders die Leukämiezellen des Patienten aktiv zerstören. Ich habe mehrfach miterlebt, wie Patienten, die ohne Therapie innerhalb der nächsten Tage gestorben wären, ihren Krebs zurückdrängten. Das Immunsystem hat die zum Teil enormen Mengen von Leukämiezellen innert Tagen zerstört.
Da stellte sich natürlich die Frage: Können wir das auch ohne Transplantation erreichen? Daran habe ich geforscht und gearbeitet, seit ich 1997 nach einem Forschungsaufenthalt in Kanada zurück nach Lausanne kam, ans Universitätsspital und ans Ludwig Institute for Cancer Research.
Dort haben Sie unter anderem an Krebs-Impfungen geforscht.
Ja. Wir gehörten zu den Ersten, die solche Impfstoffe an Patientinnen und Patienten ausprobierten, und wir haben damit auch kleine Erfolge erzielt. Insgesamt haben wir etwa zehn Studien zum Thema gemacht, jedes Mal mit 20 bis 50 Patientinnen und Patienten mit metastasiertem schwarzem Hautkrebs, bei denen Chemotherapie und Strahlentherapie nicht halfen. Einen riesigen Durchbruch erreichten wir nicht, und leider starb auch bei uns die Mehrzahl der Patienten. Aber in drei unserer Studien mit insgesamt knapp 100 Patientinnen und Patienten konnten wir eine starke Aktivierung des Immunsystems als Folge der Impfung nachweisen. Und etwa 15 bis 30 Prozent haben überlebt. Einige leben bis heute, entgegen aller Statistik.
Wir hätten sehr gern auch eine Phase-3-Studie mit Krebs-Impfungen gemacht. Ich bin heute noch überzeugt davon, dass wir damit einen Durchbruch hätten nachweisen können. Aber leider konnten wir keine Geldgeber überzeugen. Damals glaubte noch kaum jemand daran, dass man solides Krebsgewebe mithilfe des Immunsystems eliminieren kann.
Wie genau funktionieren Impfungen gegen Krebs?
Alle Impfungen wirken unter anderem auf die sogenannten T-Lymphozyten, kurz T-Zellen oder Killerzellen - also diejenigen Zellen unseres Immunsystems, die kranke Körperzellen gezielt zerstören können, sofern sie sie erkennen. Im Fall einer Viruserkrankung tun sie dies anhand von Virus-Antigenen, die infizierte Zellen an ihrer Oberfläche präsentieren. Auch Krebszellen haben an der Oberfläche Krebs-Antigene.
In den 1980er und 1990er Jahren forschten wir zunächst im Tierversuch zu solchen Krebs-Antigenen, auch solchen vom schwarzen Hautkrebs. Wir stellten diese sogenannten Peptide oder Eiweiss-Stückchen zuerst selbst im Labor her, später haben wir sie machen lassen. Solche Peptide haben wir später auch unseren Patienten als Impfstoff gespritzt - in der Hoffnung, dass die Killerzellen dadurch aktiviert werden, sich vervielfältigen und im Körper ausschwärmen, um Krebszellen zu finden und zu zerstören.
Die Krebszellen und damit auch diese Krebs-Antigene sind doch bereits vor der Impfung im Körper, und die Killerzellen haben sie bis dahin offenbar nicht bekämpft. Was ändert sich durch die Impfung?
Im Unterschied zu einer akuten Viruserkrankung, bei der im ganzen Körper massenhaft Killerzellen auftreten, gibt es bei Krebs viel weniger. Krebs-Antigene sind meist weniger markant als beispielsweise Virus-Antigene. Das verbessert sich durch die Impfung, welche es erlaubt, dem Immunsystem Krebs-Antigene in grossen Mengen zu präsentieren.
Schon vor circa zwanzig Jahren konnten wir mit unseren Studien zeigen, dass die T-Zellen bei Krebspatienten durch eine solche Impfung zünftig aktiviert wurden, mehr als durch die meisten anderen Krebstherapien, und vergleichbar mit der Situation einer akuten Viruserkrankung. Bei Viruserkrankungen bestreitet niemand, dass die T-Zellen entscheidend sind für die Genesung. Aber bei Krebs war der Konsens in den 1990er Jahren: Nein, die T-Zellen sind hier zu schwach. Wir konnten zeigen, dass diese Ansicht falsch ist.
Im menschlichen Körper bilden sich häufig einzelne Krebszellen, die dann vom Immunsystem erkannt und zerstört werden, ohne dass wir erkranken. Erst wenn das nicht mehr funktioniert, kann der Krebs wachsen und sich ausbreiten. Krebszellen haben dann oftmals gelernt, das Immunsystem zu umgehen und die T-Zellen zu stoppen, sodass die Immunantwort eben nicht wie gewohnt stattfinden kann.
Ja, das ist so. T-Zellen verfügen an ihrer Oberfläche über Rezeptoren, sogenannte Checkpoints, die sie in ihrer Aktivität bremsen, sobald gewisse Moleküle daran binden. Wenn eine T-Zelle einer gesunden Körperzelle begegnet, signalisieren diese Rezeptoren: Alles in Ordnung, du kannst mich in Ruhe lassen. Leider benutzen Krebszellen die gleiche Strategie, und werden so fälschlicherweise auch in Ruhe gelassen.
Hier setzen die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren an. Die medikamentös verabreichten Antikörper blockieren die Checkpoints, und ohne diese Bremsen können die T-Zellen wieder angreifen und den Krebs bekämpfen. Ein erster solcher Antikörper wurde 2011 als Medikament gegen Schwarzen Hautkrebs zugelassen. Heute sind bereits über zehn solcher Antikörper im Einsatz, gegen verschiedene Krebsarten.
Eine Krebs-Impfung, die den Immunzellen quasi einmal mehr zeigt, wie die krankmachenden Krebszellen aussehen ... Kann sie allein wirken, oder wird sie nur in Kombination mit einer Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren wirksam sein?
Das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich wird eine Impfung allein nicht ausreichen, um Krebs erfolgreich zu bekämpfen. Absolut möchte ich das nicht sagen, da muss man vorsichtig sein. Ich gehe aber davon aus, dass man Krebs-Impfungen in Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren einsetzen wird, wie dies nun auch in den klinischen Studien von Moderna und Merck gemacht wurde.
Das Fachmagazin "Science" erklärte die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren 2013 zum "Durchbruch des Jahres". Erwarten Sie in den nächsten Jahren einen ähnlich grossen Durchbruch bei den mRNA-Impfungen gegen Krebs?
Nein, das wäre schon ein enormer Glücksfall. Dass eine neue Therapie so universal funktioniert wie dieses Checkpoint-Prinzip, das passiert nur sehr selten, vielleicht so ein bis zwei Mal alle 100 Jahre.
Aber Krebs-Impfungen haben aus meiner Sicht grosses Potenzial, die Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren zu verbessern. Denn bis heute kann leider erst eine Minderheit der Patientinnen und Patienten davon profitieren.
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Warum?
Der Hintergrund ist: Für eine wirksame Immunantwort müssen die T-Zellen überhaupt erst aktiv sein, sonst passiert gar nichts, auch mit Checkpoint-Blockade. Antigene in Form einer Impfung könnten die T-Zellen aktivieren. Kombiniert mit den Checkpoint-Blockaden können diese dann wie wild los - und zwar vor allem die durch die Impfung aktivierten spezifischen T-Zellen und nicht solche, die auch gesundes Gewebe angreifen und unerwünschte Autoimmun-Reaktionen auslösen können. Das heisst, im Idealfall wird die Immuntherapie durch Impfungen wirksamer, während die Nebenwirkungen kleiner werden.
Die ersten Resultate der Moderna-Merck-Studie zeigen einen deutlichen Vorteil einer kombinierten Therapie im Vergleich zu Checkpoint-Inhibitoren allein.
Was sind denn die häufigsten Nebenwirkungen von Immuntherapien gegen Krebs?
Das ist ein wichtiger Themenkreis. Die Organe, die empfindlich sind für Autoimmun-Reaktionen sind beispielsweise der Darm oder die Leber. Darmentzündung oder Hepatitis können Nebenwirkungen sein. Auch bei hormonproduzierenden Organen wie Hirnanhangdrüse, Nebenniere, Schilddrüse, und weiteren kann es zu Entzündungen kommen, was hormonelle Störungen zur Folge haben kann. Auch Lunge, Haut und weitere Organe können sich entzünden.
Bei starken Autoimmun-Reaktionen muss man unter Umständen mit der Immuntherapie zurückfahren. Wenn Krebs-Impfungen die Nebenwirkungen von Immuntherapien verringern könnten, wäre das ein wichtiger Schritt.
Sie forschten an Impfungen mit krebsspezifischen Peptiden. Die aktuellen klinischen Studien sind alle mit sogenannten mRNA-Impfstoffen, die patientenspezifisch sind.
Richtig. Krebszellen mutieren wie wild, und die Zusammensetzung der Krebs-Antigene ist bei jedem Krebspatienten und jeder Krebspatientin anders. Die mRNA-Technologie erlaubt es, innert weniger Wochen eine personifizierte Impfung herzustellen, nachdem man die Krebszellen des Patienten oder der Patientin analysiert und die wichtigsten Mutationen und Antigene identifiziert hat. Mit der mRNA wird den Patientinnen und Patienten der Bauplan für krebsspezifische Antigene gespritzt, die sie dann in ihrem Körper selbst herstellen.
Sind diese gross angelegten klinischen Studien mit mRNA-Impfungen also auch ein Schritt in Richtung personalisierter Krebsmedizin?
Ja. Dass man mit diesen mRNA-Impfungen patientenspezifische Behandlungen macht, ist ein sensationeller Durchbruch. Dafür haben wir uns sehr lange eingesetzt. Und vonseiten der Pharmaindustrie und Zulassungsbehörden hiess es da lange: Das könnt ihr vergessen. Jede Behandlung muss erst über längere Zeit auf Herz und Nieren geprüft werden, bevor sie zugelassen wird.
Es ist noch heute so: Wenn Sie eine klinische Studie machen, müssen Sie erst das Arzneimittel produzieren. Daran scheitert leider oftmals die Entwicklung neuer Therapien, weil Sie dafür Millionen ausgeben müssen, selbst wenn Sie zunächst nur eine kleine Anzahl von Patienten behandeln wollen.
Dank neuen Techniken wie mRNA oder Peptiden, aber auch dank Fortschritten in der Arzneimittelprüfung werden diese Hindernisse jetzt allmählich abgebaut, sie sind aber immer noch gross. Es gibt noch viel zu tun, damit wir endlich mehr Patientinnen und Patienten mit hartnäckigen Tumoren helfen können.