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Welche Bedeutung haben Parteien noch für Kommunalpolitiker?

Der Unterschied zwischen Ortsverband und Bundespolitik könnte nicht größer sein. Für Politiker vor Ort wird das zum Spannungsfeld, sobald "die da oben" Mist bauen.

Schon fast als lehrbuchhaft könnte man die CSU-Karriere von Christian Menig beschreiben. Aus der Marktheidenfelder Feuerwehrjugend heraus wurde er für die Stadtratsliste rekrutiert. "Als 20-Jähriger gefragt zu werden, da ist man natürlich stolz." Kurz danach trat er also in die CSU ein. Eine Legislaturperiode später schaffte er es in den Stadtrat, 2014 kandidierte er dann für die CSU als Bürgermeister.


Ohne Parteien wäre eine Demokratie wie sie in Deutschland praktiziert wird, unvorstellbar. Jede Partei ist eine Demokratie in sich, ein Sammelbecken von Menschen mit ähnlichen Werten. Idealerweise zumindest. In Regierungsverantwortung wird nämlich dann gern mal das Gegenteil beschlossen und "Realpolitik" genannt – oft zum Leidwesen der Partei-Mitglieder, die sich von "denen da oben" dann am heimischen oder dem digitalen Stammtisch abgrenzen müssen.


Denn eins wird oft übersehen: dass nicht nur eine vertikale Trennlinie zwischen den Parteien verläuft (Union, SPD, Grünen, FDP, Linke und so weiter). Innerhalb der Parteien gibt es auch noch eine horizontale, die zwischen Bundes-, Landes-, Kreis- und Kommunalebene. Jede Ebene funktioniert anders und entscheidet über unterschiedliche Themen. Auf der untersten Ebene, den Gemeinden und Städten, ist Parteipolitik sogar oft unerwünscht. Etwa neun von zehn Beschlüssen fallen deshalb einstimmig. Inwiefern hat eine Mitgliedschaft für einen Kommunalpolitiker also überhaupt noch eine Bedeutung, wenn man, wie es der Frammersbacher Bürgermeister Christian Holzemer so schön ausdrückt, nicht in der SPD sein muss, um einen Spielplatz zu bauen?


Trotzdem ist er Parteimitglied in der SPD. Trotzdem ist Isabel Frohnapfel, Stadträtin in Karlstadt, auch in der CSU, obwohl sie mal einen Ortsverband der "Linken" gründen wollte. Und gerade deswegen wird Christian Menig zwar in der Stadtratsfraktion der CSU bleiben, aber vielleicht bald ohne Mitglied der Partei zu sein.


Wie fängt das an zwischen Partei und Politiker?

Um das Verhältnis zwischen Partei und Kommunalpolitiker zu verstehen, fängt man am besten am Anfang an: beim Erstkontakt. Wie landeten die drei in ihren Parteien? Aus Interesse an der Kommunal- oder Bundespolitik? Und hätte es eine andere auch sein können?  


Christian Menig beantwortet diese Fragen so: "Der Manfred Stamm von der CSU hat mich als erstes gefragt." Und wenn zum Beispiel die Freien Wähler vorher dran gewesen wären? Menig: "Ich stand den Werten der CSU schon nahe. Damals hätten es vielleicht auch die Freien Wähler sein können, aber inzwischen habe ich mit ihnen nicht mehr viel gemein."

Bei Isabel Frohnapfel war es ähnlich. Der Vater SPDler, die Mutter der CSU nahe. Lange sah es aus, als käme die Tochter parteipolitisch nach dem Vater. Nicht nur das: "Als ich meinen Mann kennengelernt habe, hatte er auf der Beifahrerseite einen Sticker, auf dem grob gesagt stand: Kein Airbag für die CSU", sagt Frohnapfel und lacht. Dass sie heute CSU-Mitglied ist, liegt daran, dass die CSU einfach vor der SPD fragte, ob sie auf die Stadtratsliste wolle. "Ich war sehr geprägt aus den Stoiber-Jahren, aber ich habe mich dann mit den eigentlichen Werten der CSU auseinandergesetzt. Das Soziale, die Mitte: das hat mich überzeugt." Sie hätte auch ohne Parteieintritt auf der Liste stehen können, "aber wenn ich es mache, dann richtig".


Christian Holzemers Politisierung begann anders, Ende der 90er mit dem Wahlkampf von Bundeskanzler Helmut Kohl (Union) und Gerhard Schröder (SPD). "Alle wollten damals einen Politikwechsel", sagt er heute. Weil er auch als Jugend- und Auszubildendenvertreter bei Bosch Rexroth tätig war und sich für ein Jugendzentrum in Frammersbach engagierte, lag für ihn die SPD nahe. "Ich schätze die CSU im Ort sehr, aber ich könnte nicht in der Partei sein." Dann fügt er noch kurz an: Die Maskenaffäre sei ja nicht der erste Skandal gewesen.


Wie Kommunalpolitiker zu ihren Parteien stehen

Nun ist es nicht so, als würde alles in der SPD tipptopp laufen. Und wenn Holzemer etwas nicht passt, dann sagt er das auch. Vor kurzem rüffelte er zum Beispiel den Münchner SPD-Bundestagsabgeordneten Florian Post, der die Klimaaktivistin Greta Thunberg als "Rotzgöre" bezeichnete.


Merkt Holzemer, ob das Image der Landes- und Bundespartei auf die kommunale Ebene zurückfällt? "Nicht bei mir persönlich, aber beim Ortsverband." Zu Austritten käme es zwar selten, sagt er. Aber das Interesse und damit die Eintritte nähmen lokal ab, wenn die Partei gerade nicht so gut da stehe. 


Viel konkreter bekommt da anscheinend Isabel Frohnapfel Rückmeldung. "In gewisser Weise ist man schon Prellbock. Aber ich fühle mich nicht für Quatsch verantwortlich, der da oben passiert." Sie selbst bekomme ja auch Panik, wenn irgendwo in Deutschland CDU und AfD zusammenrücken. Eine Zusammenarbeit wäre für sie ein Austrittsgrund. 

Noch ist Christian Menig in der selben Partei wie Frohnapfel. Er hadert jedoch weit intensiver mit der CSU, man könnte den Herzblutpolitiker sogar schon als politikverdrossen beschreiben. Diese Unzufriedenheit sah jeder schon vor zwei Jahren, als Menig nicht mehr für die CSU im Kreistag kandidieren wollte und stattdessen die Kreistagsliste "UGM - Unabhängig gemeinsam für Main-Spessart" initiierte. Die Stadtpolitik sei direkter, man erreiche schneller etwas, sagt Menig. Schon auf Kreisebene dauere alles zu lange, in der CSU-Fraktion hatte er das Gefühl, nicht genug zu erreichen.  

In der Pandemie verlegt sich dieses Gefühl sogar noch eine Ebene höher. Es werde zwar nie eine Partei oder eine Fraktion geben, in der alle übereinstimmten, sagt Menig. Aber die Landes- und Bundespolitik seiner Partei sei aktuell völlig chaotisch, CSU und CDU würden an der Realität vorbeiregieren. "Und jetzt steht das Land bis zur Wahl still", schimpft Menig.


Welchen Wert Parteien in der Kommunalpolitik haben

Am Wahltag ist es für Bürger ja normal, auf dem Stimmzettel zwischen den Fraktionen hin- und herzuspringen. Könnten Politiker das vielleicht nun auch vermehrt in Erwägung ziehen? Listen wie die UGM oder die Freien Bürger machen das ja bereits vor. 


Dafür könnte sprechen, dass die Ortspolitik vielmehr an Einzelpersonen hängt als überortliche Politik. Unterschiedliche Orte, unterschiedliche Voraussetzungen, unterschiedliche Einstellungen. So erklärt sich auch, warum zum Beispiel die Freien Wähler in Marktheidenfeld manchmal so scheinen, als wollten sie die Grünen beim Grün-sein überholen, während Isabel Frohnapfel die Freien Wähler in Karlstadt wiederum als wirtschaftsfreundlicher als die CSU empfindet. 


Ist bei den Lokalpolitikern überhaupt noch ein parteipolitischer Einschlag erkennbar? "Die Grundsatzentscheidung trifft der Gemeinderat, aber in Nuancen kann das schon sein, dass ich einen habe", sagt Bürgermeister Holzemer. "Mir ist sehr wichtig, dass wir etwas für Familien, Vereine und Kultur machen. Aber das wollen wir ja alle." 


Und hier kommen dann doch die Vorzüge einer Partei ins Spiel. Holzemer: "Jede Gemeinde hängt an irgendwelchen Fördertöpfen. Es gibt kaum etwas, was nicht mit anderen Ebenen abgestimmt werden muss. Wenn man dort Ansprechpartner hat, hilft das enorm." Bei der CSU gibt's dafür WhatsApp-Gruppen", erzählt Frohnapfel. Sie fragt, der Bundestagsabgeordnete antwortet. "Ich brauche ein Netzwerk, um zu arbeiten."


Sie gibt jedoch zu, dass sie auch schon die ein oder andere verärgerte Nachricht geschrieben hat. Das ist der zweite Vorteil eine Parteimitgliedschaft: Die Lokalpolitiker nutzen den direkt Draht zur nächsten Politikebene für Feedback. Holzemer drückt das so aus: "Der Bund ist Berlin-zentrisch." An der Lebensrealität seien Kommunalpolitiker näher dran, die Belange der Bürger können so nach oben fließen. "Deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass es von Europa bis runter in die Kommunalpolitik Parteien braucht." 


Wie parteitreu wählen denn die Politiker?

Eine letzte Frage muss dann doch noch sein. Wie parteitreu wird, wenn es darauf ankommt, denn gewählt? 


Bürgermeister Holzemer sagt: "Ich bin im Herzen Sozialdemokrat, egal was die in Berlin gerade fabrizieren."


CSU-Stadträtin Frohnapfel sagt: "Ich habe bei der letzten Kommunalwahl 90 Prozent Frauen gewählt, über die Parteien hinweg. Da sind wir einfach so krass unterrepräsentiert, da fehlt's."


Noch-CSU-Mitglied Menig grinst. Kein Kommentar.

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