Hätte er damals schon gewusst, wie kompliziert das alles wird. Wie oft der rote Abschiebe-Stempel über seinem Pass schweben, zwischendrin auch mal drauf landen wird. Wie viele Wartenummern, wie viele Briefmarken, wie viele Nerven es ihn kosten würde. Wie vielen neuen Sachbearbeitern und Paragrafen er gegenüber stehen würde. Hätte er das alles damals schon gewusst, vielleicht wäre er doch nach Amerika gegangen. Oder Israel. Aber Dmytro Kolomiyets, 32, will Deutscher werden.
Um Deutscher zu werden, reichen selbst Pünktlichkeit, fristgerechte und lückenfreie Steuererklärung, akzentfreie Aussprache von Wörtern wie Aufenthaltstitel, Schengen-Visum und Fiktionsbescheinigung, jüdische Abstammung, verfolgte Großeltern und abgeschlossenes Studium nicht aus. Man braucht Idealismus, Durchhaltewillen und eine wirkliche Zuneigung zu diesem Land. Die hat Dmytro Kolomiyets. Er sagt: "Das hier ist mein zu Hause."
"Das hier" ist etwa die sehr aufgeräumte Einzimmerwohnung in Obersendling, mit Zimmerpflanzen, Sprudelwasser und einer Klimmzugstange in der Tür zur Küche. "Das hier" sind seine Freunde, seine Familie in München, ist diese Stadt selbst und ist der Westen, in dem "nicht alle scheißkorrupt sind und mit geklautem Geld prahlen" wie in Kiew.
Man hört ihm Kiew nicht an. Kolomiyets - groß, helle, wache Augen - erzählt mit tiefer, ruhiger Stimme und in fehlerfreiem Deutsch. Ab und zu zögert er, überlegt, etwa ob jetzt das Wort "Empathie" oder "Sympathie" besser passt, wenn er seine Gefühle gegenüber westlichen Werten beschreiben will. Und irgendwie passen beide.
Kolomiyets meint es ernst mit Deutschland. Er will das durchziehen. "Ich will die Zukunft mitbestimmen in dem Land, in dem ich meine Kinder großziehe." Vor ihm auf dem quadratischen Esstisch liegt ein Ordner mit Briefen und Dokumenten, auf denen er mal Dmitrij, mal Dmytro heißt. Und mit einem Lachen, das auch ein Seufzen sein könnte, sagt er: "Hey, ich komme aus der Ukraine. Ich habe geringe Standards." Was es noch bei der deutschen Einbürgerung braucht: Humor.
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