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"Im Sinne des gesamten Behindertensports wäre das fatal"

Bild: rbb/Marius Dobers

Rollstuhlbasketball auf dem Prüfstand - "Im Sinne des gesamten Behindertensports wäre das fatal"

Wegen Verbandsstreitigkeiten droht dem Rollstuhlbasketball das paralympische Aus. Ein finaler Ausschluss könnte Konsequenzen für die deutschen Ligabetriebe mit sich bringen. Die Folgen bekämen auch die Berliner Vereine zu spüren. Von Marius Dobers


Als die Schlusssirene ertönt, jubeln die Rollstuhlbasketballer von Alba Berlin. Durch den soeben erspielten 60:43 Sieg gegen die Sportgemeinschaft Handicap aus Charlottenburg ist klar: Sie werden als Staffelsieger an der Relegation zur 2. Bundesliga teilnehmen. Die Spieler klatschen sich ab. Einige entsteigen ihren Spielgeräten. Denn nicht jeder Spieler von Head-Coach Santiago Ibanez ist auch außerhalb des Basketballfeldes an den Rollstuhl gebunden.

Und genau das ist ein Grund, wieso Trainer und Spieler schon kurz nach dem Spiel wieder nachdenklichere Töne anschlagen - dann nämlich, wenn es um die Zukunft ihrer Sportart im Gesamten geht.

Was passiert mit den "Fußgängern"?

Denn Ende Januar kam eine Meldung, die nicht nur die Rollstuhlbasketballer von Alba Berlin schockte: Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) hat Rollstuhlbasketball vorerst aus dem Programm der Spiele in Paris 2024 genommen. Auch für die kommenden Spiele, die diesen Sommer in Tokio stattfinden, droht das IPC mit einem Ausschluss. Der Internationale Rollstuhlbasketball Verband (IWBF) habe es versäumt, sein Klassifizierungssystem für die Athletinnen und Athleten an die neuen Guidelines des IPC anzupassen, heißt es.

Beim Rollstuhlbasketball werden die Spielerinnen und Spieler ihrer Beeinträchtigung entsprechend eingeordnet. 1,0 markiert dabei die höchste Beeinträchtigungsstufe, 4,5 die geringste. Aus den Werten der fünf Spieler auf dem Feld wird dann ein Gesamtwert errechnet, bei internationalen Wettbewerben darf dieser maximal 14 betragen. Diejenigen mit hoher Beeinträchtigung werden im Rollstuhlbasketball-Sprech "Lowpointer" genannt. Bei der Kategorie 4 und 4,5 spricht man von "Fußgängern". Die medizinische Einstufung ebenjener Fußgänger ist derzeit der große Streitpunkt. Bis zum 29. Mai hat der IWBF noch Zeit für diese Angleichung.

"Im Sport spielt das keine Rolle, ob jemand hinterher aufstehen kann oder nicht"

Die Fußgänger sind zum Beispiel attestierte Sportinvaliden. Sogenannte Minimalbehinderte, die außerhalb des Sports nicht zwingend auf den Rollstuhl angewiesen sind. Im deutschen Ligabetrieb dürfen auch Nicht-Behinderte mitwirken - eigentlich ein Musterbeispiel für Inklusion.

Dass sich der Rollstuhlbasketball so entwickelt hat, ist Ausdruck des stark integrativen Charakters der Sportart. Nach dem Zweiten Weltkrieg als Versehrtensportart entstanden, öffnete sich das Rollstuhlbasketball bald einem breiteren Publikum: "Es kam dann von den Rollstuhlfahrern, dass man auch die Nicht-Behinderten integriert. Im Sport spielt das keine Rolle, ob jemand hinterher aufstehen kann oder nicht", erklärt Martin Schmidt, Präsident der Sportgemeinschaft Handicap Berlin.

International sind Nicht-Behinderte grundsätzlich nicht spielberechtigt. Geht es nach dem IPC, sollen sich nun die Minimalbehinderten einer Reevaluierung unterziehen. Man sieht ansonsten die Integrität des Paralympischen Wettbewerbs gefährdet.Vielen Sportlerinnen und Sportler, die sich für Tokio qualifiziert haben, könnte bei negativem Bescheid die Teilnahme verwehrt werden. Derzeit sind allerdings alle Rollstuhlbasketballer von den Spielen in Tokio und den Folgespielen in Paris 2024 ausgeschlossen.

Fünf Regionalligateams in der Region

In Berlin wird Rollstuhlbasketball abseits der großen Öffentlichkeit gespielt. In der ersten und zweiten Bundesliga sind bislang keine Teams vertreten. Es ist eher Breiten- als Profisport bei familiärer Atmosphäre. "Viele, die hier sitzen, sind einfach die Familien, Freunde oder Bekannte", sagt Heiko Wille, Co-Trainer der Alba Rollis.

Die Spiele der Regionalliga Ost finden an gesammelten Spieltagen statt, insgesamt gibt es sieben Teams, fünf davon aus Berlin und Brandenburg. Neben den Alba Rollis sind die Pfeffersport Devils, die Sportgemeinschaft Handicap und die RSV Eintracht Teltow-Kleinmachnow-Stahnsdorf aus der Hauptstadt am Start, dazu kommen die Red Rollers aus Cottbus.

"Sportart rauszunehmen, wäre tödlich"

Das mögliche paralympische Aus beschäftigt auch die regionale Community: "Wenn im Fernsehen was von den Paralympics übertragen wird, dann eben oft Basketball. So eine Sportart jetzt rauszunehmen, wäre für den Sport allgemein tödlich", gibt Wille zu bedenken.

Die Sportart ist international angesehen. Dadurch, dass die gleichen Regeln wie beim Basketball gelten, erschließt sich das sportliche Geschehen schnell dem Publikum: "Es ist eine Sportart, die so attraktiv ist, dass sie den Behindertensport als Ganzes auch noch sehr viel bekannter macht. Es wäre im Sinne des gesamten Behindertensports fatal, wenn man das vor der breiten Öffentlichkeit ausschließen würde", meint Martin Schmidt (SGH).

Schwierigkeit der Sponsorenakquise

Die Rollstuhlbasketballvereine befinden sich ohnehin in einer schwierigen Position, was die Sponsorenakquise betrifft. Berlin als Sportstandort wartet mit zahlreichen Bundesligisten in unterschiedlichsten Sportarten auf. Sollte die Sportart auf paralympischer Ebene an Sichtbarkeit verlieren, könnten bisherige Engagements von der Rollstuhlbasketball-Bundesliga bis runter in den Breitensport geringer ausfallen.

Gelder, die fehlen würden. Denn neben den Materialkosten fallen in der Regionalliga zudem noch Fahrtkosten an, wie Christoph Pisarz, Koordinator der Pfeffersport Devils, erläutert: "Wir bewegen uns im Raum der neuen Bundesländer. Wir fahren nach Jena, waren schon in Zwickau oder in Cottbus.Das muss natürlich vorab geplant werden."

Lösungen gesucht

Luca Puppe von den Pfeffersport Devils war selbst Junioren-Nationalspieler. Der 20-jährige hat sich aus Perspektivgründen gegen eine Profikarriere entschieden. Die Paralympics sind aber der Traum seiner früheren Auswahlkollegen: "Ich habe auch mit Leuten Kontakt gehabt, die das als ganz klares Ziel immer vor Augen hatten. 90 Prozent der Rollstuhlbasketballer sagen dir wahrscheinlich: Mein Ziel ist es irgendwann bei den Paralympics dabei zu sein."

Nach der Bekanntgabe des vorläufigen Ausschlusses gaben sich der IWBF und weitere Verbände in ihren Statements optimistisch. Man glaubt daran, die Wogen zu glätten und den Sportlerinnen und Sportlern die Teilnahme an den Paralympics ermöglichen zu können. Im Sinne der Aktiven und des gesamten Sports. Martin Schmidt von der SGH meint: "Die Verantwortlichen müssen sich da zusammenraufen, weil die Alternative, dass es nicht stattfindet, ist für mich keine." Bis Ende Mai bleibt dafür noch Zeit.

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