Wir verfügen heute über eine in der Menschheitsgeschichte nie dagewesene Fülle an wissenschaftlichen Errungenschaften, die es möglich machen könnten, allen Lebewesen auf dem Planeten ein würdiges Leben zu gewährleisten. Trotz dieser Fortschritte ist es bisher nicht gelungen, die Armut breiter Teile der Weltbevölkerung oder zumindest den Welthunger zu besiegen. Im Gegenteil wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. Gleichzeitig führt die Aufrechterhaltung des Lebensstandards einer Minderheit von Menschen zu einer stetig wachsenden Belastung für die Umwelt.
Von dieser Situation geht der Ökonomie-Professor und ehemalige Minister für Energie und Bergbau Ecuadors, Alberto Acosta, aus. Und eines steht für ihn fest: "Die Welt braucht tief greifende, radikale Veränderungen." Einen möglichen Ansatz zu diesen Veränderungen sieht Acosta im "Buen Vivir" oder auch "Sumak Kawasay" (Quechua), im "Guten Leben".
Das "Buen Vivir" ist ein Konzept der indigenen Völker der Anden- und Amazonasgebiete und meint in seinem Kern das friedvolle Zusammenleben aller Menschen in Vielfalt und in Harmonie mit der Natur. Es basiert auf Gegenseitigkeit und Solidarität. Acosta geht nun in seinem Buch der Frage nach, inwiefern wir das Prinzip des "Buen Vivir" als alternative Lebensform in unserer modernen Welt verankern können.
Keine Option: westlicher Standard für alle
Dabei geht es Acosta nicht um eine Rückkehr in die Vergangenheit, noch will er einen indigenen Mystizismus heraufbeschwören. Er leugnet auch nicht die Erfolge und positiven Veränderungen, die der technologische Fortschritt erzielt hat und die seiner Meinung nach zum Aufbau des "Guten Lebens" beitragen können. Aber Acosta sieht eben auch die vielen Schattenseiten des sogenannten Fortschritts, die es zu bekämpfen gilt. Auf interessante Weise entlarvt er das westliche Konzept der "Entwicklung", das vor allem auf einer ständigen Anhäufung materieller Güter basiere und dabei weder soziale noch ökologische Verantwortung übernehme.
Viele sogenannte "unterentwickelte" Länder streben nach Entwicklung und haben dabei ständig einen westlichen Standard vor Augen, den die meisten von ihnen doch nie erreichen werden. Es muss allerdings gefragt werden, ob dies überhaupt wünschenswert wäre. Acosta warnt davor, "dass grenzenloses materielles Wachstum zum kollektiven Selbstmord führen könnte." Wir müssen uns klar machen, dass die Natur nicht unbegrenzt ausgebeutet werden kann. Ihre Ressourcen werden irgendwann aufgebraucht sein. Eine Welt, in der alle Länder nach westlichen Standards leben, kann also keine Option sein.
Acosta schlägt darum ein Wirtschaftsmodell vor, dass auf Suffizienz, Solidarität und Nachhaltigkeit gründet. Außerdem fordert er, dass sich die Wirtschaft der Ökologie unterwerfen muss, ohne dabei aber die Würde des Menschen aus dem Blick zu verlieren.
In Utopien denken
Das "Buen Vivir" ist kein Vorschlag für eine bessere, alternative Entwicklung. Vielmehr will es eine Alternative zur Entwicklung sein und darin liegt das Spannende und Andere an diesem Konzept.
Vieles in diesem Buch klingt nach Utopie, Acosta selbst leugnet das nicht. Letztlich müssten wir in Utopien denken, um eine bessere, gerechtere Welt zu gestalten. Wenn sich der Autor auch an manchen Stellen hätte kürzer fassen können - besonders in der ersten Hälfte des Buches werden gewisse Aspekte unnötig häufig wiederholt, anstatt einmal klar auf den Punkt gebracht zu werden - liefert er mit seinem Text doch einen wertvollen Beitrag zur Debatte um das "Buen Vivir" und zeigt zugleich Ideen für ein praktisches Handeln auf. Ein lesenswertes und inspirierendes Buch, besonders auch für uns Menschen der westlichen Welt. Alberto Acosta: Buen Vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben (Oekom Verlag, 208 S., 16,95 ?)
Autorin: Marike Schnarr