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Jungjournalisten zur Zeitungsdebatte: "Die Printindustrie hasst sich selbst" - SPIEGEL ONLINE

Sonja Salzburger: Meine These: Für junge Menschen ist die Tageszeitung nicht das richtige Medium. Eine Tageszeitung kaufe ich mir nur noch am Bahnhofskiosk für eine längere Zugfahrt. Auf Bahnstrecken hat mein Smartphone nämlich keinen guten Internetempfang. Ansonsten halte ich mich überwiegend online auf dem Laufenden. Ich bin nicht zu geizig, ein Abo zu bezahlen. Da ich häufig morgens nicht zu Hause bin, würde meine Zeitung oft ungelesen auf der Treppe im Flur liegenbleiben. Um trotzdem keine wichtige Nachricht zu verpassen, habe ich mir die Apps einschlägiger Medienmarken wie "tagesschau.de", SPIEGEL ONLINE oder "süddeutsche.de" heruntergeladen. Ich glaube, die Stärke von Tageszeitungen liegt in der Regional- oder Lokalberichterstattung. Diese Felder wecken allerdings eher selten mein Interesse. Vielleicht liegt es daran, dass ich seit meinem Studienbeginn in vier verschiedenen Städten gewohnt habe und mich momentan mit keiner Stadt richtig identifiziere. Womöglich werde ich mich mehr für Lokalnachrichten und Tageszeitungen begeistern können, wenn ich etwas älter und sesshafter geworden bin - aber ob es dann noch gute Blätter geben wird?

Sonja Salzburger (25) studierte Kommunikationswissenschaft, Soziologie und amerikanische Politik in Münster und Washington, D.C. Sie arbeitete für die "Neue Ruhr Zeitung", SPIEGEL ONLINE und die dpa.

Michel Penke: Ich bin angehender Journalist - und einer der Gründe auf zwei Beinen, an dem Verlage seit Jahren verzweifeln. Fehlende Zeit und zu hohe Kosten für meine Studentenbörse vergällen mir jede Tageszeitung. Nachrichten konsumiere ich nur digital - und kostenlos. Morgens lese ich mich einmal kurz durch die Medienlandschaft. Dazu noch eine europäische Presseschau, weil mich die häufig grundverschiedenen Meinungen unserer Nachbarn faszinieren. Als papiernen Anachronismus leiste ich mir nur eine Wochenzeitung, die ich bis zur nächsten Ausgabe gerade so schaffe. Kurzum: An mir verdient sich kein Verlag eine goldene Nase. Zu oft werfe ich die Hälfte der gedruckten Zeitung weg, weil mich Sport, Konzertrezensionen und Lokalnachrichten nicht interessieren. Eine personalisierte Ausgabe, die auf meine Interessen zugeschnitten Themen gewichtet und "meine" Zeitung druckt, ist angesichts der technischen Möglichkeiten längst überfällig. Ich will eine Zeitung, die mit mir redet. Nicht weil sie muss, sondern weil sie kann. Die ihre Leser fragt, welche thematischen Schwerpunkte durch Recherchen in den nächsten Wochen gesetzt werden sollen. Die zuhört. Und nicht Debatten über Dinge führt, die nur Journalisten interessiert.

Michel Penke (24)studierte Politologie und Philosophie in Heidelberg, bevor er an die Deutsche Journalistenschule ging. Er schreibt für die "Schweriner Volkszeitung" und das Goeth-Institut.

Marieke Reimann: Seit ich zu Hause ausgezogen bin, lese ich kaum noch Tageszeitung. Das war vor sechs Jahren. Stattdessen surfe ich morgens meine Lesezeichen ab - SPIEGEL ONLINE, "sueddeutsche.de", "faz.net" - um zu schauen, was die wichtigsten Nachrichten sind. Soll es ganz schnell gehen, gucke ich "Tagesschau" in 100 Sekunden übers Smartphone. Danach lese ich "kress", "meedia" und "dwdl", um zu wissen, was die Mediendienste über die Medien sagen. Selbstreflektion ist wichtig, finde ich. Gerade im Medienbereich. Und Selbstreflektion fehlt. Vor allem dann, wenn es um Onlinejournalismus geht.

Der Hauptgrund, warum Onlinejournalismus als solcher noch nicht und Printjournalismus nicht mehr funktioniert, liegt meiner Meinung nach darin begründet, dass das Verständnis von Journalismus im Netz, sowohl das technische als auch das redaktionelle, noch keinen Einzug in altgediente deutsche Printredaktionen gehalten hat. Allzu oft habe ich selbst schon mitbekommen, wie Online-Kollegen von den Printlern müde belächelt werden - ein journalistisches Online-Produkt als mindere Ware gilt. Das muss sich ändern! Onlinejournalismus und viel mehr Onlineredakteuren muss derselbe Rahmen zur Qualitätsmache zugestanden werden wie "den Altgedienten" vom Blatt. Dafür ist es wichtig, nicht nur das Medium selbst als Marke im Internet zu positionieren, sondern vielmehr den Macher dahinter in den Vordergrund zu rücken. Denn User wollen interagieren, kommunizieren. Und das tun sie auch online am liebsten mit Menschen, die sie kennen.

Die Zeit des Printjournalisten, dessen Namen man nur kennt, weil er schon tausendmal über des Lesers Lieblingsreportage stand, muss vorbei sein. Der Journalist muss sein Profil stärken und mit Hilfe des Mediums, für das er arbeitet, in den Vordergrund treten, sich positionieren - in Kommentaren, in seinem Blog, auf Twitter und Facebook. Dann können sich Rezipienten mit ihm identifizieren und wissen genau, für welche Art von Journalismus er steht. Und dann sind sie entweder bereit, etwas dafür zu bezahlen oder eben nicht.

Wichtig ist also, dass der Journalist als Marke transparent ist. Nur so kann glaubhafter Onlinejournalismus etabliert werden, der es wert wäre, eine Paywall - eine Bezahlmauer - vor seine Inhalte zu bauen. Dabei sollten die Medien jedoch darauf achten, nicht vor ihren gesamten Inhalt eine Paywall zu setzen, sonst wird aus ihr ganz schnell ein eiserner Vorhang. Der schlösse diejenigen Bürger aus, die sich zwar eine Internetflatrate, aber keine Bezahl-Abos mehrerer deutscher Medien leisten können.

Bildung sollte ein für alle erreichbares, konsumierbares Gut bleiben. Daher ist mein Vorschlag, nachrichtliche und gesellschaftliche Leitartikel kostenfrei zur Verfügung zu stellen, jeglichen Zusatz-Content wie Rezensionen, Kommentare, Hintergrundberichte, Filmvorschauen, Podcasts etc. jedoch kostenpflichtig zu machen. Durch Teaser auf der Homepage würde dem User dann schnell klar, ob er weitere Artikel lesen und somit kaufen möchte, weil ihn entweder das Thema reizt oder ihn der Journalist interessiert, der den Inhalt erstellt hat.

Marieke Reimann (25) studierte Angewandte Medienwissenschaften in Ilmenau. Während des Studiums leitete sie die Onlineplattform "medienbewusst.de" und moderierte im Studentenradio. Vor ihrem Masterstudium arbeitete sie als freie Journalistin auf Malta. In Zukunft würde sie gerne als Sportreporterin live Bericht erstatten.

Aimen Abdulaziz-Said: Als Schüler der Deutschen Journalistenschule habe ich jeden Tag die Möglichkeit, aus einer Auswahl regionaler und überregionaler Tageszeitungen zu wählen. Meistens greife ich zu, nur um mich dann in aller Regelmäßigkeit zu fragen, ob es sich bei dem Exemplar tatsächlich um die aktuelle Ausgabe handelt. Die erste Seite ist voll von Nachrichten und Meldungen, von denen ich dachte, dass ich sie spätestens mit den "Tagesthemen" vom Vorabend hinter mir gelassen hätte.

Verzweifelt rennen die Redaktionen der Aktualität hinterher, der Abstand wächst. Allmählich gestehen sich zwar auch die Letzten ein, dass dieses Rennen nicht zu gewinnen ist, nur die nötigen Konsequenzen werden bisher noch nicht gezogen: Weniger, viel weniger Nachrichten und mehr, viel mehr Hintergrund. Zurzeit sind viele Journalisten aber noch damit beschäftigt, sich in Selbstmitleid zu suhlen und die eigene öffentliche Plattform zu missbrauchen, indem sie unverblümt Politik in eigener Sache betreiben. Vielmehr sollten Journalisten und Verlage ihre Energie nutzen, um auf Branchen zu schauen, die ähnliche Probleme hatten und sich dann fragen: Wie sind die mit ihren Problemen umgegangen? Hatten sie Erfolg? Kann man den Lösungsansatz auf unsere Branche übertragen?

Ein Beispiel ist die Musikbranche. Jahrelang brachen dort die Umsätze weg und trotzdem hat Lady Gaga kein Album zu dem Thema aufgenommen. Stattdessen wurden neue Vertriebswege gefunden. Der schwedische Streaming-Dienst Spotify ist ein Beispiel. Für monatlich zehn Euro haben Kunden Zugriff auf ein riesiges, fast umfassendes Angebot an Musiktiteln. Ähnliches könnte auch bei journalistischen Produkten funktionieren: ein pauschaler Betrag für ein zentral gebündeltes Medienangebot. Ähnlich wie bei Spotify müssten Verlage allerdings bereit sein zu kooperieren und sich von der Vorstellung verabschieden, dass die alten Zeiten wiederkommen.

Vor kurzem wurde der US-Rapper 50 Cent auf einer Podiumsdiskussion auf die Zahl seiner Plattenverkäufe angesprochen. Keines seiner Nachfolgealben habe an den Erfolg der Debüt-CD, die sich 13 Millionen mal verkauft hat, anknüpfen können, sagte der Interviewer. Die Antwort des Rappers: "Breaking News für alle, die es noch nicht wussten: 50 Cent wird nie wieder 13 Millionen Einheiten eines Albums verkaufen." Diese schönen Zeiten seien nun mal vorbei.

Aimen Abdulaziz-Said (25) hat Politikwissenschaften und Jura an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert. Am liebsten schreibt er über Politik- und Sportthemen. In naher Zukunft würde er gerne als Auslandskorrespondent arbeiten.

Philipp Woldin: Ob es stimmt oder nicht: Ich habe ständig das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben. Unsere Generation wird überflutet von digitalen Angeboten. Schaue ich ein YouTube-Video? Streame ich meine amerikanische Lieblingsserie? Lese ich den Artikel, den meine Twitter-Timeline diskutiert? Mit diesem Überangebot konkurrieren Printmedien heute um die Gunst und Aufmerksamkeit der Nutzer und Leser. Es reicht einfach nicht mehr, auf Gewohnheit und Druckerschwärzphilie zu setzen. Meine Zeitung soll mich überraschen und mir Einordnung, Analyse und inhaltliche Tiefe liefern. An der Journalistenschule haben wir eine Woche lang eine tagesaktuelle Zeitung produziert - wie sie uns gefällt. Und zwar mit weniger Nachrichten! Niemand braucht heute mehr die "Tagesschau"-Geschichte von gestern Abend als Aufmacher auf der Seite eins. Nachrichten bekomme ich in diesem Internet an jeder Ecke, kostenlos und ständig weitergedreht. Deshalb muss sich die Zeitung verändern: Mal ein längeres Lesestück ins Schaufenster stellen, eine Analyse der Euro-Politik oder eine Infografik. Eine tägliche Wochenzeitung? Als multimediale iPad-Version? Vielleicht.

Das ständige Krisengerede im Journalismus ermüdet mich. Ich versuche, ein passabler Journalist zu werden und habe das Gefühl, dass von uns Jungen gleichzeitig erwartet wird, die Branche neu zu erfinden. Es gibt tolle Zeitungen und Online-Plattformen in Deutschland - das müsste mal öfter gesagt werden. Ob meine Geschichten später auf dem Tablet, in der Zeitung oder Online erscheinen, ist mir egal. Hauptsache, sie werden gelesen.

Philipp Woldin (27) studierte Politikwissenschaften und Öffentliches Recht. Während des Studiums in Bamberg und Madrid arbeitete er für die "Süddeutsche Zeitung", die "Berliner Zeitung" und den "Fränkischen Tag" und gab die Studentenzeitung "Ottfried" heraus.

Fumiko Lipp: Liebe Tageszeitung, du willst Zeit von mir. Zeit, deine Texte zu lesen und sie zu reflektieren. Nur, davon habe ich wenig. Nachrichten lese ich auf dem Weg zur Journalistenschule, auf dem Heimweg, hin zum Feierabendbier. Unterwegs ist mir dein raschelndes Papierboot aber zu unhandlich, wenn ich meinen Nebensitzer in Bus und Bahn nicht mit dem Papierzipfel an der Nase kitzeln will. Deshalb greife ich zur Nachrichten-App und bin dadurch bestens informiert. Jetzt hast du Existenzangst, Tageszeitung. Angst davor, dass ich dich nicht mehr kaufe. Zu Recht.

Aber anstatt dich mitsamt vieler Journalisten in diesem Horrorszenario zu suhlen, solltest du deine Energie in die Veränderung stecken. Ich bin diese selbstreferentielle Debatte über dein Sterben leid. Konzentriere dich besser auf das, was du kannst. Tagesaktualität ist das nicht mehr. Ich renne sofort wieder ungeduldig zum Kiosk, wenn du Themen setzt, die ich nicht schon am Tag vorher online las, wenn du Diskussionen anstößt, so passioniert, wie die über dein mögliches Sterben. Lass Meinungsführer zu mir sprechen, an die ich mich halten kann und grabe in den Tiefen nach Geschichten, die mich packen. Vielleicht wirfst du auch einmal den Blick auf meine popkulturelle Lebenswelt. Dann schenke ich dir gerne meine Zeit und auch die paar Euro, die du am Kiosk kostest.

PS: Wir sind die Generation, die den Anachronismus feiert. Noch nie waren Second-Hand-Shops und Brillengestelle à la Großonkel so begehrt, denn wir wollen doch unsere vermeintliche Individualität und unseren Intellekt nach außen tragen. Die Tageszeitung könnte das signalgelbe Sartre-Reclamheft unserer Generation sein, das jeder stolz aus seinem Jutebeutel spitzeln lässt.

Fumiko Lipp (26) hat Kommunikation, Kulturmanagement und Politik an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und in Istanbul studiert. Sie arbeitet seit fünf Jahren als Autorin und Moderatorin beim Bayerischen Rundfunk. Radio ist ihr Herzensmedium.

Hannes Vollmuth: Morgens, wenn das Treppenhaus noch dunkel ist, laufe ich zum Briefkasten und ziehe die Zeitung aus dem Schlitz. Meist beginnt so mein Tag. Aber statt mich gut zu informieren, mich gut zu amüsieren, lese ich in der Zeitung: keine Zukunft für die Zeitung. Noch bin ich hartnäckig. Vielleicht auch ein Idiot.

Die Printindustrie hasst sich selbst. So nehme ich es wahr. Journalisten schreiben für Zeitungen, bekommen Honorare von Zeitungen, gewinnen Preise mit den Texten, die sie für Zeitungen schreiben. Aber sie haben aufgehört, an Zeitungen zu glauben. Das frustriert - auch die Leser.

Zugegeben: Irgendwann werde auch ich nicht mehr ins Treppenhaus laufen. Beim Frühstück wird ein Display leuchten. Meine Zeitung wird sich wandeln: ein paar Videos, die Seite 3 mit interaktiver Karte, ich scrolle und wische dann bei der Lektüre. Aber: Der Kern wird bleiben - Texte, die mich schlauer, kritischer und glücklicher machen. So lange das so ist, lese ich weiter.

Hannes Vollmuth (27) studierte Germanistik und Geschichte in Würzburg und Beer Sheva (Israel). Während seines Studiums arbeitete er für die "Mainpost", die "taz", die dpa in Würzburg und Tel Aviv und die "Süddeutsche Zeitung".

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