Anfang Januar war ich zu einer Konferenz in Zürich eingeladen, zum Jubiläum von Mary Shelleys Frankenstein und der Frage, wie Bots heute diese Vision verkörpern. Ich sollte ein Seminar halten und habe überlegt, welchen lustigen Bot ich mit den Teilnehmern entwickeln könnte, um nicht immer von denselben alten Beispielen zu erzählen. Dabei war die Richtung durch Tracery - das Programm, das ich verwenden wollte - schon ein bisschen vorbestimmt. Dann ist mir Relotius eingefallen und ein Reportage-Ideen-Generator, der Personen, Orte und Themen immer neu kombiniert.
Zielt Ihre Kritik eher auf den „Spiegel" oder auf Relotius?Ich will mit den Bots, die ich mache, zeigen, dass sie nicht nur für russische Propaganda gut sind, sondern dass sie auch witzig sein können. Und dafür sind medienkritische Themen besonders geeignet, das habe ich schon ein paar Mal ausprobiert. Aber ich sehe mich nicht in der Position, ein Urteil über Relotius, den „Spiegel" oder den Journalismus an sich zu fällen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich pathetische Schreiber wie Relotius schon immer lustig und auch lächerlich fand. Wenn jemand sich selbst zu sehr an seiner wunderschönen Formulierung ergötzt hat, war mir das suspekt. Aber für meinen Bot hätte es den Fall Relotius nicht unbedingt gebraucht.
Warum nicht?@ROB0TIUS funktioniert mit Relotius natürlich perfekt, weil das, was er gemacht hat, gerade stark diskutiert wird und besonders absurd ist: Ein journalistisches Wunderkind gewinnt haufenweise Preise und am Ende kommt heraus, dass alles nur erfunden war. Aber ich glaube, der Bot würde auch mit jedem anderen Medium funktionieren - und wäre dann zumindest halb so lustig. Du überspitzt einfach ein bisschen den Stil und entlarvst so das Schema, das dahintersteckt.
Welches ist das im Fall von Relotius?Wenn man ein paar Redaktionskonferenzen erlebt hat, kennt man die Sätze, die da fallen: über neue Drehs, die es braucht, über ungewöhnliche Protagonisten, die eine Geschichte erst interessant machen. Man schreibt nicht nur über einen englischen Bauern, sondern über einen englischen Bauern, der einen Mannschaftsbus als Blumenvase missbraucht hat - um eine Idee von @ROB0TIUS zu zitieren. Daran ist ja erst mal nichts Schlechtes. Menschen lesen eben gerne besondere Geschichten. Aber wie der Bot zeigt, kann auch Ungewöhnliches gewöhnlich werden.
Wie funktioniert Ihr Bot denn genau?Ich habe ihm Satzbausteine aus den Teasern zu den Relotius-Texten gefüttert und ihm dann gesagt, er soll das Muster, nach dem sie aufgebaut sind, immer wieder durchspielen. Er ersetzt Subjekte durch andere Subjekte oder kombiniert den Nebensatz einer Reportage mit dem Hauptsatz einer anderen. Die Ergebnisse gehen zwar eine Spur an der Realität vorbei, aber man kapiert schnell, worauf der Bot abhebt, und kann darüber lachen.
Am Ende der Tweets steht eine Art Kommentar: „Ein sorgfältiger Faktenprüfer hätte zumindest einmal angerufen" oder „eine bizarr trostlose Darstellung". Diese Satzbausteine stammen aber nicht aus Relotius-Texten, oder?Nein, die sind aus Texten über ihn - weil die Reaktionen auf den Fall zum Teil auch absurd waren. Den Reporterpreis hat Relotius erst für Geschichten bekommen, weil sie „von beispielloser Leichtigkeit, Dichte und Relevanz" waren. Und jetzt, nach dem Skandal, heißt es, sie waren „zu perfekt, um wahr zu sein". Um zu zeigen, was sich durch die Enthüllung verschoben hat, habe ich @ROB0TIUS auch mit diesen Phrasen gefüttert.
Die Grammatik des Bots ist ziemlich gut, wie haben Sie ihm die beigebracht?Früher habe ich mir da nicht so viel Mühe gegeben. Denn daraus, dass ein Bot kein perfektes Deutsch kann, entsteht ja auch noch mal Komik.
Wie meinen Sie das?Man sieht durchscheinen, dass es eine Maschine ist, die schreibt, kein Mensch. Und weil wir alle noch ein gewisses Misstrauen gegenüber Maschinen haben, freuen wir uns einerseits darüber, dass die Bots so menschlich sind. Andererseits sind wir froh, dass sie uns noch nicht unsere Jobs wegnehmen können, weil sie dazu offensichtlich noch viel zu dumm sind. Bei @ROB0TIUS wollte ich allerdings, dass seine Tweets sich wirklich lesen wie „Spiegel"-Teaser. Sonst wäre es nicht so witzig. Deshalb habe ich länger an der Grammatik gefeilt. Relotius' Problem war ja auch nicht, dass er kein Deutsch konnte, eher das Gegenteil.
Sie haben als Beschreibung des Twitter-Accounts dazugeschrieben: „Textideen dürfen gerne verwendet werden. Bitte gewissenhaft recherchieren." Schon ein bisschen süffisant, oder?Vielleicht, aber es ist auch wirklich so gemeint: Manche von @ROB0TIUS' Vorschlägen könnten Journalisten ja tatsächlich recherchieren. Er hat zum Beispiel getwittert: „Eine Reportage über die politische Stimmung in Wayne County". Und die ersten finnischen Pizzabäcker in Syrien hätten bestimmt echt was zu erzählen. Also wenn sich jemand eine der Ideen schnappen will - sehr gerne.
In vielen Reaktionen auf Relotius ging es darum, was der Journalismus daraus lernen muss. Was würden Sie da anführen?Über den Journalismus zu sprechen, finde ich in dem Zusammenhang schwierig, weil die Diskussion dann auf einer Metaebene läuft. Konkrete Personen können etwas daraus lernen, Redakteure, Reporter, Faktenprüfer. Aber die ganze Branche? Die ist meiner Meinung nach so gut oder schlecht wie andere auch. Wenn es weniger Bäcker gibt, bei denen in der Backstube Kakerlaken herumlaufen, ist das natürlich gut. Und dasselbe gilt auch in den Medien. Aber nur weil Relotius gefakte Geschichten verkaufen konnte, ist die Reportage jetzt nicht tot. Und gleichzeitig wird das, was in der Branche schlecht läuft, nicht allein dadurch besser, dass diese Textsorte jetzt selbstkritisch diskutiert wird, auch wenn die Diskussion natürlich richtig und wichtig ist.
Marie Kilg ist 26 Jahre alt. Sie studierte Amerikanistik und Kommunikationswissenschaften, absolvierte die Deutsche Journalistenschule und arbeitete als Journalistin für verschiedene Medien. Jetzt ist sie Content Program Manager bei Amazon Alexa.