Den Kirchengemeinden laufen seit Jahren die Mitglieder davon. Produzent Dieter Falk will etwas dagegen tun. Sein Rezept: moderne Musik.
heute.de: Sie beschäftigen sich seit
vielen, vielen Jahren mit Musik. Sie sind Produzent, Komponist und
Keyboarder. Auch christliche Popmusik gehört zu Ihrem Repertoire, wie
sind Sie dazu gekommen?
Dieter Falk: Ich sage immer, ich
bewege mich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite mache ich normale
Popmusik, meine Zusammenarbeit reicht dabei von Pur bis Paul Young. Auf
der anderen Seite beschäftige ich mich mit Kirchenmusik, so wie ich sie
verstehe. Modern und zeitgenössisch. Ich interpretiere sie neu, reichere
sie mit Pop-, Rock-, und Jazzelementen an. Schon als Teenager habe ich
mit meinem Bruder einen Gospelchor geleitet.
heute.de: Warum braucht Kirchenmusik diesen "neuen" Anstrich?
Falk: Damit wir die Menschen
kulturell da abholen, wo sie sind. Ich habe bereits während meines
Kirchenmusikstudiums gemerkt, dass wir Kirchenmusik - die ich an sich
sehr schätze, ich liebe Bach! - viel zu steif behandeln. Schon als
Student habe ich Sachen ausprobiert. In den 1980ern habe ich Choräle
verjazzt, meine Kollegen sahen das sehr kritisch. Heute sind die
Hochschulen lockerer geworden. Aber da ist noch viel Luft nach oben.
heute.de: Wünschen Sie sich mehr Engagement von Seiten der Kirche?
heute.de: Gospelchöre gibt es doch öfter.
Falk: Ja, allerdings werden die
meisten ehrenamtlich geleitet und die Chorleiter könnten noch besser
ausgebildet werden. Ich wünsche mir, dass die Kirche umdenkt, sich
öffnet für Neues, der Popkultur Raum gibt. Wir brauchen eine
Kultur-Reformation. Popmusik ist das, was die Masse hört. Damals waren
es die Beatles, heute ist es Ed Sheeran. Jeden Sonntag der klassische
Buxtehude und Bach - das ist doch nicht genug.
heute.de: Warum ist das wichtig?
Falk: Die Kirche sollte ein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Und dazu gehört auch, Musik zu machen, die die Menschen nun mal hören. Die Menschen sollten sich in der Kultur wiederfinden können. Kultur ist ein Anker. Die Amerikaner sind da viel weiter, man kann von ihnen halten, was man will, aber musikalisch geht in deren Kirchen die Post ab. Wir könnten es doch wenigstens versuchen, in Wanne-Eickel das Gefühl von Chicago-Süd zu erzeugen.
heute.de: Gibt es denn eine Tendenz, dass das in Deutschland irgendwann erreicht wird?
Falk: Ich bin zuversichtlich. Die evangelische Landeskirche in Westfalen hat zum Beispiel einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. An der Evangelischen Pop-Akademie in Witten wird seit einem Jahr der europaweit erste Bachelor-Studiengang Kirchenmusik Popular angeboten. Ich habe dort eine Professur. Unsere Studenten bekommen eine klassische Ausbildung an der Orgel - aber eben nicht nur, Jazz- und Rockklavier gehört genauso dazu wie am Computer produzierte Musik. Das ist ein moderner Studiengang. Ich hoffe, dass damit ein erstes Dominosteinchen gefallen ist und demnächst mehr passiert. Obwohl ein katholischer Kirchenmusik-Kollege neulich zu mir sagte: "Das dauert bei uns bestimmt noch mindestens zehn Jahre."
heute.de: Besuchen Sie selbst regelmäßig die Kirche?
Falk: Bei mir ist das eine Frage der
Zeit. Ich bin am Wochenende sehr viel konzertant unterwegs. Ich schaffe
es deshalb nur sehr selten.
heute.de: Wie nehmen Sie das Luther-Jubiläum in diesem Jahr wahr?
Falk: Für mich persönlich ist es super spannend. Wir touren mit unserem Pop-Oratorium "Luther",
an dem Tausende Chorsänger, Solisten und ein Sinfonieorchester
teilnehmen, quer durch die Republik. Ich habe außerdem einige
Jubiläumsveranstaltungen besucht, überzeugt haben sie mich allerdings
oftmals nicht, ich fand sie zu intellektuell, zu abgehoben. Manchmal
habe ich mich gefragt, was das mit Luther zu tun hat, der ja dem "Volk
aufs Maul schauen wollte".
heute.de: Was verbinden Sie mit Martin Luther?
Falk: Luther war auch Musiker, also gewissermaßen ein Kollege. Er komponierte viel selbst oder adaptierte Volkslieder von der Straße - die Popmusik der damaligen Zeit - und brachte sie in die Kirche. Daraus wurden die Choräle. Das, was damals modern war, ist heute allerdings 500 Jahre alt. Diese Melodien brauchen frischen Wind. Die Katholische Kirche sagt dann zu mir: "Aber wir haben doch das 'Neue Geistliche Lied'". Das sind Lieder wie "Danke für diesen guten Morgen". Die stammen aus den 1960ern. Da kann ich nur schmunzeln.
Das Interview führte Maria Ugoljew
(VÖ 31.10.2017, zdf.de)