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Was ich durchs Schweigen gelernt habe: Wir sollten alle weniger reden

© Beatrice Dähler

Wie es sich anfühlt, eine Gedanken-Party im eigenen Kopf auszuhalten
Von Maria Ugoljew

Was, wenn ich einfach mal aufhöre, zu sprechen? Werde ich dann vielleicht ruhiger – habe ich dann vielleicht weniger Stress?

Beatrice Dähler, 33, aus Berlin, hat es herausgefunden. Sie hat einen "Vipassana-Meditationskurs" auf Bali besucht. Der hatte es in sich – denn die Teilnehmer des Kurses durften zehn Tage lang nicht miteinander sprechen.

Beatrice hat uns erzählt, wie sich das Schweigen anfühlte – und was sie davon gelernt hat.

1. Zum Leben braucht man fast nichts.

Es gibt auf der ganzen Welt verteilt Vipassana-Zentren, Orte, an denen kostenlos die Kunst des Meditierens gelehrt wird. Auf Bali befindet er sich in den Bergen. Die Teilnehmer kommen dort an und geben alles ab: Handy, Laptop, Bücher, Schreibmaterial, Fotokamera.
Was sie behalten dürfen, sind ihre Kleidung und Kosmetikprodukte. Frauen und Männer werden getrennt voneinander untergebracht. In den Mehrbettzimmern stehen Betten mit Moskitonetz. Sonst nichts. Toiletten und Duschen befinden sind im Garten.

Die Umgebung simpel zu halten, hat den Zweck, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: auf sich. Und zwar nur auf sich. Denn in den kommenden zehn Tagen dürfen die Teilnehmer nicht sprechen und auch auf keine andere Art miteinander kommunizieren.

Handzeichen, Blickkontakt, Berührungen – alles tabu. Das, was zählt, ist die Gedanken-Party im eigenen Kopf auszuhalten. Sie zu verstehen, zu akzeptieren und zu überwinden.

2. Es kann sein, dass einem übel wird.

Am Ankunftstag nehmen die Kursteilnehmer ein letztes gemeinsames Abendessen ein, an dem sie miteinander sprechen dürfen. Dort haben sie die Chance, sich kennenzulernen. Dann geht es in die große Meditationshalle. Links nehmen die Frauen Platz, rechts die Männer. Ab jetzt heißt es: schweigen.

Die Erfahrung kann am Anfang eine sehr körperliche sein. Von Übelkeit über Kopfschmerzen bis hin zu Müdigkeit und Niedergeschlagenheit ist alles dabei. Der Ärger über sich selbst nimmt zu.

Warum hält man die einstündige Meditation verdammt noch mal nicht aus?!

Warum unterbrechen einige die Meditation, nehmen die das nicht ernst?!

Was mache ich eigentlich hier, bin ich jetzt total durchgedreht?! Ich könnte einfach am Meer chillen!

3. Ameisen sind spannend.

Der Vipassana-Tag ist durchgetaktet. Um 4 Uhr läutet der Wecker, von 4.30 bis 6.30 Uhr steht eine freie Meditation an, die die Teilnehmer entweder in der Gemeinschaftshalle oder auf dem Zimmer ausüben dürfen.

Um 6.30 Uhr gibt es Frühstück. Ab 8 Uhr folgt eine einstündige Meditation in der großen Halle. Dabei wird geübt, wirklich still zu sitzen. Ab Tag vier sind Bewegungen, die die Meditation unterbrechen würden, nicht mehr erlaubt. Mit den Zehen wackeln ist in Ordnung, auf die Toilette gehen wiederum nicht.

Nach der Morgenmeditation haben die Teilnehmer zwei Stunden frei. Sie dürfen die Zeit nutzen wie sie wollen, allerdings müssen sie auf dem Kursgelände bleiben. Ein Spaziergang im Garten bietet sich an, einfach in der Sonne zu sitzen, die Natur zu beobachten.

Das Leben der Ameisen wird auf einmal sehr spannend, die Freude aufs Essen immer intensiver. Der Nachmittag läuft dann ähnlich ab wie der Vormittag: Auf dem Programm stehen freie und gemeinschaftliche Meditationen, etwas Freizeit, Mittag- und Abendessen. Um 21 Uhr ist der Tag geschafft.

4. Die Gelassenheit kommt. Irgendwann.

Der Mensch gewöhnt sich für gewöhnlich an alles, so auch ans Schweigen. Nicht alle halten das durch, aber die meisten. Jene, die sich der Herausforderung gewachsen fühlen, überwinden irgendwann den Ärger über sich selbst. Dass sie etwas nicht schaffen – was soll's.

Dann wird die Meditationsübung eben unterbrochen. Tee trinken geht ja auch. Die Kursleiter bestrafen niemanden dafür. Vielmehr stehen sie den Teilnehmern mit Rat und Tat zur Seite. Mit ihnen darf gesprochen werden. Wer Fragen hat – bitte stellen. Je weiter der Kurs fortschreitet, desto gelassener gehen die Teilnehmer mit sich selbst um.

Es kommen oft die gleichen Gedanken hoch: dass man sich mit den anderen vergleicht, sie in Schubladen steckt, sich selbst Vorwürfe macht, verzweifelt oder aber total glücklich ist.

Die Frage lautet: Welchem Gedanken möchte ich folgen? Welchen lasse ich besser an mir vorbeiziehen, weil er mir nicht gut tut? Die Meditation und die ständige Auseinandersetzung mit sich selbst hilft, die Kontrolle darüber zu gewinnen. Das Bedürfnis, aus dem Schweigekloster auszubrechen, bleibt dennoch bis zum Schluss bestehen.

5. Stolz ist befreiend.

Am zehnten Tag wird das Schweigen nach einer letzten gemeinsamem Meditationsrunde gebrochen. Für einige ist das ein sehr emotionaler Moment. Dass jemand weint ist keine Seltenheit. Alle plappern drauf los. Sind stolz auf sich, dass sie die Herausforderung gemeistert haben. Doch nach einigen Minuten kommen die Kopfschmerzen – vom ganzen Gerede.

Wie hat man das früher nur ausgehalten? Das Handy, der Laptop – alles bleibt für einige Tage noch ausgeschaltet. Das erste Gespräch mit der besten Freundin oder der Familie muss warten. Es würde vielleicht überfordern.

Was vom Vipassana bleibt: Die Selbsterkenntnis darüber, dass die Welt da draußen tatsächlich nur in deinem eigenen Kopf entsteht. Dass du sie dir gestalten kannst, wie du willst. Die Meditation kann dabei helfen, das so zu sehen und entspannter zu werden.

Die Kursleiter empfehlen den Teilnehmern, zweimal täglich jeweils morgens und abends für eine Stunde in sich zu gehen. Das in seinen Alltag einzubauen, ist nicht leicht – sondern nach der Ankunft zu Hause die nächste Herausforderung.

(VÖ 10.11.2016, www.bento.de)




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