Da wären beispielsweise die Raucher. Kreaturen, die in Grüppchen vor einem Restaurant unter dem Heizpilz kauern und konspirativ aus Nase und Mund qualmen. Noch bis in die 1990er Jahre gehörte Rauchen zur Gesellschaft. Es war lässig, wirkte intellektuell. Heute gelten Raucher als willenlose, charakterschwache Weicheier, die wehrlos an fünf Gramm in Papier eingeschlagenen Tabak saugen. Nutznießer, die nicht im Gleichschritt mit den Neo-Enthaltsamen marschieren. Wie Kaiserpinguine drängen sie sich aneinander, um sich zu schützen gegen den Sturm der Entrüstung, der ihnen aus der Verzichte-auf-alles-Ecke entgegenschlägt. Es ist ihr stummer Kampf um die Freiheit, das eigene Leben zu gestalten.
Doch die Raucher sind nicht mehr allein. Die Fleischesser gesellen sich zu ihnen. Wer in der Öffentlichkeit Fleisch isst, erntet nicht selten entrüstete Blicke von Strickpulli-Muttis mit grau-schlaffer Haut und aschblond-verfilzten Haaren. Selbstverständlich leuchtet mir ein, auf Fleisch aus Massentierhaltung zu verzichten. Doch nicht jedes Rumpsteak wurde mit Antibiotika gepimpt und anschließend zu Tode gequält. Dennoch: Der Trend geht zu Fleischprodukten aus Soja. Sie sehen aus wie Wurst und Schnitzel, schmecken aber wie feuchte Pappe.
Was mir nicht in den verqualmten Schädel geht: Wenn man kein Fleisch essen will, warum isst man dann feuchte Pappe, die aussieht wie Fleisch? Die Strickpulli-Fritzen jedenfalls fühlen sich mit dem Fake-Fleisch gesünder. Und klüger. Ganz nebenbei zerstören sie mit ihrer Soja-Fresserei die Lebensgrundlage zigtausender Bauern in Brasilien. Aber das ist ja zum Glück weit weg. Einige Lebensmittelhersteller haben auf diesen Trend übrigens sehr kreativ reagiert und verkaufen Fleisch, das aussieht wie Gemüse. Bald also kauern Fleischesser in Grüppchen vor dem Restaurant, gleich neben den Rauchern, und mümmeln an einem Hühnerschenkel, der aussieht wie eine Karotte.
Nehmen wir nun noch die Alt-Auto-Fahrer hinzu, bilden Raucher, Fleischfresser und Alt-Blech-Junkies ein hübsches Katastrophen-Trio. Denn alte Autos sind wirklich, WIRKLICH böse. Erst kürzlich stampfte der benachbarte Gymnasiallehrer aus seinem Reihenhausvorgarten, baute sich hinter dem Heck meiner Weltvernichtungsmaschine auf, hielt sich die Nase zu und presste ein: „Mein Gott, wie der stinkt!" heraus. Ich war ehrlich betroffen. Was würde er erst sagen, wenn ich den Motor anließe? Es ist doch nur ein Auto, mit Motor und vier Rädern, Ledergestühl und einem Radioknopf. Ein Auto, das man ganz alleine fahren muss. Ein Auto ohne Blackbox und Internet.
In der Gesellschaft träumt man jetzt vom autonomen Fahren. Mit Touchscreen und W-LAN. Die, die einst gegen die Datenschutzrichtlinien von Facebook sammelklagten und sich über die bürgerliche Gläsernheit beschwerten, all die bejubeln nun das Ende der freien Fortbewegung. Autonomes Fahren nennen sie es, wenn man sich in einer Zelle einschließen lässt, die Hände vom Lenkrad reißen kann und computergesteuert durch die City braust.
Nur: Es hat nichts mehr mit Privatsphäre zu tun, wenn das Auto nach einem harten Arbeitstag Lavendelduft in die Fahrgastzelle nebelt, der gehörnten Ehefrau Rosen bestellt und nebenbei die E-Mails checkt. Es hat nichts mehr mit Freiheit zu tun, wenn der Fahrersitz bald Blutdruck misst und Körperfettanteil bestimmt, um die Ergebnisse an die Krankenkasse zu faxen. Und es hat wahrlich nichts mehr mit Unabhängigkeit zu tun, wenn Blackboxes Bewegungsprofile erstellen und sämtliche Daten an Hersteller und Versicherer funken.
Angeblich also sind wir heute so frei wie nie. Doch in Wahrheit wurden wir noch nie so gegängelt. Wir leben in einer Welt, in der wir unsere einst hart erkämpfte Freiheit in die Hände unsichtbarer Dritter legen. Freiwillig. Im Gleichschritt, Marsch.