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Interview

Ahnung gegen Angst

Woher kommt die Angst vor Ausländern? Der Marburger Sozialpsychologe Professor Dr. Ulrich Wagner beleuchtet die Ursachen im Interview mit WLZ-FZ-Redakteur Lutz Benseler.

Die Flüchtlingszahlen steigen, der Landkreis sucht nach Unterkünften und Teile der Bevölkerung reagieren mit Vorbehalten. Woher kommt diese nicht greifbare Angst?

Wagner: Diese Angst hat sehr viel damit zu tun, dass die Leute nicht wissen, wer die Fremden sind. Und das wiederum hat viel damit zu tun, wie das „Problem“ politisch und medial dargestellt wird. Sie haben gesagt, die Zahlen der Asylbewerber haben wieder zugenommen. Das ist falsch. Es ist eine Frage der Perspektive: Ich habe gerade von Eurostat die Flüchtlingszahlen für Deutschland vorliegen. Die haben zugenommen, wenn man das erste Quartal 2012 mit dem ersten Quartal 2013 vergleicht. Vergleicht man aber das letzte Quartal 2012 mit dem ersten 2013, dann haben sie um 25 Prozent abgenommen. Oder es wird von 50 Prozent Zuwachs bei Flüchtlingen aus Serbien gesprochen. Wenn man sich aber die absoluten Zahlen anschaut, ist es ein Wachstum von vielleicht 400 auf 800 – gemessen auf eine Bevölkerung von 80 Millionen Menschen. Je nachdem, wie die Statistiken öffentlich und medial dargestellt werden, können sie als Bedrohung wahrgenommen werden oder auch als Entlastung.

Ist die Angst also in erster Linie durch die Darstellung von Fremden in den Medien beeinflusst?

Die Art und Weise der Darstellung von Asylbewerbern ist ein ganz entscheidender Faktor, welche Emotionen im Zusammenhang mit diesen Gruppen erlebt werden. Die meisten Menschen wissen nichts über die Hintergründe, warum Asylbewerber nach Deutschland kommen, wie die Fluchtwege sind und mit welchen schrecklichen Erfahrungen das zum Teil verbunden ist. Ein wesentlicher Faktor, den wir in unserer Forschung nachweisen können, ist aber auch, dass Angst immer dann entsteht, wenn die Leute keinen Kontakt mit denjenigen haben, vor denen sie sich fürchten. Wir können sogar sehr klar zeigen, dass in Bezirken, in denen der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund höher ist, die Fremdenfeindlichkeit niedriger ist. Wenn Menschen miteinander in Kontakt treten und sich gegenseitig kennenlernen, werden Bedrohungsgefühle abgebaut. Das bedeutet nicht, dass dann alles Friede, Freude, Eierkuchen ist – Schwierigkeiten tauchen trotzdem auf, aber es handelt sich dann nicht mehr um die Angst vor den Fremden, sondern um den Ärger mit dem Nachbarn, den man aber mit einem Deutschen ganz genauso hätte.

Die Bedenken hören sich oft an, als kämen Diebe und Vergewaltiger. Warum projiziert man alles Böse auf diese Menschen?

Viele Faktoren, die zur Angst beitragen, haben etwas mit Unkenntnis und mit mangelndem Kontakt zu tun. Sie haben aber auch etwas damit zu tun, wie Asylbewerber in Deutschland behandelt werden. So sind die Heime häufig viel zu groß. Und mehr als 50 Prozent derjenigen, die nach Deutschland kommen und um Asyl bitten, sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, zum überwiegenden Teil junge Männer. Junge Männer in diesem Alter sind aber schon für sich genommen eine auffällige Gruppe und zwar ganz egal, wo sie herkommen. Sie neigen zu anderen Verhaltensweisen als ältere Leute und das führt schon mal zu Reibereien. Das Zweite ist, Asylbewerber werden ja in außerordentlich restriktiver Weise vom gesellschaftlichen Leben in Deutschland ausgeschlossen, mit dem dahinterstehenden Argument, man möchte die Rückführung vereinfachen. Das aber hat Konsequenzen: Menschen aus sehr anderen Kulturen, häufig mit Traumatisierung aufgrund der Erlebnisse im Herkunftsland oder auch der Flüchtlingserfahrung, wissen überhaupt nicht, wie Umgangsformen oder kulturelle Gewohnheiten in Deutschland sind. Indem man sie auch immer weiter von der deutschen Gesellschaft fernhält, haben sie auch keine Möglichkeit, diese Kenntnisse zu erwerben.

Angst und Vorurteile lassen sich also abbauen, indem man sich gegenseitig kennenlernt. Wie lässt sich das konkret umsetzen? Gibt es Modelle?

Aus den USA gibt es Studien über Ansiedlungspolitik, die zeigen, wenn man integrierte Wohnumgebungen schafft, dann nehmen die gegenseitigen Vorurteile ab. Migranten tendieren dazu, wenn sie in eine Stadt kommen, sich da niederzulassen, wo schon viele mit gleichem kulturellen Hintergrund sind. Städteplanerisch wäre es klüger, Neuankömmlinge etwas mehr über die Gemeinde zu verteilen. Das kann man beispielsweise über sozialen Wohnungsbau steuern. Eine andere gut untersuchte Strategie ist die Integration von Einwanderern im schulischen Kontext. Wir haben in Schulen häufig mit einem Problem zu tun, das wir Resegregation nennen, also einen Wiederrückzug in die eigene ethnische Gemeinde: Da glucken hinten links im Klassenraum die türkischen Jungs zusammen und hinten rechts die Mädchen und vorne die Deutschen. Man separiert sich wieder. Es gibt eine Form von Kleingruppen-Unterricht, die dieser gegenseitigen Separation entgegenwirkt, der so genannte kooperative Gruppenunterricht. Dabei arbeiten beispielsweise sechs Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen ethnischen Hintergründen zusammen an einem Thema, nehmen wir die Biografie einer berühmten Persönlichkeit. Die Informationen, die sie dazu brauchen, werden auf die einzelnen Schüler verteilt: einer bekommt Informationen über die frühe Kindheit des Protagonisten, ein Zweiter über die Jugend und so weiter. So wird eine Situation geschaffen, in der die Schüler nur kooperativ ihr Lernziel erreichen können. Alle müssen ihren Beitrag leisten. Das führt dazu, dass es in der Klasse zu engen Kontakten kommt, und die Schüler gemeinsam Erfolg erleben.

Wie erklärt sich Fremdenangst auf Ebene des Individuums?

Die klassische, aber falsche Antwort ist: Die sind so fremd. Und dann kommt die Geschichte mit den Kindern, die in einer bestimmten Altersgruppe fremdeln, wenn sie mit Gesichtern konfrontiert sind, die sie nicht kennen. Das hat mit der Fremdenangst nichts zu tun, das ist eine Psychologisierung des Phänomens. Warum Ängste und Bedrohungsgefühle auf Einwanderer und Asylbewerber projiziert werden, ist eine Frage der gesellschaftlichen Diskussion über Einwanderung und Asylbewerber. Der Anstieg der fremdenfeindlichen Gewalt Anfang der 1990er-Jahre ist entstanden, weil es kurz davor eine intensive Debatte über das Grundrecht auf Asyl gab. In Folge sind Ereignisse wie in Mölln oder Hoyerswerda passiert. Daran sieht man, wie sich Ängste an öffentlichen Debatten festmachen. Die Menschen sind unsicher und wissen nicht genau was passiert. Die Unsicherheit hat aber nicht nur mit Einwanderung zu tun, sie hat zu tun mit Fragen zur Sicherheit der Arbeitsplätze, des Einkommens und des eigenen Vermögens. Und dann kommt eine öffentliche Debatte, die den Eindruck erweckt, na ja, das könnte ja an denen liegen. So wie wir das vor wenigen Wochen noch mit den ökonomischen Schwierigkeiten der südeuropäischen Länder erlebt haben. Plötzlich liegt alles an den Griechen. Dann kommen Emotionen wie Angst hoch, manchmal ist es auch Wut, Ärger, bei manchen Gruppen wie Asylbewerbern auch häufig so etwas wie Verachtung.

Ist Fremdenfeindlichkeit immer gleich Rassismus?

Wir neigen dazu, diejenigen, die sich als fremdenfeindlich herausstellen, in die ganz extreme rechte Ecke zu stellen und sie auszuschließen. Fremdenfeindlichkeit ist tatsächlich bei uns weit verbreitet. Wir alle haben mehr oder weniger Ressentiments gegenüber Einwanderern, darüber muss man sich klar sein und es ist die Aufgabe der politischen Verantwortungsträger, diese subtile Diskussion über die Gefährdung durch Fremde einzudämmen.

Wo liegt für Sie die Grenze zwischen einem sinnvollen Beharren auf dem Eigenen und der diskriminierenden Abgrenzung gegenüber dem Fremden?

Politologen sagen, dass eine Notwendigkeit für das Funktionieren von Staaten ist, dass die Menschen, die in ihnen leben, sich mit der gemeinsamen Einheit über ein gewisses Maß identifizieren. Daraus folgern manche Politiker, dass wir so etwas wie Patriotismus brauchen. Patriotismus bedeutet: Wir müssen uns mit unserem Gemeinwesen identifizieren, dann funktioniert es besser. Es hat ja auch durchaus eine gewisse Plausibilität, dass wir nicht immer versuchen, nur unseren individuellen Nutzen zu maximieren, sondern auch bereit sind, etwas für die Gemeinschaft zu investieren. Das ist die positive Seite von Patriotismus. Die Kehrseite ist: Fast alle Forschungsergebnisse zeigen – zumindest gilt das für Deutschland –, je stärker wir uns mit der deutschen Gemeinschaft identifizieren, umso mehr neigen wir dazu, diejenigen, die nicht dazugehören, auszuschließen. Ich glaube, wir müssen dazu kommen, eine Form von Identifikation zu entwickeln, die nicht übertrieben ist, die durchaus kritisch ist gegenüber dem eigenen Land und die gleichzeitig erlaubt, Fremde zu akzeptieren und auch die Vorteile von Zuwanderung zu akzeptieren. Eine Form von Identifikation, die nicht nur Toleranz, sondern Offenheit und Interesse an Fremden beinhaltet.