Ein deutsches Kulturgut wird 40 Jahre alt: der Lederhosenfilm. Was ist aus Graf Porno und Grete Möslein geworden? Eine Expedition in die postkoitale Depression.
(erschienen am 18.11.2015)
Eine junge Frau mit Zöpfen
liegt im Bett und fantasiert wild, sie träumt von einem schmalen Mann mit
Locken, und ins Stöhnen mischt sich die "Tagesschau"-Stimme aus einem
holzvertäfelten Fernseher. "Aus dem Tagebuch einer 17-Jährigen" heißt
der Film von 1979, und der sei ihm noch am liebsten, sagt Jürgen Enz. Bis in
die Achtzigerjahre drehte Enz 26 Sexfilme, weiche und harte, vor allem billige.
Er ist heute 74, grauer Scheitel, das Hemd schlackert ihm um die Schultern, wie
er da im Café Puck in München sitzt. In seinen Filmen sind die Dialoge sperrig
wie alte Schränke, manchmal ist nicht mal das Bild scharf. Enz sagt:
"Diese Schrottfilme."
150 Jahre Bismarckhering, 60 Jahre Autos mit
Brennstoffzelle, 50 Jahre Lavalampe - in Deutschland wird jedes noch so irre
Jubiläum gefeiert. Na ja: fast jedes. Vor 40Jahren wurde ein wirklich
einzigartiges Kulturgut geschaffen: der deutsche Lederhosen-Sexfilm. Der Reiz
des Genres mag für Nachgeborene schwer zu begreifen sein, aber einst rannten
Millionen Männer in "Schulmädchen-Report" oder "Graf
Porno", gierig nach nackter Haut und vermeintlichen Exzessen. Wie bei den
Vorbildern aus Amerika wurde eine dümmliche Handlung um den angedeuteten Sex
gewoben. Doch nur in der Bundesrepublik trug der Sexfilm Lederhosen: Figuren
des Bauerntheaters und Kulissen des Heimatfilms verschmolzen mit den
verschwitzten Männerfantasien der frühen Siebzigerjahre.
Enz hat einen Wollbeutel dabei. Er will ein Buch
rausnehmen, doch als die Kellnerin kommt, verhüllt Enz das Buch wieder. Es heißt
"Wo der Wildbach durch das Höschen rauscht", ein Lexikon des
deutschen Erotikfilms. Er sei nicht stolz auf seine Werke, die Budgets seien
sehr knapp gewesen, aber dass das Lexikon nach einem seiner Filme benannt ist,
erwähnt Enz dann doch.
Die Filmbücher führen nur eine Handvoll Regisseure
des BRD-Sexfilms: Franz Marischka und Franz Antel waren die Meister des
weichen Lederhosenfilms. Gunter Otto und Hans Billian wechselten mit der
Legalisierung der Pornografie 1975 ins harte Fach. Und Jürgen Enz, der B-Filmer
unter den B-Filmern, folgte ihnen.
Beim Wort "Porno" und bei seinen
Filmtiteln beginnt Enz immer wieder zu flüstern. "'Die Porno-Kneipe' war
ein reiner Porno. Da gab's keine Softfassung." Er hebt die Stimme:
"Von allen anderen Filmen gab's zwei Fassungen. Da wurden die Liebesszenen
rausgeschnitten und mit harten ausgetauscht. Das hat mir am meisten gestunken,
diese Hartszenen zu drehen, langweilige Scheiße." Bei den Dreharbeiten
konnte Enz noch nicht auf Profi-Pornodarsteller zählen, vor allem bei den
Männern sei das ein Problem gewesen. "Wenn ein Mann nicht konnte, gab's
eine Darstellerin, die hat ihn aufgebaut, so hieß das. Und wenn gar nichts
ging, dann musste ein Double her." Enz senkt wieder seine Stimme.
"Ein sogenanntes Schwanzdouble kam dann halt." Kurz muss er lachen.
Dabei hatte alles harmlos begonnen, zum Beispiel
mit Marischkas "Liebesgrüße aus der Lederhos'n": Reiche Touristinnen
kommen ins Hotel Zum wilden Eber, um sich von bayerischen Kraftlackeln sexuell
verwöhnen zu lassen. Heute zeigt Hollywood zwar regelmäßig mehr Haut. Aber es
gibt es einen Unterschied: Der deutsche Sexfilm war das, was die Amerikaner
Exploitation nennen, ein primitives Kino der Schauwerte und Affekte. Daher
rührt auch die Scham vieler Darsteller.
Einige beginnen mit Softsex und machen erst später
Pornos. "I hab glei' die harten g'macht", sagt Sylvie Engelmann. Sie
ist vor Kurzem 57 geworden, aber sie wirkt jünger, ihre Augen sind grellblau
geschminkt, sie trägt eine grüne Kappe. Und Zöpfe, wie damals, als sie 1979 die
masturbierende Elke im Enz-Film "Aus dem Tagebuch einer 17-Jährigen"
spielte.
Wenn man Sylvie Engelmann fragt, ob man mit ihr
den Film angucken könne, lächelt sie gelassen. "Kein Problem, i kenn ihn
in- und auswendig." Über den gelockten Darsteller, mit dem sie auf dem
Sofa Sex hat, sagt sie: "Das war recht a Zurückhaltender eigentlich."
Und die Szene, in der Elke von ihrer Schulfreundin Ellen verführt wird?
Engelmann spricht darüber, als wäre es ein "Tatort". "I hab' einfach
die Rolle so g'spielt, wie ich mir vorstell', dass die jetzt einen Orgasmus
hat. Mei' Seele hab i ned verkauft."
Heute arbeitet sie als Burlesque-Lehrerin und
schreibt an einem autobiografischen Roman. Sie selbst hat früh ihren Frieden
gemacht mit ihrer Porno-Vergangenheit. Doch in München damals, sagt Engelmann,
"hast des ja koam erzählen dürfen, da warst ja aussätzig". 1983
spielte sie im Kinofilm "Kehraus" neben Gerhard Polt. Zur Premiere
hat man sie dann nicht eingeladen, "da kam des wohl erst hinterher raus,
dass i gewisse Filme g'macht hab." Pornos können traurig machen. Nicht nur
diejenigen, die sie angucken.
Nur einmal prallen die Welten des anspruchsvollen
Neuen Deutschen Films und der Sexfilme aufeinander. 1969 dreht Hans-Jürgen
Syberberg eine TV-Dokumentation über den Münchner Produzenten Alois Brummer,
"Sex-Business - Made in Pasing". Brummer wird als getriebener
Geschäftsmann gezeigt, und Syberberg gibt sich alle Mühe, ihn blöd dastehen zu
lassen. Es ist zu sehen, wie Brummer "Graf Porno und die liebesdurstigen
Töchter" in einem Kuhstall dreht. Eine blonde Schauspielerin rennt nackt
an den Tieren vorbei. Sie wirkt dabei recht verzweifelt.
Sissy Engl sagt, der Eindruck täusche nicht. Sie
sitzt im Büro der Tanz-Akademie in München, deren Chefin sie ist. "Ich hab
unendlich Angst davor gehabt. Ich habe nichts mehr empfunden, so hab ich mich
geschämt." Sie ist über 60, wie alt genau, will sie nicht sagen. Die Wände
in Engls Büro hängen voller Urkunden und Fotos. Die Wände erzählen von
Erfolgen, aber noch mehr von der Sehnsucht nach Anerkennung. Im Gespräch geht
es erst mal um ihre Anfänge am Theater, als Tänzerin, als Läuferin bei der
Wiener Eisrevue.
Ende der Sechzigerjahre habe sie ein Angebot beim
Antitheater von Rainer Werner Fassbinder bekommen. Und abgelehnt, weil sie es
anstößig fand, wie Schauspieler "beim Fassbinder am Hosenbein hochgelangt
haben. Das hab ich später so bereut", sagt Engl. Dann rief Brummer an, und
sie wollte nicht noch mal prüde sein. So spielte sie nicht unter Fassbinder,
sondern eine Figur namens Grete Möslein. Obwohl sie nie eine Sexszene hatte,
sagt sie, habe sie alle Zeitungsberichte darüber weggeschmissen. "Ich
radier das lieber aus."
Die Kinogeschichte ist ein bisschen wie eine
Schatztruhe, aus der Regisseure sich bedienen. Man zitiert und variiert gerne
die großen Mythen. Nur den Sexfilm zieht niemand mehr aus der Truhe. Verfilmte
Herrenwitze, Kalauer und Koitus in endlosem Wechsel, kein Zauber, der die
Jahrzehnte überdauert hätte. Der Lederhosenfilm ist ausgestorben, was nach ihm
kam, war schlicht: der Lederhosenporno.
Garching an der Alz in Oberbayern, stattliche
Kirchen, viel Wald. Marcus Otto wohnt hier in einer vierstöckigen Villa. Er
schämt sich nicht für das OEuvre seines Vaters Gunter, eines der Regisseure,
die damals in die harte Branche gewechselt sind.
Auf einem Schnittcomputer schiebt ein k.u.k.
General gerade Josefine Mutzenbachers Kleid hoch. "Jessas", haucht
die titelgebende Prostituierte auf Wienerisch, "i war eh scho' richtig
ang'spitzt!"
Von Mitte der Siebzigerjahre bis zur Einführung
der Videokassette hatte der deutsche Porno goldene Zeiten. Es wurden noch
Drehbücher geschrieben, Kostüme und Kutschen gemietet. Otto ist ein stämmiger
Mann, 47, zwischen den schwarzen Haaren sind graue, aber wenn er vom wilden
Leben seines Vaters erzählt, kneift er vor Vergnügen die Augen zusammen wie ein
Schuljunge, der heimlich Pornos guckt. Seine Firma Herzog Video sei in der
Hardcore-Welt eine Traditionsmarke: "Uns kennt man für die Filme mit
Haaren."
Otto steigt runter in seinen Keller, der voller
Porno-DVDs ist. Eine Goldgrube? Otto schüttelt den Kopf. "Wir machen
weniger Umsatz als eine Pommesbude. Das Internet ist ein großer Mist, taugt
nix." Illegale Seiten klauen seine Filme, er komme mit dem Klagen nicht
hinterher. Otto sagt, er überlege, etwas Neues zu machen. Vielleicht
Industriefilme, vielleicht Coaching.
Jürgen Enz drückt sich Süßstoff in seinen zweiten
Milchkaffee. "Leichte Diabetes, nicht schlimm." Er sagt, er habe nach
den Pornos einiges probiert. Jahrelang versuchte er, ein Musical über Josefine
Mutzenbacher an die Theater zu bringen. Geworden ist es nichts, Enz meint, weil
der Sponsor BMW "rauskriegte, dass ich Pornos gedreht hatte".
In den Neunzigern führte er das Capitol-Kino in
Unterschleißheim. RTL und Sat1 brachten damals Sexfilme im Nachtprogramm, auch
seine, das spülte immer wieder Extrageld in Enz' Kinokasse. Dennoch musste er
2006 schließen. Er hat jetzt nur noch ein Projekt: Er will sein Drehbuch
"Totensonntag - Horror bis das Bier gefriert" verfilmen, eine Persiflage.
Ohne Sex. Alle klassischen Monster der Filmgeschichte will er darin vereinen.
"Den können Sie weltweit vermarkten, im Gegensatz zum 'Schuh des Manitu'."
Draußen zündet sich Enz eine Zigarette an. Wolken
hängen über der Stadt, die Häuser schimmern so matt wie in seinen Filmen. Ob
"Totensonntag" jemals gedreht wird? Enz ist Mitte 70, als er im
Geschäft war, musste er noch mit Filmrollen in ein Kopierwerk. Und die Filme
waren nicht eben eine Visitenkarte. Enz sagt, "den Film will ich noch
machen, bevor ich abkratze". Er brauche nur sechs Millionen Euro.
Er schleicht in seiner dünnen Jacke die Barer
Straße runter. Er kommt vorbei an der Münchner Filmhochschule. Würde er dort
studieren, wenn er heute jung wäre? Enz lächelt, schüttelt den Kopf. "Ich
würde einfach wieder loslegen."