Wie Heinz-Christian Strache gegen seinen schlechten Ruf, seine alte Partei und die eigene Verbitterung kämpft.
(erschienen am 12.9.2021)
In der kleinen Pizzeria im 21. Wiener Bezirk spielt der »Music Man« am Keyboard schon den zehnten Schlager, und Heinz-Christian Strache ist noch immer nicht da. Rund sechzig treue Fans warten an diesem Samstagvormittag Anfang September auf den gefallenen FPÖ-Chef, manche haben sich schon mal Essen bestellt. Dann, um kurz vor elf Uhr, ist es endlich so weit. Die Gäste legen das Besteck nieder und halten stattdessen ihre Handykameras in die Höhe: Strache in der Floridsdorfer Großfeldsiedlung, in der Pizzeria Casa d’oro, wo sonst nie ein Promi isst und die pompösen Säulen nur an die Wand gepinselt sind.
An Orten wie diesem will sich der Frontmann des nach ihm benannten Teams HC Strache den Einzug in den Wiener Gemeinderat sichern – indem er tut, was er immer getan hat: Autogramme schreiben, sich für Selfies zur Verfügung stellen und, trotz Coronavirus, möglichst jede Hand schütteln. In den Gesprächen in der Pizzeria geht es oft gar nicht um Politik. »Du hast so viel abgenommen!«, ruft ein weiblicher Fan. »Geh, überhaupt nicht, ich bin blad wie nie«, sagt Strache mit einem Augenzwinkern. Christian Höbart, Ex-FPÖ-Politiker und Generalsekretär der Strache-Liste, der den Spitzenkandidaten an diesem Tag begleitet, nennt es den »Startschuss in den Intensivwahlkampf«.
Als FPÖ-Chef kämpfte Strache einst in der höchsten politischen Gewichtsklasse gegen SPÖ-Kanzler und ÖVP-Obmänner. 2017 schaffte er es bis zum Vizekanzler. Dann kamen ein skandalöses Ibiza-Video, eine Spesenaffäre, zwei halbherzige Rücktritte. Vor nicht einmal zwei Jahren entschied er mit, wer Vorstand der teilstaatlichen Casinos Austria werden darf, nun steht er in einer engen Pizzeria, die zwischen einem Supermarkt und einem Admiral-Wettcafé liegt, und ringt um sein politisches Überleben. Wie geht es Strache in seinem ersten Wahlkampf gegen seine ehemalige Partei?
Strache lächelt sein altbekanntes Selfie-Lächeln, auch in seinen Reden klingt er wie immer. Wenn man ihn aber beim Zuhören statt beim Reden beobachtet, dann erfährt man etwas Neues über den Strache von heute. Es liegt dann etwas Angestrengtes in seinem Gesicht, eine Bitterkeit, die man bis vor eineinhalb Jahren bei ihm nicht kannte.
Zwei Tage vorher empfängt Strache zu einem Gespräch im neuen Parteibüro, wenige Meter vom Wiener Rathaus entfernt. Das Team HC Strache arbeitet im selben Gebäude wie die Wiener FPÖ, nur halt ein paar Stockwerke tiefer. »Das tut vielen in der freiheitlichen Familie extrem weh, wie schäbig die FPÖ-Spitze mit meiner Frau und mir umgegangen ist«, sagt Strache. Ihn selbst schmerzt sein Rauswurf nicht? »Es hat wehgetan, aber ich schaue nicht mehr zurück, sondern nur mehr nach vorne.«
Strache beteuert zwar, er habe mit der FPÖ abgeschlossen, aber es wirkt nicht so. Während des Gesprächs drückt er seine Zigaretten in einem blauen Aschenbecher mit dem Logo der Freiheitlichen Wirtschaft aus. Im Gang des Büros hängt ein altes Porträt von Strache, es ist aus FPÖ-Tagen. Nicht nur seine Miene, auch seine Stimme verrät, wie enttäuscht er ist. Strache klang zwar auch als FPÖ-Obmann wütend, aber dabei immer angriffslustig. Heute wirkt er bei seinen Reden oft gereizt und gekränkt.
Man wundert sich über diese Opferrolle. Hat sich der Mann auf Ibiza nicht selbst um Kopf und Kragen geredet? Strache erkennt in seinen Aussagen im Video bis heute keinen Grund für eine Verbannung aus der Politik. In seiner Welt waren die Aufnahmen lediglich peinlich, aber nicht unverzeihlich.
Das Ibiza-Video? »Manipulativ geschnitten.« Der Vorwurf, er habe hohe private Ausgaben über die Wiener FPÖ abrechnen lassen? »Konstruktionen« von ehemaligen Vertrauten, »um mich zu vernichten«. Der stattliche Lohn für seine Ehefrau Philippa als Social-Media-Redakteurin der FPÖ? »4000 Euro netto bei einem 16- bis 20-Stunden-Tag, ein adäquates Gehalt.« Der FPÖ-Mietkostenzuschuss für seine Privatwohnung in Klosterneuburg? »Ich habe die FPÖ als Kleinstunternehmen übernommen und, im Bild der Privatwirtschaft, einen Großkonzern daraus gemacht, dessen Aufsichtsratsvorsitzender ich war.« Alles adäquat also.
Am 29. August tritt der Ex-»Aufsichtsratsvorsitzende« in einem blütenweißen Hemd im Lotus-Event-Center, einem ehemaligen Chinarestaurant, ans Mikrofon. Es ist der offizielle Wahlkampfauftakt des Teams HC Strache in Wien-Donaustadt. Die anderen Kandidaten auf seiner Liste, darunter Gastronomen, ein Arzt, ein Polizist und eine verschwörungsgläubige Flugbegleiterin, bleiben Statisten. Sie wirken wie ein paar Strache-Fans, die zu Kandidaten hochgeföhnt wurden.
Das Team HC Strache sei ein »Start-up«, sagt sein Spitzenkandidat. Ein Start-up, allerdings ohne eine neue Idee. Weder der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp noch Straches Generalsekretär Höbart können inhaltliche Unterschiede zwischen ihren Parteien festmachen. Beide Seiten reklamieren nur für sich, glaubwürdiger zu sein. Für Strache wird es bei der Wahl besonders schwierig, weil auch die Wiener ÖVP weiterhin mit blauen Positionen um Stimmen wirbt. Erst kürzlich erklärte der türkise Spitzenkandidat und Finanzminister Gernot Blümel, dass der Erhalt einer Gemeindewohnung künftig an Deutschkenntnisse geknüpft werden soll – eine alte FPÖ-Forderung. Inhaltlich bleiben für Strache nicht viele Wahlargumente übrig. Laut aktuellen Umfragen muss er um den Einzug bangen, er braucht zumindest fünf Prozent.
Straches Rede im Lotus-Center klingt wie ein Greatest-Hits-Album aus 14 Jahren als FPÖ-Chef, nur Corona ist als Bonustrack hinzugekommen. Er spricht länger als eine Stunde, schnell kommt er in Fahrt, das Glas Wasser unter seinem Pult rührt er nicht an. Strache hört sich weder »übergeschnappt« an, wie es seine Ex-Parteifreunde in der Wiener FPÖ suggerieren, noch sonderlich gereift, wie er es über sich selbst erzählt. Er wirkt, wie er immer war. Gegen Ende lässt selbst bei Straches loyalen Jüngern die Aufmerksamkeit nach, in den hinteren Reihen wird getratscht. Strache hält es mit seinen Reden wie mit seiner politischen Karriere: Er will kein Ende finden.
»Die Wien-Wahl ist wie ein Boxkampf. Voriges Jahr habe ich einen Uppercut erwischt und bin zu Boden gegangen. Aber ich bin wieder aufgestanden, stärker denn je«, so formuliert es Strache im Parteibüro. Er zog früher häufig schiefe Vergleiche, dieser mit dem Boxer trifft es aber ganz gut. Schließlich wollen angezählte Kämpfer oft weitermachen, obwohl ihnen der K. o. droht. Das sprichwörtliche Handtuch werfen die Betreuer, nicht der Boxer. Die FPÖ schloss Strache am 13. Dezember aus. Doch dieser gründete einfach ein neues Team und wähnt sich bis heute mitten im Kampf.
Strache liebte es, FPÖ-Chef zu sein. Wenn er unter »HC«-Rufen in Bierzelten stand oder auf Dorfplätzen Österreichfahnen und wütende Reden schwang, lebte er auf. Strache sprach von seiner Partei als »Familie«, er verstand sich als Vater und Kümmerer. Während er auf Zuwanderer und politische Gegner energisch losging, war er nach innen ein beliebter Obmann und bis zur Ibiza-Affäre der unbestrittene Anführer. Als Vizekanzler sah er sich endlich auch in einem angemessenen Amt.
Politik sei eine »Berufung«, bemüht Strache eine Allerweltsfloskel. »Es steht außer Streit, dass ich heute mit meinem Unternehmen mehr Verdienstmöglichkeiten habe als in der Politik.« Selbst blaue Wegbegleiter, die ihm immer noch verbunden sind, bezweifeln dies. Strache hat eine GmbH für Beteiligungen und Beratungen gegründet, wie sie läuft, ist unbekannt. Als Wiener Gemeinderat bekäme er knapp 7000 Euro brutto im Monat.
Nachdem das Ibiza-Video veröffentlicht worden war, konnte Strache nicht stillhalten. Im Sommer 2019 stellte er Videos aus seinem Garten in Klosterneuburg auf Facebook, er gab Interviews und kokettierte mit der Rückkehr in die Wiener Stadtpolitik. Zum Bruch zwischen der FPÖ und Strache kam es offiziell im September 2019, vorgeblich wegen dessen undurchsichtiger Spesenabrechnungen, die heute Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen sind. Doch hinter den Kulissen krachte es schon den ganzen Sommer über. Die neue FPÖ-Spitze wollte damals, dass sich der alte Chef zurücknimmt. Strache dachte, man will ihn ganz hinausdrängen, er wollte jedoch zurück in die erste Reihe. Ein hochrangiger Vertreter der Wiener Freiheitlichen sagt, Strache habe schon im Juli 2019 in SMS-Nachrichten versucht, blaue Funktionäre abzuwerben.
Anruf bei Peter Westenthaler, ehemaliger FPÖ-Klubchef und späterer BZÖ-Obmann und wie Strache ein Politiker von gestern – anders als Strache weiß er das aber auch. Westenthaler erzählt, er habe zwar mit Strache »nie privat ein Bier getrunken«, sei aber nicht verfeindet und habe auch nach der Ibiza-Affäre mit ihm gesprochen. »Jeder hatte nach Ibiza seine Begegnungen mit Strache. Wir haben ihm alle dasselbe geraten«, sagt Westenthaler. Und zwar: »Schau zuerst, dass du deinen Rucksack an Gerichtsverfahren loswirst, und wenn alles eingestellt ist, kannst du wie Phönix aus der Asche zurückkommen.«
In der Pizzeria Casa d’oro in Floridsdorf kommt Strache noch immer gut an, auch wenn sein Auftritt inhaltlich nicht unbedingt appetitlich ist. Strache tauscht eine Red-Bull-Dose gegen ein Mikrofon und stellt sich neben den Pizzaofen. Die Fans sollen kriegen, was sie wollen. »Willst du eine Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen«, reimt er, wie schon vor mehr als zehn Jahren. Die Position der Wiener Grünen, wonach es nicht notwendig sei, dass Polizisten immer Schusswaffen tragen, übersetzt Strache seinen Anhängern so: »Schicken wir das nächste Mal die Polizei zum Banküberfall ohne Waffen? Deshalb müssts ihr HC Strache wählen.«
Mit solchen Sprüchen will sich Strache in den Gemeinderat poltern. Doch selbst wenn ihm der Einzug am 11. Oktober gelingt – in den Geschichtsbüchern der FPÖ wird es später wohl nur heißen, er sei im Abgang seltsam bitter gewesen.