Theresa Lachner schreibt seit 10 Jahren hauptberuflich über Sex. Im Interview zu ihrem neuen Buch Lvstprinzip erzählt sie von ihrem Leben als Sexkolumnistin, zwielichtigen Tantra-Gurus und patriarchalen Strukturen in unserem Sexleben.
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Theresa Lachner ist Journalistin und betreibt den erfolgreichsten Sexblog im deutschsprachigen Raum, wo sie offen, ehrlich und ungeschönt über ihre sexuellen Erlebnisse schreibt. Nun hat sie ihre Erfahrungen in ihrem neuen Buch Lvstprinzip zusammengefasst. Zwar schreibt Theresa darin auch über japanische Fesselspiele und Sexpartys, dennoch ist Lvstprinzip kein klassischer Sex-Ratgeber, sondern viel mehr die Geschichte des Lebens einer jungen Frau inklusive zahlreicher Ups and Downs – womit sich viele identifizieren können. Regelmäßig erhält die Autorin Zuschriften von Leser*innen, die sich von der Kolumnistin verstanden fühlen und sie um Rat bitten. Seit kurzem macht die Journalistin auch eine Ausbildung zur Sexualberaterin.
In deinem Buch schreibst du: “Das Leben ist zu kurz, um nicht dem eigenen Lustprinzip zu folgen”. Was ist das denn eigentlich, das eigene Lustprinzip?
Theresa Lachner: Das ist eben das Schöne, dass man das irgendwie für sich selber rausfinden muss. Ich glaube, das ist auch, was ich versuche, in meiner ganzen Arbeit zu propagieren: Es gibt keine Bedienungsanleitung - weder beim Sex noch fürs Leben. Ich denke, mein Prinzip, die Dinge im Leben zu machen, ist halt das Lustprinzip. Also ich versuche wirklich so weit es geht, das zu machen, worauf ich Bock habe, das war auch beim Blog so. Ich habe vorher bei einer Frauenzeitschrift gearbeitet, da wurde mir immer wieder gesagt: “Na das kannst du so nicht sagen, da springt ja der Anzeigenkunde ab” und so weiter. Als ich da rausgekommen bin, hatte ich auf nix mehr Lust. Dann saß ich in Sri Lanka am Strand und dachte mir: Was mach ich jetzt mit meinem Leben? Was würde ich gerne machen? Ich habe gemerkt, die Sachen, die ich bei der Frauenzeitschrift nicht schreiben konnte sind nun mal genau die, die mich interessieren - daraufhin habe ich den Blog Lvstprinzip gestartet. Und dann wars total schön zu sehen, dass es auch sehr viele andere Leute interessiert. Ich glaube, so habe ich auch das Buch geschrieben: Ich hab überlegt, was interessiert mich eigentlich? Was würde ich gerne lesen wollen und was kann ein Buch sein für jemanden? Und das habe ich dann geschrieben.
Du sagst, für Sex gibt es keine Bedienungsanleitung, besuchst aber immer wieder Sex-Workshops, in denen genaue Techniken und Anleitungen erklärt werden. Wie passt das zusammen?
Theresa Lachner: Ich finde es sinnvoll, die Regeln zu kennen, um sie dann brechen zu können. Ist genauso beim Schreiben. Ich habe Literaturwissenschaften studiert und weiß also theoretisch ganz genau, wie ich ein richtig hartes Klugschreißerbuch schreiben könnte, habe dann aber entschieden, es lieber genau so zu schreiben, wie ich es sagen würde, weil ich will, dass es sich liest als würden wir uns unterhalten. Und dabei zitiere ich halt Dostojewski und Frauentausch auf derselben Seite - einfach weil ich’s kann. Ich glaube, genauso funktionieren diese ganzen Sexerfahrungen für mich. Ich begebe mich gerne in diese Workshopsituationen, weil ich sehr neugierig bin und gerne Neues lerne. Ich schaue mir das an und beschließe dann entweder "okay, das ist totaler Scheiß" oder "hey, das ist super". Ich glaube, das Interessante ist, sich Sachen kritisch anzuschauen. Das gilt echt für alles. Ich möchte keine dieser - teilweise auch - beschissenen Erfahrungen missen wollen, weil ich da so viel gelernt habe.
Was war denn eine der krassesten Erfahrungen, die du gemacht hast?
Theresa Lachner: Ich denke, das beschissenste war dieses Tantra-Seminar. Ich bin da hingekommen, ich glaube es waren drei Frauen auf acht Männer oder so. Es waren leider wirklich Leute, von denen ich mich in der U-Bahn weggesetzt hätte. Das klingt jetzt gemein, aber das war einfach niemand, neben dem ich sitzen wollte, geschweige denn mit ihm Sex haben. Ich habe dann relativ schnell beschlossen, zu gehen. Ich wollte dann auch nicht drüber schreiben und so tun, als wär’s toll und dann liest es eine 20-Jährige und denkt, sie muss das jetzt auch machen. Also habe ich wirklich aus dem Verantwortungsgefühl meiner Leserin gegenüber abgebrochen. Dabei hat mich dann noch der Chefguru gedisst von wegen, "dann brauchst du dich halt nicht wundern, wenn du keine spirituelle Erleuchtung erfährst", dabei war so offensichtlich, dass die da einen Frauenmangel hatten und dem natürlich sehr daran gelegen war, dass eine junge Frau bleibt. Ich habe dann einen Artikel gemacht, wie man sich aus solchen Scheiß-Situationen befreien kann und sollte, quasi "Hör’ auf dein Bauchgefühl, mach nix, was du nicht willst". Ich finde, das ist auch eine wichtige Botschaft.
Du hast bereits 36 Länder bereist - Welche Unterschiede sind dir denn in Bezug auf den Umgang mit Sexualität aufgefallen? Wie verhalten oder aufgeschlossen sind wir in Deutschland und Österreich? Und wie reagieren die Menschen so, wenn du ihnen von deinem Beruf erzählst?
Theresa Lachner: Gerade Österreich und Deutschland sind wirklich interessant. Ich bin in Österreich immer wieder erstaunt, wie spießig man hier teilweise noch ist, dass ich mir manchmal denke "Wirklich??" Generell bleibt man schon sehr unter sich und redet nicht gern mit neuen, fremden Leuten, allerdings wird es schon echt besser in den letzten Jahren, muss ich sagen. Aber es ist schon ein Unterschied, worüber die Leute gerne reden wollen beziehungsweise fällt mir dann immer diese Erleichterung auf, wenn es dann mal geht. Also wie sehr sich die Leute freuen, auch einmal offener zu reden, quasi "Okay jetzt kann ich da mal was 'zu sagen". Für meine Arbeit ist das natürlich total super, wenn’s noch was aufzuklären gibt. In Berlin sind alle schon so: "Aha, ein Sexblog...ja und über was dann so? BDSM oder was?" Und wenn du dann sagst, "Ne, ne, einfach nur über Sex", dann ist die Reaktion eher so "Ach so ja, langweilig" - das ist aber wirklich nur Berlin, da ist der Rest von Deutschland schon noch ganz anders. Was ich aber generell sagen muss: Wurscht, wo auf der Welt ich hinkomme - wenn ich erzähle, was ich mache, freuen sich alle! Das ist schon schön. Das hat man wohl in wenigen Jobs, dass du irgendwo in Sri Lanka im Teefeld stehst und sagst "Hey, ich bin Sexkolumnistin" und alle so: "Ah! Sehr wichtig! Guter Job! Gut, dass das jemand macht."
Warum fällt es so vielen von uns immer noch so schwer, offen über Sex zu sprechen?
Theresa Lachner: Ich glaube, wir leben momentan in einer sehr "instagrammigen" Welt, wo man von den anderen immer nur das mitbekommt, was richtig geil läuft. Ehrlich Schwäche zugeben ist einfach nicht so schick und ich glaube, gerade beim Thema Sex ist schon viel Leistungsgedanke mit dabei. Also, dass man da auch eher so bisschen rumprotzt, auf die Art "haha, ging voll ab gestern" - und zwar bei Männern und bei Frauen. Das ist jetzt weder gut noch schlecht, das ist einfach so. Ich glaube aber, das ändert sich gerade durch #metoo schon ein bisschen. Dass man eben auch über diese sogenannten Grauzonen mehr oder anders kommuniziert und das finde ich sehr wichtig und gut. Natürlich ist das aber nie leicht. Mein Credo ist, über nichts zu schreiben, was für mich noch unverarbeitet ist. Ich verarbeite viel beim Schreiben, danach ist es auch gut und sortiert und kann raus. Wenn es das noch nicht ist, würde ich mich damit nur verletzen, deswegen hat das ja auch eine Schutzfunktion, dass man sagt "Ich binde jetzt nicht der Frau da hinten meine Periodenschmerzen auf die Nase", also das ist ja auch in Ordnung, aber ich finde es muss einfach Safe Spaces geben, wo man sich mitteilt. Ich denke, dass mein Buch für manche auch eine Art Freund ist, was sowas angeht. Das ist auch eine Reaktion, die ich ganz viel bekomme, dieses "Wow, ich habe mir das alles auch schon gedacht, aber ich hab’s noch nie so gelesen". Ich bekomme auch sehr persönliche Geschichten erzählt, weil das auch etwas ist, das dir Social Media nicht so geben kann, glaube ich. Oder zumindest nicht in der Bandbreite von so einem Buch.
Ist es nicht so, dass Plattformen wie Instagram da gerade aufholen? Es gibt ja mittlerweile schon viele Menschen, die sehr Privates dort teilen und dafür viel Zuspruch bekommen ...
Theresa Lachner: Ja, das passiert schon und das finde ich auch richtig gut. Mein Problem ist immer nur: Wie viel kannst du in diesen paar Zeichen wirklich sagen? (...) Einerseits finde ich es gut, dass Leute da ehrlich sind und zu ihren Struggles stehen, andererseits sehe ich oft Sachen, wo ich mir denke "Vielleicht wär das jetzt doch besser in einer Therapie aufgehoben". Quasi: Was bringt es jetzt wirklich, das hier so in die Welt zu kotzen?
Andererseits: Who am I to judge? Es gibt sicher Leute, die sich da abgeholt und verstanden fühlen, mit denen das was macht, aber da schaue ich, glaube ich, aus mehreren Richtungen drauf und kann das nicht uneingeschränkt positiv finden. Aber natürlich besser als nur totgephotoshoppte Bikiniselfies. Eh klar. Ich denke, man kann auf jeden Fall einen reellen Diskurs auf Social Media führen. Ich finde gerade auch Instagram als politische Plattform immer spannender und relevanter. Da passieren Sachen, die kriegen halt andere Leute wirklich nicht mit. Gerade über intersektionalen Feminismus kann man wahnsinnig viel auf Instagram lernen, das finde ich super und wichtig. Aber so wie überall würde ich auch hier bewussten Konsum predigen und genau überlegen, was man selber teilt. Also je mehr Follower man hat, desto kritischer wird‘s. Das finde ich im Moment auch irgendwie schwierig, diese Call Out-Culture. Eine Freundin von mir postete mal ein Bild von ihrer Schokolade und bekam dann echt mehrseitige E-Mails, warum sie als Feministin auch Veganerin sein muss.Also dieses Sich-Abarbeiten an anderen Leuten, das finde ich schon brutal. Gerade genau in diesen politischen Kreisen, wo ich mir denke: Leute, warum zur Seite treten? Wir haben hier immer noch ein Patriarchat zu zerstören! Lasst die arme Frau ihre Schokobons essen!
Durch deine Offenheit machst du dich natürlich auch sehr verwundbar und bietest viel Angriffsfläche für Kritik. Welche Erfahrungen hast du mit negativen Kommentaren gemacht?
Theresa Lachner: Gerade, wenn du über Themen wie Sex, den eigenen Körper, etc. schreibst, ist sehr interessant, was da passiert. Eigentlich bist du immer gearscht. Entweder du redest nicht drüber, dann kann sich auch nix verändern oder du redest darüber, dann öffnest du damit Tür und Tor. Ich habe einmal einen Artikel darüber geschrieben, was ich schon für beknackte Kommentare über meinen Körper bekommen habe - der wurde geteilt wie blöd, weil es sehr vielen Frauen so geht. Gleichzeitig löst das aber natürlich wieder eine neue Welle an beknackten Kommentaren über meinen Körper aus. Also einerseits: "Du Göttin!", "Du bist doch eh so hübsch" oder "Ich würd' dich schon nehmen". Gerne schreiben auch Männer im selben Satz "Ja reiß’ dich halt mal zusammen und hör’ auf zu essen dann wird aus dir auch noch was" und "aber ich würd’ dich schon ficken". Oder auch Frauen, die mir sagen, ich bin noch nicht dick genug, um mich aufzuregen und dann denke ich mir so: Es ist letztlich wurscht, was man macht und dadurch ist es fast schon wieder entspannend. Sorry, man kann diese Sachen nicht ernst nehmen. Alles, was Greta Thunberg gerade abbekommt, da denkst du dir: Wie hält die das aus, so stoisch zu bleiben? Die macht nichts, außer, dass sie halt ein 16-jähriges Mädchen ist, das seine Meinung sagt und Leute hören ihr zu und das regt dumme, alte Männer so auf - also ich finde, an der wird so ein Exempel statuiert, was passiert, wenn du als Frau den Mund aufmachst. Du musst dagegen halten. Auch wenn es manchmal nervig und scheiße ist.Ich hab das Glück, dass es das bei mir meistens nicht ist.
Durch dich werden wichtige Themen wie sexuelle Selbstbestimmung mehr in den Fokus gerückt und ein offener Umgang mit der eigenen Sexualität normalisiert. Was sollte sich deiner Meinung nach in unserer Gesellschaft in Bezug auf Sex noch ändern? Wo gibt es Aufholbedarf?
Theresa Lachner: Es gibt wahnsinnig viel zu tun. Also politisch, klar. Ich glaube, man hält sich oft nicht vor Augen, wie viel unserer gefühlt individuellen Lebensentscheidungen natürlich auch politische Entscheidungen sind. In Deutschland haben wir zum Beispiel gerade diesen Struggle mit §219a, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht beworben werden dürfen. Generell der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist ein Problem. Es ist immer noch nicht entkriminalisiert und kostet rund 600 Euro, denn eine Schwangerschaft ist ja keine Krankheit, daher übernimmt das keine Kasse. Es gibt einfach ganz viel am Gesundheitssystem, wo ich denke "Holy shit“. Ich meine, es gibt immer noch keine Verhütungsmethode für den Mann außer Kondom und Sterilisation. Es gibt ganz viele, die kurz vor der Zulassung sind, aber so richtig interessiert sich die Medizin nicht dafür, weil "Hey, klappt doch super, die Frauen sollen doch einfach weiter Hormone fressen!“ Der weibliche Körper generell wird in der Medizin ja komplett vernachlässigt und vergessen. Alle Medikamente werden immer nur an Männern getestet, denn die Frau könnte ja schwanger sein. Das ungeborene Leben hat viel mehr Rechte als die Frau selbst – das ist irrsinnig problematisch. Oder, dass zum Beispiel Endometriose null erforscht ist, ist denen so wurscht! Als Frau leidest du ja eh, weil Geburt und so. Frausein heißt leiden, deswegen wird da eigentlich nicht viel gemacht und das regt mich so auf, weil ich sehr viele Freundinnen habe, die Endometriose haben, die Eileiterschwangerschaften haben, die Fehlgeburten haben und ich denke mir: Es wäre doch sehr schön, wenn Frauen weniger sinnlos leiden müssten und zwar auch in unserer sehr zivilisierten Welt. Oder wenn du als Frau ein Kind bekommst, wirst du gleich mal aus deinem Job rausgemobbt, weil dann bist du eh nur noch so eine blöde Mutti, kriegst eine beschissene Rente und stehst halt da im Endeffekt. Das sind so viele Themen…als Frau - wurscht, wie - machst du‘s halt eh falsch. Ich glaube, dass es noch sehr viel Wut braucht, bis sich so richtig was ändert.
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