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Handwerk sieht öffentlichen Dienst bei Fachkräftemangel gefragt

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Deutschland klagt über Fachkräftemangel. Der Gastronomie kamen die Mitarbeiter durch die Corona-Regeln abhanden. Doch auch andere Branchen klagen. Handwerksvertreter finden, am Fachkräftemangel sei auch der öffentliche Dienst schuld. Würde der Staat weniger Regeln erlassen, müsste er weniger kontrollieren und bräuchte weniger Leute.

von Luise Binder, MDR AKTUELL

Ob aus Gastronomie, Logistikbranchen, Handwerksberufen oder aus dem Gesundheitswesen: Von überall ertönt der Ruf, man brauche dringend Fachkräfte. Von Sektor zu Sektor gebe es spezifische Ursachen für den Arbeitskräftemangel, sagt Joachim Ragnitz, stellvertretener Leiter vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung Dresden: "Also nehmen wir mal die Gastronomie. Da sind während der Corona-Krise viele Jobs erst mal abgebaut worden. Die Menschen haben sich anders orientiert, sind woanders hingegangen und haben dann hinterher festgestellt, naja, ist ja viel angenehmer, jetzt nicht irgendwie abends arbeiten zu müssen oder am Wochenende."
Eine Frau bedient in einem Restaurant Kundschaft.

Wo es für ehemalige Gastronomie-Angestellte angenehmer war, wisse das ifo-Institut dank einer Untersuchung ziemlich genau, erklärt Ragnitz: "Das war teilweise im Handel der Fall, im Versandhandel, im Internethandel, wo eben auch entsprechende Leute gesucht worden sind. Darüber hinaus scheinen gerade aus der Gastronomie viele Leute in die Logistik gewechselt zu sein."

Und diese kehrten auch nach der Pandemie nicht in ihre alten Branchen zurück. Aber wieso wird dann trotzdem in der Logistik und im Handel weiter geklagt? Zumal in Deutschland so viele Menschen wie noch nie arbeiten: In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um 15 Prozent gestiegen. Das geht aus der Arbeitszeitrechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.

Es sind also nicht die Arbeitskräfte dem Markt abhandengekommen, sondern der Bedarf an Arbeitskräften ist seit der Massenarbeitslosigkeit der 2000er-Jahre stark gestiegen. Deutschland sei der Vollbeschäftigung inzwischen deutlich näher, sagt Enzo Weber vom IAB: "Wenn wir Vollbeschäftigung wollen, dann müssen wir auch akzeptieren, dass neue Arbeitskräfte zu bekommen dann entsprechend auch nicht mehr so leicht ist. Das heißt, dieser stärkere Wettbewerb, da sind wir auch einfach Opfer des eigenen Erfolgs, weil wir im Arbeitsmarkt so eine gute Entwicklung hatten."

Diesen Wettbewerb gewinnen Branchen, die gute Gehälter und Sicherheiten bieten. Viele Fachkräfte finden sich daher im öffentlichen Dienst. Das ärgert Volker Lux von der Handwerkskammer Leipzig: "Wenn wir uns mal den Freistaat Sachsen anschauen, da gab es vor, ich glaube, noch zehn Jahren mal das Ziel der Staatsregierung, im öffentlichen Dienst die Stellenzahl auf 70.000 zu begrenzen. Davon ist man ganz weit weg. Jetzt sind im Staatsdienst des Freistaates Sachsen fast 100.000 Menschen beschäftigt. Und das sind nicht alles Lehrer und Polizisten."

Und bei denen wird es nicht bleiben, denn die Kommission zur Ermittlung des künftigen Personalbedarfs geht in ihrem Ergebnisbericht von 2020 davon aus, dass 95 Prozent der bestehenden Aufgaben noch aufwendiger und neue Aufgaben hinzukommen werden. Grund dafür seien neue rechtliche Standards oder auch die Digitalisierung. Heißt: Der Freistaat Sachsen braucht weiterhin mehr Arbeitskräfte um die Verwaltung aufrecht zu erhalten.

Volker Lux wünscht sich ein Mäßigungsgebot für den Staat, "sowohl bei der Personalbeschaffung als auch bei den Belastungen, die der Staat Unternehmen auferlegt. Also jede Regel, die der Staat uns gibt als Wirtschaft, muss ja auf der anderen Seite jemand kontrollieren und jemand administrieren. Und ich denke, dass man mit so einem Mäßigungsgebot auf der einen oder auf der anderen Seite wirklich Fachkräfte im wahrsten Sinne des Wortes freisetzen könnte."

Auch an anderen Stellen ist es notwendig, Arbeitskräfte verfügbar zu machen, denn aus Altersgründen werden dem Arbeitsmarkt bis 2035 tatsächlich sieben Millionen Menschen fehlen. Laut Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung lässt sich diese demografische Schrumpfung jedoch komplett vermeiden, wenn alle Potenziale genutzt würden.

IAB-Vertreter Enzo Weber erklärt: "Wir haben Millionen von Minijobbern, bei denen viele eigentlich deutlich mehr arbeiten möchten, und wir sehen, dass Zugewanderte in Deutschland ganz häufig unter ihrem Potenzial arbeiten und dass viele dann auch relativ schnell wieder weggehen.

Weiteres Potential liege bei Menschen, die in belastenden Berufen verfrüht in Rente gehen. Für sie müssten andere Tätigkeiten gefunden werden. Und schließlich brauche es Ideen wie bessere Kinderbetreuung, um Frauen auch nach der Familiengründung wieder für eine Vollzeitstelle zu gewinnen.

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/fachkraefte-mangel-vollbeschaeftigung-corona-oeffentlicher-dienst-100.html