Eigentlich sollte Stefano nur mal bei mir duschen. Ein paar Wochen vorher war er mir vor meinem Stammcafé aufgefallen: ein dicker Mann mit freundlichem Gesicht. Ich hatte gerade meinen Job verloren, war darüber ein bisschen enttäuscht und verbrachte viel Zeit in dem Café, vor dem Stefano saß. Wir unterhielten uns ab und zu, ich kaufte ihm mal ein Wasser oder eine Pommes. Irgendwann bot ich ihm an, mal bei mir zu duschen.
Ich sah das Ganze als kleines Projekt. Projekte managen ist mein Beruf, das kann ich gut. Nur mit Stefano lief es von Anfang an ein bisschen anders als geplant: Stefano schaffte es nämlich nicht gleich in meine Wanne. Als ich ihn zum Duschen allein ließ und eine Stunde später heimkam, kauerte er nackt vor meiner Toilette. Er hatte Angst gehabt, alleine in die Wanne zu steigen. Wasser war ihm auch nicht geheuer. Also musste ich ihm helfen: Stefano wiegt 150 Kilo, klebte, stank und wackelte am ganzen Körper. Aber es klappte am Ende.
Die nächsten Schritte waren neue Klamotten und eine neue Brille. Wir sahen uns regelmäßig. Ich ließ ihn zu mir rein, wenn er sich umziehen oder duschen musste. Er fing an, mir von sich zu erzählen. Dass er als schwuler Mann aus Italien gekommen ist. Dass er arbeiten und wieder ins Theater gehen will. Dass er Angst davor hat, nachts auf der Straße angepisst oder angezündet zu werden.
Irgendwann bot ich ihm an, ausnahmsweise bei mir auf der Couch zu übernachten. Ich wollte die Nacht eh bei meiner Freundin verbringen. Morgens ging Stefano zurück an seinen Stammplatz vor dem Café. So ging das wieder ein paar Tage, und ich fing an, ihm zu vertrauen. Stefano ist immer respektvoll, nimmt keine Drogen und behandelt die Wohnung gut. Also entschied ich: Ich möchte Stefano helfen, von der Straße wegzukommen. So lange wohnt er eben bei mir. Und bekommt auch den Schlüssel.
Dass es so schwierig wird, hätte ich selbst nicht gedacht: Seit fast drei Monaten verbringe ich die Nächte jetzt bei meiner Freundin, und Stefano schläft auf meiner Couch. Wir haben klare Regeln: Stefano darf nur ins Wohnzimmer und ins Bad. Er darf nicht kochen. Ich komme regelmäßig nach Hause, hole ein paar frische Sachen und gehe mit ihm die nächsten Termine durch. Es ist so viel Bürokratie und Papierkram, es gibt so viele Hürden, um wieder zurück ins System zu kommen: Tausende Anträge, Nachweise und Dokumente.
Aber es geht voran: Stefano hat jetzt einen Minijob. Er putzt bei meinem Friseur. Sein Antrag auf Hartz IV läuft. Und in ein paar Tagen zieht er in ein möbliertes Zimmer. Die Miete ist erst mal bis Ende Januar gezahlt, das Geld habe ich besorgt. Ich bin also zuversichtlich: Das Projekt wird erfolgreich beendet. Stefano geht nicht zurück auf die Straße.
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