Mein erster Mann sollte seine Doktorarbeit in Deutschland schreiben. Und als er fertig war, konnten wir nicht mehr zurück nach Äthiopien. Ich wäre gern zurückgegangen, aber es ging nicht, die politische Lage war schrecklich. Zu der Zeit gab es in Deutschland die Studentenbewegung, auch mit Demos gegen die äthiopische Regierung. Und ich mittendrin. Das äthiopische Militär verfolgte uns daraufhin bis nach Deutschland und nahm uns die Pässe ab.
Heute, 40 Jahre später, habe ich eine Ausbildung, einen Beruf, Familie und ein großes Privileg: Freiheit. Frauenfreiheit, politische Freiheit. Ich würde Deutschland vermissen, wenn ich zurück nach Äthiopien ginge. Aber ich bleibe meiner Heimat verbunden, mehr noch: Ich bin meine Heimat. Sie ist Teil meiner Arbeit, ich verkaufe afrikanische Musikinstrumente und organisiere Kulturveranstaltungen.
In Äthiopien wird gerade Geschichte geschrieben. Es gibt einen neuen Premierminister. Er ist jung und Oromo, wie ich. Er ist ein Symbol für Freiheit. Und hoffentlich für Frieden. Das ist mein Traum.
Tanzen ist wie das Warten auf Chaos. Alles ändert sich so schnell. Man weiß nie, ob man morgen noch auf derselben Bühne steht. Da bekommt Heimat eine andere Bedeutung. Uns verbindet viel mit Deutschland. Wir haben uns hier auf einer Premierenparty kennengelernt, Freunde gefunden, geheiratet. Unser Sohn wird bald hier geboren. Zum Leben vermissen wir Brasilien nicht. Wir fühlen uns wohl hier. In Deutschland zu leben ist so bequem, weil alles funktioniert. In Brasilien ist Chaos Alltag. Das Land ist kompliziert, gefährlich und politisch instabil.
Natürlich ist es unsere Heimat. Da sind unsere Wurzeln, die Sprache, die Familie, der Humor. Aber wir identifizieren uns mit vielem nicht mehr. Als Deutsche fühlen wir uns natürlich auch nicht. Wir sind irgendwie in der Luft. Das ist aber kein schlechtes Gefühl. Nach Deutschland zu kommen und sich vollständig als Deutsche zu fühlen ist eine Utopie. Genauso wie die Artikel im Deutschen zu lernen. Der/die/das - das ist Lotto. Egal wie viele Jahre man es versucht.
Als ich mit 17 zum Studieren nach Deutschland kam, war ich die ersten Tage high von den neuen Eindrücken - und total überfordert. Deutschland und Indien, das sind zwei verschiedene Welten. Im Studentenwohnheim musste ich plötzlich alles selber machen: einkaufen, kochen, waschen, putzen, das hat in Indien alles Mama erledigt. Die Deutschen fand ich anfangs distanziert. Inzwischen schätze ich ihre Art. Wenn sie Freundschaft schließen, dann mit ganzem Herzen.
Ich habe hier auch meine Frau kennen gelernt, ein Riesenzufall. Sie kam damals von einer Reise aus Indien und suchte jemanden, mit dem sie Telugu sprechen konnte. Meine Muttersprache. Viel Telugu habe ich ihr nicht beigebracht. Stattdessen haben wir geheiratet.
Das sage ich jetzt so leicht, aber das war ein Kampf. Meine Eltern sind traditionell und waren anfangs schockiert, weil wir heimlich geheiratet haben, aber inzwischen ist alles gut. Wir sind öfters mit unseren Kindern bei ihnen. Die ganze Familie wohnt unter einem Dach. Früher war das normal, jetzt schwirrt mir der Kopf. Trotzdem ist beides Heimat. Heimat ist für mich nicht zwingend ein Ort. Es ist eher das, was man erlebt.
Ich kam mit dem Bus und lauter Koffern aus Rumänien, ein Abenteuer. Ich hatte kein Geld, sprach kein Deutsch. Aber ich konnte recht schnell meine Ziele erreichen, lernte die Sprache, verdiente Geld und verliebte mich in meinen zukünftigen Mann. Wir haben geheiratet, zwei Kinder bekommen. Wir leben in Oberfranken, es geht mir sehr gut hier. Trotzdem fühle ich mich nicht zu Hause.
Heimat ist für mich unser Hof in Rumänien. Da sind die Erinnerungen, die Gerüche und Geräusche. Ich habe Sehnsucht nach diesem einfachen Leben: Hühner rupfen, Mais ernten, Polenta kochen. Es gibt keinen schöneren Ort für mich. Als ich damals nach Deutschland kam, war Geld die große Verlockung. Jetzt habe ich es und merke, dass es nicht so wichtig ist. Häufig fliege ich nach Rumänien. Und wenn ich wieder hier bin, freue ich mich auf die Rituale mit meinem Mann: Am Abend sitzen wir vor unserem Haus und trinken ein kräftiges dunkles Bier. Dann frage ich ihn, wie sein Tag war, und wenn er sagt: "Passt schon", dann weiß ich, es war ein gelungener Tag. Die Oberfranken reden schließlich nicht so viel.
Eldar, RestaurantbesitzerAn meinem ersten Tag in Deutschland musste ich kotzen, weil ich so eine Angst hatte. Man hat als israelisches Kind in der Schule so viele Dokus gesehen. Deutsche waren damals in meinem Kopf Monster.
Dann war ich hier, und es war wunderschön. Leipzig war einladend. Die Leute waren entspannt. Ich habe schnell Deutsch gelernt, gejobbt, gemalt, Musik gemacht. Die Angst ließ nach. Trotzdem bleibe ich der Israeli in Deutschland. Ich hab wirklich alles erlebt. "Du bist Antisemit", "Du bist ein Nazi", "Du tötest Palästinenser". Aber viele wollen auch einfach nur mal von einem echten Israeli hören, was er denkt. Manchmal ist es ermüdend, ständig einen politischen Diskurs zu führen, deshalb sag ich dann einfach nicht, wo ich herkomme.
Klar vermisse ich Israel. Das Essen, das Wetter, den israelischen Humor. Der ist so schrecklich schwarz. Wir machen Witze über den Holocaust, um mit den schlechten Zeiten besser klarzukommen. So wie: Seit zwei Jahren bin ich der Nazi in meiner eigenen Küche. Denn wenn's ums Essen geht, bin ich wirklich radikal.
In Deutschland hätte meine Mutti mich abtreiben müssen. Vietnamesische Vertragsarbeiter durften in der DDR keine Kinder bekommen. Deshalb bin ich in Hanoi zur Welt gekommen. Und aufgewachsen in einem kleinen Kaff in Sachsen-Anhalt. Meine Eltern haben mir beigebracht, niemandem zu trauen. Wir Kinder kamen wenig raus. Immer wieder wurde ich bedroht, wurde von Rechten gejagt und geschlagen.
Mir war klar, die Welt ist größer als dieses Kaff. Nach dem Abitur zog ich nach Berlin. Heute versuche ich die Balance zu halten, zwischen Vorsicht und Neugier. Ich will auf Menschen zugehen, sie kennenlernen, und wenn jemand feindlich auf mich reagiert, versuche ich gelassen zu bleiben. Aber auch ich bin nicht allen gegenüber offen. Ich sage zu Mutti: "Pass auf deine Tasche auf", wenn Sinti und Roma vorbeigehen. Frei von Vorurteilen zu sein ist eine Illusion. Aber man darf nicht aufhören, gegen sie anzukämpfen.
Rétablir l'original