Die Italiener sind aufgerufen, bei einem Referendum über eine Änderung der Verfassung abzustimmen. Die meisten jungen Leute sind laut Umfragen dagegen. Im Gespräch wünschen sich viele eine besser funktionierende Politik, sind aber verunsichert, ob die Reform etwas verändern kann.
Lara Mion hat ihre Stimme schon vor einigen Tagen abgegeben. "Ich habe mit Nein gestimmt", sagt die 24-jährige Italienerin mit den blonden Locken. Sie sitzt in der Küche ihrer Altbau-WG in Berlin-Mitte. Die junge Frau ist eine von mehr als fünf Millionen Italienern, die im Ausland leben. Sie sei nicht davon überzeugt, dass die Verfassungsreform Italien voranbringen kann, sagt die Dolmetscherin.
Etwa 51 Millionen Italiener sind heute aufgerufen, in einem Referendum über eine umfassende Reform der italienischen Verfassung abzustimmen. 46 von 139 Artikeln sollen umgeschrieben werden, sofern die Mehrheit der Wahlberechtigten sich für ein "Si" entscheidet. Ein Kernstück der Reform ist, das italienische Parlament neu zu organisieren. Bisher sind beide Kammern - Abgeordnetenhaus und Senat - gleichberechtigt. In der Praxis hat das die Arbeit an neuen Gesetzen langsam und ineffizient gemacht. Mit der Reform soll das Abgeordnetenhaus mit seinen 630 Mitgliedern deutlich gestärkt werden.
Starke Tendenz zum Nein bei den Jungen
In Umfragen kurz vor der Abstimmung ist besonders eine Wählergruppe in den Fokus gerückt: die jungen Italiener zwischen 18 und 34 Jahren. Die Trends zeigen, dass die meisten das "No" ankreuzen wollen.
Zehn Fakten zur Verfassungsreform
1. Eine Verfassungsänderung wird seit 30 Jahren diskutiert.
2. Die Reform wurde bereits vom Senat und der Abgeordnetenkammer abgenickt.
3. Sie soll ein in Europa einzigartiges System mit zwei gleichberechtigten Parlamentskammern abschaffen ("perfekter Bikammeralismus").
4. 47 Paragrafen sollen geändert werden.
5. Der Senat soll von 315 auf 100 Mitglieder schrumpfen und ehrenamtlich arbeiten.
6. Das Volk soll die Senatoren nicht mehr direkt wählen können, nur noch die Abgeordnetenkammer.
7. Die Senatoren sollen nicht mehr über alle Gesetze abstimmen können, nur noch über Verfassungs- und EU-Fragen.
8. Nur die Abgeordneten sollen der Regierung das Vertrauen entziehen können.
9. Die Rechte der Regionen sollen beschnitten werden und der Staat künftig über Angelegenheiten wie Tourismus, Kulturgüter und Zivilschutz entscheiden.
10. Mit der Reform soll der Staat 500 Millionen Euro sparen. Kritiker sprechen von maximal 100 bis 160 Millionen. (Quelle: dpa)
Die Reform will außerdem die Beziehung zwischen Staat und Regionen neu regeln. Letztere sollen weniger Zuständigkeiten haben als bisher. Nachdem Italien sich lange um dezentrale Strukturen bemüht hat, erscheint das Gegnern des Referendums auf den ersten Blick wie eine Rückkehr des starken Zentralstaates. Das sei aber zu kurz gedacht, findet Alberto Dal Poz aus Padua. Die Verfassungsreform von 2001 habe lokale Ebenen stärken wollen, aber alles komplizierter gemacht. "Es gab viele Konflikte, bei denen der Verfassungsgerichtshof angerufen werden musste", sagt der 29-Jährige, der mehrere Jahre als Anwalt gearbeitet hat.
Für Veränderung heißt nicht gegen die Reform
Der Jurist Alberto Dal Poz hat im Vorfeld des Referendums beobachtet, dass viele junge Menschen unzufrieden mit dem Status Quo und gleichzeitig stark verunsichert sind. Das zeigt sich auch an Lara Mion und einer Altersgenossin. Mion wünscht sich, dass Italien mehr in Bildung und Kultur investiert. Paola Abad Ibarra aus Florenz würde ihr zustimmen. Die 25-Jährige hat hispanoamerikanische Literatur studiert, wie Lara Mion einen Erasmus-Aufenthalt in Deutschland gemacht und arbeitet jetzt im Marketing.
Weitere Links zum Thema Anders als Lara Mion will Paola Ibarra beim Referendum aber mit Ja stimmen. "Es ist immerhin ein Versuch, den Stillstand in unserem Land zu überwinden, der schon seit Jahren andauert." Trotzdem fand sie es schwierig, sich eine fundierte Meinung über die Reform zu bilden. "Ein großes Durcheinander und wenig aussagekräftig Informationen."
Dass Regierungschef Matteo Renzi (Partito Democratico) sein politisches Schicksal an den positiven Ausgang des Referendums geknüpft hat, spielte weder für Paola Ibarra und Lara Mion noch für Alberto Dal Poz eine Rolle bei ihrer Entscheidung. "Für viele Leute ist es aber wichtig und deshalb war es ein großer Fehler, die Abstimmung zu personalisieren", sagt er.
Das Problem liegt tiefer
Italien hat aber ein viel grundlegenderes Problem, wie Dal Poz findet. "Die Verfassung ist nicht nur eine rein technische Angelegenheit." Zwar sei es richtig, dass die derzeitige italienische Verfassung nicht funktioniere, wenn es um die Arbeit der staatlichen Organe gehe. Das Gleiche könnte aber für die jetzt angedachte Neufassung gelten. "Was wir aber brauchen ist, dass sich alle Italiener verantwortlich für das Land fühlen."
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