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Pro-Israel und Antisemitisch: Israels Dilemma mit dem Rechtsruck in Europa

Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde - getreu diesem Motto sehen offenbar immer mehr rechtsextreme Parteien im jüdischen Staat einen Verbündeten gegen ihren ideologischen Gegner, den Islam. Hass und Hetze richten sich zunehmend gegen Muslime, während antisemitische Äußerungen zumindest in den Parteispitzen an Salonfähigkeit verlieren. Führende Rechtspopulisten bekennen sich als Freunde Israels, fordern den Ausbau von Siedlungen im Westjordanland und unterstützen den jüdischen Staat im Nahost-Konflikt. Falsche Freunde

Zu den ersten europäischen Politikern, die anti-muslimische Propaganda mit pro-Israelischer Rhetorik zu kombinieren wussten, gehört Geert Wilders. Der niederländische Rechtspopulist, der als junger Mann einige Zeit in einem israelischen Kibbutz verbrachte, ist seit jeher für seine außerordentlich israelfreundliche Haltung bekannt. Mittlerweile buhlt auch Marine Le Pen vom französischen Front National (FN) um die Wählergunst der jüdische Gemeinde in Frankreich mit dem Versprechen, Juden und Jüdinnen vor islamistischen Angriffen auf Synagogen und jüdische Geschäfte zu schützen. Und der AFD-Funktionär Pretzell sorgte unlängst mit seiner Äußerung, Israel sei ein Vorbild im Umgang mit dem politischen Islam, für reichlich Konfliktstoff in den eigenen Reihen. Dabei tragen die meisten rechtsextremen Parteien schweren antisemitischen Ballast mit sich herum. Parteigründer des FN Jean-Marie Le Pen stand in Frankreich mehrmals wegen Holocaustleugnung vor Gericht. In Italien galt der frühere Außenminister Giafranco Fini jahrelang als Verfechter von Moussolinis faschistischer Ideologie, bis er in den 90er Jahren dem Antisemitismus abschwor und sich plötzlich um den Aufbau guter Beziehungen zu Israel bemühte. In Deutschland machte erst kürzlich die Rede Höckes zum Holocaust Mahnmal und der „Schande" der deutschen Erinnerungskultur die antisemitischen Tendenzen der AFD einmal mehr deutlich.

Israels Dilemma

Für Israel stellt der Umgang mit dem rechten Aufschwung in Europa ein Dilemma dar. Einerseits stärkt die pro-Israelische Haltung der rechten Parteien die Position eines sich im europäischen Raum zunehmend isolierenden Staates. Viele Konservative in Israel fühlen sich vom europäischen Mainstream nicht mehr angemessen unterstützt und suchen nach neuen Verbündeten, die sich im Israel-Palästina Konflikt klar zu ihrer Seite bekennen und ihre harte Linie gegen islamistische Kräfte teilen. Zudem ist es die Angst vor islamistischen Angriffen, die Parteien wie den FN für immer mehr Juden und Jüdinnen in Frankreich beziehungsweise Europa wählbar macht. Sie fühlen sich nicht genügend vor Attacken auf jüdische Einrichtungen durch Araber und Muslime geschützt, die fast überall in Europa zunehmen. Von dem anti-muslimischen Kurs rechter Parteien erhoffen sie sich, dass das Problem damit endlich auf die Tagesordnung kommt. Für die RechtspopulistInnen in Europa sind indes gute Beziehungen zu Israel die beste Möglichkeit, ihre antisemitischen Abgründe zu verwischen und den Fokus auf das Feindbild Islam zu lenken. Dabei warnen jüdische Gemeinden vor dem Erstarken antisemitischer Tendenzen durch den Erfolg der Rechtsextremen. Auf der jährlichen europäischen Rabbinerkonferenz im März zeigten sich führende Geistliche besorgt; ein Rabbiner kündigte gar an, seine Gemeinde werde Juden in Europa zur Flucht aufrufen, wenn extremistische Parteien dort die Führung übernehmen.

Ungeschriebene Gesetze

In israelischen Regierungskreisen galt der Umgang mit europäischen RechtspopulistInnen lange Zeit als ein No-Go. Unter Ministerpräsident Netanyahu, dessen Regierung selbst immer weiter nach rechts rückt, scheint sich diese Einstellung geändert zu haben. Geert Wilders wird seit 2009 offiziell im Außenministerium empfangen und im letzten Jahr war Heinz Christian Strache, Vorsitzender der rechtsextremen Freiheitspartei Österreichs (FPÖ) erstmals zu Gast im israelischen Parlament. Gute Beziehungen bestehen auch zur polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), ebenso wie zu Viktor Orbans Regierungspartei in Ungarn. Und das, obwohl in beiden Parteien AntisemitInnen sitzen und trotz der Art und Weise, wie sie in der Vergangenheit die Zusammenarbeit ihrer lokalen Bevölkerung bei der Vernichtung von Juden während des Holocausts heruntergespielt haben. Freilich gibt es einige ungeschriebene Gesetze im Umgang mit den europäischen Extremen. Dazu zählt, dass die Regierung die Einschätzung lokaler jüdischer Gemeinden in Europa achtet und keine Beziehungen zu PolitikerInnen aufnimmt, die in den Zentralräten als persona non grata gelten. So gibt es bislang keine offiziellen Gespräche mit Marine Le Pen -trotz all ihrer Beteuerungen, sich von den antisemitischen Äußerungen ihres Vaters zu distanzieren.

Gefahr von rechts

Aber der Aufschwung der Rechten in Europa und in Israel scheint die Regeln weiter aufzuweichen. Vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen in Frankreich stellt sich die Frage was passiert, sollte Marie Le Pen dort tatsächlich an die Spitze kommen. Wird die israelische Regierung weiterhin auf diplomatische Gespräche mit ihr verzichten, sich gegen ihren fremdenfeindlichen Kurs positionieren? Oder wird sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner blicken und über Antisemitismus und historische Verantwortung hinwegsehen? ​ Israels Dilemma ist vor den Wahlen in Frankreich brisanter denn je. Denn für den jüdischen Staat ist es ein Spiel mit dem Feuer, sich auf die falsche Freundschaft mit den Rechtsextremen einzulassen. Vor allem dann, wenn rechte Kräfte in Europa immer stärker werden. Denn ideologische Grundsätze verschwinden nicht einfach, auch wenn sie zwischenzeitlich überschattet werden. Zu Recht warnen jüdische Gemeinden vor der Gefahr des Extremismus, der zunehmend in den Mainstream zu rücken droht. Sogar der israelische Präsident Reuven Rivlin rief beim letzten Holocaustgedenktag seine ParteikollegInnen dazu auf, Allianzen mit xenophoben und antisemitischen Gruppen zu unterlassen und sich an die Verbrechen der Vergangenheit zu erinnern. Denn aus Vergangenem sollte gelernt sein, wie schnell Antisemitismus aufflammen kann, wenn seine VerfechterInnen erst einmal an der Macht sind. Und dass sich Fremdenhass selten gegen nur eine Minderheit richtet.

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