„Ganz frech könnte man doch aber sagen, dass Sie diese Situationen ja selbst provozieren!“, sagt die Coachin bei unserem zweiten Treffen und verweist darauf, dass ich ja schon in meiner Mail-Signatur kundtue, dass ich weder mit „Herr“ noch mit „Frau“ angesprochen werden möchte. „Das müssten Sie ja nicht tun, damit so hausieren gehen.“
Das Coaching habe ich mir Anfang des Jahres gesucht, um zu reflektieren, wie ich im professionellen Kontext grenzüberschreitenden Bemerkungen und Ansprachen von Vorgesetzten und Kolleg*innen besser begegnen kann: Ein Hinweis darauf, dass ich doch auf dem falschen Klo sei, ein kleiner Witz hier, ein Sidekick da, das Herausstellen meiner emotionalen Betroffenheit in einer Diskussion, um meine Argumente zu untergraben oder eben die Behauptung, ich ginge mit meinem Geschlecht hausieren. Diese Dinge passieren nicht jeden Tag, aber so oft, dass sie ein Problem für mich darstellen und mich an meinem Arbeitsplatz manchmal unwohl und unsicher fühlen lassen. Was also tun?
Die Antwort der Coachin lautet, zugespitzt: mich verstecken. Als wäre die negative Aufmerksamkeit, die mein Körper und ich bekommen, eine Folge meiner schlechten Anpassungsleistung, als würde meine bloße Existenz andere zu diesen Kommentaren aufrufen. Ich müsse nur weniger auffallen, mich besser anpassen, denn: Wer nicht heraussticht, wird auch nicht diskriminiert – Problem gelöst. So einfach ist das, wenn man nicht drinsteckt.
Mich erinnern solche Bemerkungen an Teenagerzeiten, in denen mir gesagt wurde, ich müsse mich ja nicht wundern, dass mir Männer auf der Straße nachstellen, wenn mein Rock so kurz sei. Das ist Opfer-Täter-Umkehr. Wir leben immer noch in einer Gesellschaft, in der man verletzlicher und angreifbarer wird, wenn man offen über das eigene lesbische, schwule oder bisexuelle Begehren spricht – und noch deutlich mehr, wenn man sich nach außen sichtbar von dem Geschlecht wegbewegt, das einem*r bei der Geburt zugeschrieben wurde. Menschen außerhalb der Normen erleben unangenehmste Dinge. Wenn sie darüber sprechen, bekommen sie häufig zu hören, dass sie selbst daran Schuld seien und einfach etwas weniger auffällig und fordernd durch die Welt spazieren, weniger Aufheben um ihr Anderssein machen sollen.
Sich im Schrank verstecken
Es gibt gute Gründe, am Arbeitsplatz wenig offensiv über das eigene Leben zu sprechen, wenn es von der heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Norm abweicht. Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundeswurden drei Viertel aller befragten lesbischen, schwulen, bi- und intersexuellen, trans oder queeren Beschäftigten im Job schon sozial ausgegrenzt und gemobbt. In der Folge halten ein Drittel der Schwulen und Lesben, 56 Prozent aller Bisexuellen und sogar 70 Prozent aller trans Personen ihre sexuelle Orientierung oder ihr Geschlecht am Arbeitsplatz geheim.
In der Out@Work-Studie der Boston Consulting Group (2019) gaben 85 Prozent der 500 befragten LGBT+-Personen in Deutschland an, dass sie bereit seien, sich auf der Arbeit zu outen. Nur 37 Prozent hatten sich aber bereits getraut. Im internationalen Vergleich – mit zum Beispiel Italien, Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Brasilien oder den USA – ist Deutschland damit das Schlusslicht. Im Durchschnitt haben knapp über die Hälfte aller LGBT+ Personen ihre sexuelle Orientierung oder ihr Geschlecht offen am Arbeitsplatz kommuniziert.
Das Ding ist: Sich an etwas anzupassen, das man nicht ist oder nicht lebt, ist erstens unmöglich und macht zweitens krank. Die Idee, man solle sich auf der Arbeit oder anderswo selbst negieren, weil man sonst als Provokation wahrgenommen wird und Sticheleien, Witze, Belästigung oder Gewalt ja herausfordere, ist eine Tatsachenverdrehung mit verheerenden Folgen. Sie hält seit jeher Menschen in einem Schrank gefangen, in dem es muffig riecht und einer*einem über kurz oder lang die Luft zum Atmen fehlt.
Coming Out als Karrierefalle
Ich selbst habe abgewogen. Bei meinen ersten Arbeitsstellen war ich unsicher und habe mich einfach angepasst, im Zweifel nichts von meinen Beziehungen oder dem Unwohlsein mit der vergeschlechtlichenden Anrede erwähnt. Über die Zeit wurde ich selbstsicherer – auch, weil andere Menschen sich offen zeigten. Bei einer Zeitung schrieb eine Kollegin einmal eine Mail an die gesamte Redaktion, in der sie beiläufig von ihrer Frau schrieb. Mein 24-jähriges Ich las die entsprechende Zeile mehrfach sehr aufmerksam. Ich fühlte mich danach wohler im Raum. Und führte meine Freundin ein paar Wochen später einmal nach Dienstschluss durch die Redaktionsräume.
Inzwischen kann ich mich gar nicht mehr so gut verstecken. Als Person mit uneindeutigem Aussehen stellt sich für mich und viele andere trans Personen die Frage nach dem offenen Umgang nicht wirklich. Ein neuer Name, wachsende Brüste oder ein wachsender Bart lassen sich schlechter unter den Teppich kehren als das Geschlecht der*des eigenen Partner*in. Wenn ich selbst von Anfang an das vermeintliche Tabu zum Thema mache, gibt es weniger Unsicherheit und betretenes Schweigen und ich kann besser kontrollieren, wie es thematisiert wird. Ich habe auch gelernt: Die Verantwortung für Diskriminierung liegt nie bei der Person, die diskriminiert wird, egal welche Kleidung sie trägt und was in ihrer Mailsignatur steht.
Zum Glück bewege ich mich meist in einem Arbeitsumfeld, das sich zumindest gerne mit Toleranz und manchmal auch Inklusion schmückt. Über die Jahre befand ich deswegen auch, dass ich mir einen offenen Umgang leisten kann. Darum geht es nämlich: Man muss ihn sich leisten können. Es ist oft anstrengend und an manchen Tagen frage ich mich, warum ich das mache. Als trans Person mit Respekt behandelt zu werden, ist nicht selbstverständlich. Doch als weißer Akademikerin mit flotter Schreibe schätze ich meinen Marktwert so hoch ein, dass ich davon ausgehe, mir auch in Zukunft meine Arbeitsstellen aussuchen zu können – selbst nachdem ich in einem solchen Artikel meine Erfahrungen als nicht-binäre trans Person ausgebreitet habe. Ich gehe damit ein Risiko ein, weil ich es mir leisten kann, weil ich die Ressourcen habe, mich im Zweifel zur Wehr zu setzen und weil ich kündigen kann, wenn es mir zu bunt wird, ohne sofort in eine prekäre Lebenslage zu rutschen. Und weil ich zu oft gehört habe, dass ich mich besser verstecken und den Ball flach halten sollte und mir das gewaltig auf den Senkel geht.
Kein Zwang zum Outing
Niemand ist verpflichtet, sich zu outen. Und ein Outing allein löst bei weitem nicht alle Probleme. Je nach Arbeitsumfeld und Unterstützungsmöglichkeiten kann ein Outing das eigene Leben besser oder schlechter machen. Diskriminierung fängt an dieser Stelle erst an, denn es gilt immer noch: Wer sich für das Gegenüber als von der geltenden Normalität abweichend offenbart, wird als aufdringlich gesehen. Die Idee des Outings an sich ist sogar schon problematisch. Sie befördert die Vorstellung, dass es Normales und die Abweichungen davon gibt, denn: Es hat sich wahrscheinlich noch kein hetero Mann beim Schnack in der Kaffeeküche zu seiner Sexualität bekennen müssen und sich anhören müssen, dass zum Beispiel der Abschiedkuss am Bahnhof eine Provokation sei.
Die Verantwortung dafür, das Öffnen der Schranktüren und den Raum dahinter sicher zu machen, liegt bei dem*der Arbeitgeber*in und bei den Kolleg*innen. Wenn sich dir gegenüber jemand öffnet, halte kurz inne und danke der Person, dass sie diese Information mit dir geteilt hat. Nimm die Person ernst und reagiere positiv, signalisiere, dass du das Vertrauen wertschätzt. Frage nach, wer davon weiß und wie du mit der neuen Information umgehen sollst, damit du die Person nicht ungewollt vor anderen outest. Richtig geschafft haben wir es aber nicht erst, wenn ein Outing keine Karrierefalle mehr darstellt, sondern dann, wenn sich niemand mehr outen muss, ja, niemand mehr outen kann, weil es die Trennlinie zwischen dem Normalen und der Abweichung nicht mehr gibt. Dazu können alle beitragen.