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Medien - Der Aggregatzustand des Journalismus

Medien Kann es sein, dass am Zeitungssterben weder die Anzeigenkrise noch das Internet schuld sind – sondern die Journalisten und Verleger selber?

Sterben die Zeitungen? Überlebt der Journalismus? Das fragen sich die Leute jetzt wieder. Im vergangenen Herbst meldete die Frankfurter Rundschau Insolvenz an. Dann wurde die Financial Times Deutschland eingestellt. Jetzt meldet Springer unter anderem den Verkauf des Hamburger Abendblatts. Der demografische und der digitale Wandel sind schuld, heißt es. Weniger Menschen lesen weniger auf Papier. Das ist die kurze Begründung für einen epochalen Kulturwandel – denn das wäre es ja, wenn die Institution Zeitung verschwände, an die wir uns schon gewöhnt haben. Das wäre also die Evolution, ein sozusagen natürlicher Vorgang, an dem sich kaum etwas ändern ließe. Ich glaube das nicht. Es ist kein natürlicher, sondern ein menschengemachter Wandel. Wenn die Zeitungen sterben, dann vor allem, weil die Journalisten und Verleger versäumt haben, früh und aktiv in den sich seit Langem abzeichnenden Wandel einzugreifen.

Ich liebe Zeitungen, obwohl man mich wohl zu jener Generation zählen würde, die vor allem im Netz unterwegs ist. Ich bin 32. Aber Zeitung zu lesen gibt mir ein gutes Gefühl. Papier fühlt sich nicht nur anders an. Es liest sich auch anders. Ich kann mir Texte, die ich auf Papier gelesen habe, besser merken als solche, die ich auf dem Schirm wahrnehme. Nicht nur ich sehe das so. Viele meiner Freunde, einige davon jünger als ich, lesen Zeitung. Aber die Abonnenten unter uns werden weniger. Wir kommen am Wochenende mit der Zeit unterm Arm vom Bäcker oder mit der FAS. Gerade habe ich zwei Mitzwanziger getroffen, die den Freitag lesen. Wir lesen selektiver und kaufen Zeitungen dann, wenn uns ein Titelthema interessiert oder sich eine Zeitlücke auftut.

Den Psychologen Martin Grunwald wundert diese emotionale Bindung nicht. Der Leiter des Haptik-Forschungslabors der Universität Leipzig erklärt mir: „Die Haptik von Papier entspricht unserer frühen Materialerfahrung. Wer diese Erfahrung gemacht hat, ist daran gebunden.“ Ich bin mit Büchern aufgewachsen und werde über dieses Anfasserlebnis nicht mehr hinauskommen. Solange in den Schulen Tablets noch nicht Unterrichtsmaterial sind und Eltern ihren Kindern beim Ins-Bett-bringen Bücher vorlesen, gilt das selbst für die Digital Natives, also für jene, die ins Internetzeitalter hineingeboren wurden und werden.

Es ist nicht so, dass ich mich vor dem Internet fürchte. Ich bin keine Fortschrittskritikerin; es geht hier nicht darum, ob der digitale Wandel gut oder schlecht ist. Das wird sich ohnehin erst im Nachhinein überprüfen lassen. Dieser Teil der Entwicklung ist evolutionär.

Füllhorn der Anzeigen

Die Medienbranche wurde in den letzten 13 Jahren gleich von zwei weltweiten Krisen gebeutelt: Im Jahr 2000 konnten die deutschen Zeitungen noch eine Umsatzsteigerung von rund sieben Prozent vorweisen. Als die Konzerne Vodafone und Mannesmann um den deutschen Mobilfunkmarkt kämpften, überschütteten sie die Republik geradezu mit Anzeigen. Ein Dorado für Verleger! Aber dann brach die New Economy ein. Und mit dem 11. September verschärfte sich diese erste Krise noch. In den goldenen neunziger Jahren hatten die Verlage kräftig verdient. Das verführte beispielsweise die Manager von Gruner+Jahr dazu, die Financial Times Deutschland auf den Markt zu bringen. Sie waren nicht die Einzigen, die für Anzeigen mehr Fläche schafften und einen neuen Markt bedienten. Zeitschriften wie Geldidee, Computer Bild, aber auch der Focus erschienen in den Neunzigern zum ersten Mal. Damals waren Investitionen auch ohne zahlende Leser möglich. Man verschenkte die Blätter einfach an Flugreisende.

Als aber die Anzeigen ausblieben, brachen bei den Zeitungen die Gesamtumsätze ein. Steigerten Tageszeitungen 2000 ihre Werbeumsätze noch um acht Prozent, stand an dieser Stelle 2003 bereits ein Minus von 12,5 Prozent. Und viele Verleger dachten, man könne die Krise aussitzen. Doch in den folgenden Jahren kam ein Großteil des Anzeigengeschäfts nicht zurück – und immer mehr wanderte ins Internet ab.

Mit der zweiten Krise im Jahr 2009 kam die Quittung für die strategische Fehleinschätzung. Erstmals waren die Erlöse aus dem Verkauf größer als die Einnahmen durch Anzeigen und Werbung. Plötzlich kam es wieder auf die Leser an, aber die Verlage hatten längst zu sparen begonnen. Und die Leser lasen längst immer mehr und mehr im Internet, ohne dort für ihre Lektüre zu bezahlen. In diesem Spannungsfeld befinden wir uns immer noch.

Amy O’Leary glaubt nicht daran, dass Zeitungen sterben. „Es kann eine großartige, kreative Printzeitung geben und ein wunderbares, gleichwertiges Onlineprodukt. Einige werden sich für Online entscheiden und andere für Print“, schreibt mir die Reporterin der New York Times in einer Mail. Also ein friedliches Nebeneinander?

O’Leary sagt das, obwohl in Amerika die Medienkrise früher und drastischer zugeschlagen hat. Auf der Website newspaperdeathwatch.com, also der Todesuhr der Printzeitungen, werden die Pleiten amerikanischer Zeitungen seit März 2007 dokumentiert. Zwölf amerikanische Tageszeitungen wie die Rocky Mountain News mit einer Auflage von über 250.000 Stück oder der ähnlich große Baltimore Examiner sind dort heute als verstorben gemeldet, bevor der Leser per Link zu einer schier endlosen Aufzählung kleiner Lokalzeitungen geschickt wird, die es auch nicht mehr gibt. Zuletzt schloss im Frühjahr The Boston Phoenix.

Der digitale Wandel hat gerade in den USA neue Arten der Berichterstattung hervorgebracht. Er hat etwa das multimediale Erzählen geschaffen, in dem sich die klassische Reportage mit Videos, Audiosequenzen, Fotos und animierten Grafiken mischt. Amy O’Leary ist eine der Pionierinnen auf diesem Gebiet; sie denkt darüber nach, wie so bessere Geschichten gemacht werden können. Als ich sie im vergangenen Jahr bei einem Branchentreffen über multimediales Storytelling reden hörte, hat sie mich mit ihrer Begeisterung angesteckt.

Und sie ist einer der Gründe dafür, warum die New York Times die Krise besser meistert als andere. Die NYT war der erste Branchenriese, der sich 2011 an ein Online-Bezahlmodell gewagt hat. Die Medienkrise hatte auch die Times hart getroffen. Der börsennotierte Verlag setzte 2009 seine Dividenden-Zahlungen aus, entließ Redakteure und kürzte Gehälter. Zugleich wurden schon früh Onliner ins Team geholt – von Programmierern bis hin zu Multimedia-Journalisten. Und schon ein Jahr nach Einführung des Online-Paygates war der Umsatz des Unternehmens um fünf Prozent gestiegen. Heute zahlen 640.000 Leser für das Online-Abo der NYT und der International Herald Tribune.

Das Internet hat die Hierarchie in den Medien abgeflacht. Es kommt häufiger vor, dass Leser per Twitter die Nachrichten vorgeben. Wir haben das im Arabischen Frühling erlebt oder während der Unruhen in Istanbul. Sie helfen mit ihren Handyfotos wie in Boston, Attentäter zu identifizieren, oder enttarnen die Plagiate in Karl-Theodor zu Guttenbergs Doktorarbeit. Das verunsichert jene Journalisten, die glaubten, sich auf einer Art Wissenshoheit ausruhen zu können. Der Beruf ist vielfältiger geworden, es gibt neue Einstiegsmöglichkeiten. „Es ist nicht unser Job als Journalisten“, schreibt O’Leary, „uns um Print oder Digital zu sorgen, sondern von wichtigen Geschichten zu berichten und sie im Sinne der Gerechtigkeit, mit Sorgfalt, Seriosität und Qualität unseren Lesern zu übermitteln.“

Teure Freiheit

Online ist besser, größer und wichtiger geworden. Aber eines ist im selben Zeitraum nahezu gleich geblieben: die Zeitungen. Die Löcher, die das Internet gerissen hat, werden kaum gefüllt. Die Printmedien halten an ihrer Nachrichtenberichterstattung fest, und noch mehr hängen sie an ihrem visuellen Auftreten. Sie liegen wie ein vertrocknetes Relikt am Kiosk und in den Briefkästen herum, während sich die Medien und Journalisten im Netz ständig neu erfinden. Das ist der traurige Teil der Geschichte.

An dieser Stelle ist es hilfreich, Douglas Adams zu zitieren. Der Science-Fiction-Autor hat im Jahr 1999 einen Text mit dem Titel „Wie ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und lernte, das Internet zu lieben“ geschrieben. Er hat darin auf Folgendes hingewiesen: Bis wir 30 sind, finden wir alles Neue wahnsinnig aufregend und kreativ. Alles, was erfunden wird, wenn wir über 30 sind, erscheint uns hingegen wider die natürliche Ordnung und bedeutet das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen.

So könnte man auch die meisten Journalisten ihrem Alter nach in zwei Lager teilen. Ich stelle mir das so vor: Auf der einen Seite gibt es die hoch Internetaffinen unter 45, die Amy O’Leary repräsentiert. Ihnen macht das Netz vor allem Spaß, sie schätzen seine demokratische Grundidee und wollen den digitalen Wandel mitgestalten. Deswegen sind viele von ihnen Onlineredakteure, Blogger und Freiberufler. Eva Werner vom Deutschen Journalisten-Verband sagt, „dass die Medienkrise mehr Journalisten zu Freiberuflern gemacht hat. Es gibt dazu noch keine Zahlen, aber ich gehe nicht davon aus, dass sich die Entlassenen alle arbeitslos melden.“ Einigen bleibt also nichts anderes übrig, aber ein großer Teil entscheidet sich ganz bewusst dafür.

Die anderen sind die festangestellten Redakteure über 45. Sie haben in den Zeitungsredaktionen die Macht. Ich nenne sie Qualitätsjournalisten, weil sie einen handwerklich anspruchsvollen Job leisten, den sie beschützen wollen. Bascha Mika, von der später noch die Rede sein wird, könnte sie repräsentieren, wenn die Mehrheit von ihnen nicht männlich wäre. Sie sind, nach Adams, Bewahrer.

Das Internet hat eine Alternative zur Printzeitung geschaffen, die vielen Teilhabe bietet. Amy O’Leary gehört genauso dazu wie Stefan Niggemeier, der vom Printjournalist zum Onlinejournalist und, seit er sich vom Spiegel trennte, zum zeitungsunabhängigen Blogger wurde. Revolution der Jungen war gestern. Es geht nicht mehr darum, irgendjemanden vom Sockel zu stoßen. Die Innovativen schaffen sich im Netz ihre eigene Macht. Statt Umbruch und Revolution lassen sie die Printmedien hinter sich, wie Provinzstädte. Dabei werden sie dort gebraucht.

Constantin Seibt gehört zu jenen wenigen, die die Großstadt ihre Heimat nennen und sich trotzdem in die Provinz aufgemacht haben. Seibt war freier Journalist, bevor er zur Wochenzeitung ging: eine genossenschaftlich organisierte Zeitung, bei der man mehr mit der Währung Freiheit statt mit Geld bezahlt wird. „Ich habe mich immer gefragt, wie die älteren Herren in den Redaktionen so geworden sind. Ich fürchte, langsam bin ich selber einer.“

Seibt, der schreibende Punk, ist älter geworden. Der 47-Jährige hat jetzt Verantwortung für eine Familie und ist auch deswegen festangestellt beim Schweizer Tages-Anzeiger. In seinem Blog Deadline. Journalismus im 21. Jahrhundert macht er sich trotzdem Gedanken über die Zukunft seines Berufs.

Was gerade passiert, beschreibt er als „große kopernikanische Wende“. Zeitungen haben lange eine Gewohnheit verkauft. Das beruhigende Ritual, am Frühstückstisch zu sehen, dass die Erde sich noch um die Sonne dreht. Das ging, solange die alten Medien die Aufmerksamkeit quasi abonniert hatten, weil es keine Alternative gab. Dann kam das Internet, und lange sahen alle nur zu.

Versagen der Verleger

„Es gibt zu viele Chefredakteure, die sich zu wenig Gedanken über neue, innovative Konzepte machen. Sie kümmern sich gar nicht mehr um die Weiterentwicklung von Print. Heimlich haben sie die gedruckte Zeitung abgeschrieben“, vermutet Bascha Mika, „auch, weil sie von ihren Verlegern zum Sparen gezwungen werden.“ Mika war bis 2009 elf Jahre lang taz-Chefredakteurin. Zeitungen sind für sie ein Kulturgut. Und sie schlägt vor, ihre Finanzierung neu zu denken. Zwar hält sie nichts von der Idee, dieses Gut von staatlicher Seite zu unterstützen, aber sie sieht eine gesellschaftliche Verpflichtung der Verlage. „Was spricht dagegen, ein Kulturgut quer zu subventionieren“, fragt sie. „Zumal es den Verlagen nicht so schlecht geht. Während man sich im produzierenden Gewerbe mit einstelligen Renditen zufrieden gibt, erwarten Zeitungsverlage häufig zweistellige.“

Ich finde, dass das ein Widerspruch ist. Ein Unternehmen, das Gewinne abwirft, kann man doch an den eigenen Maßstäben messen. Die Verlage müssten sich stattdessen ernsthaft fragen: Lohnt es sich für uns noch, weiter in Printmedien investieren? Wenn man bedenkt, dass etwa die Süddeutsche als größte seriöse Tageszeitung Deutschlands täglich über 400.000 Exemplare verkauft und damit 1,48 Millionen Leser erreicht, ist sie schon positiv beantwortet. Der Bedarf ist da.

Ich schreibe an Stefan Rohr, den Verlagsleiter der Süddeutsche Zeitung GmbH. Seit 2008 hält die Südwestdeutsche Medien Holding 80 Prozent der Verlagsanteile. Zwei Tage später ruft mich eine Frau aus der Unternehmenskommunikation der Holding an. Die E-Mail an Herrn Rohr sei nun bei ihr gelandet. Sie müsse mir leider mitteilen, dass er nicht zur Verfügung stehe. Ich frage, ob ich stattdessen mit jemand anderem sprechen könne. Raten Sie mal! Das ging leider nicht. Auch die Zeit hatte im Zuge der Umstrukturierung des Süddeutschen Verlags schon einen ähnlich erfolglosen Versuch unternommen. Warum schottet sich ein Unternehmen mit einem so erfolgreichen Produkt ab? Mich beschleicht das Gefühl, hier sagt man lieber nichts als etwas Falsches. Haben die Verlage wirklich keine Strategie für ihre Zukunft?

Es kostet Mut, sich der Angst vor Veränderung zu stellen und damit das Risiko des Scheiterns einzugehen. Dass es geht, zeigt ausgerechnet der Springer-Verlag. Dort hat man begriffen, wie wichtig es ist, sich als Marke an Kunden zu verkaufen. Das zeigt die Aufmerksamkeit, mit der die ganzen Aktivitäten um den Verlag – Kai Diekmanns Amerikareise, die Einführung von Online-Bezahlmodellen – begleitet wird. Die Branche belächelt es und staunt zugleich in heimlicher Ehrfurcht. Und nun noch der Verkauf von Zeitungen wie der Berliner Morgenpost und des Hamburger Abendblatts.

Gerade große Konzerne, die die Investitionsmittel hätten, betrachten die Zeitungen vermutlich längst nicht mehr als ihr Kerngeschäft. Doch selbst wenn sie damit richtig liegen, müssen sie die Zeit bis zur papierfreien Zukunft meistern. Warum fahren die Verlage nicht konsequent zweigleisig?

Wie Wasser

„Ich sehe in den deutschsprachigen Medien keine großen Verlegerpersönlichkeiten“, sagt Constantin Seibt. „Die Verlage diktieren Sparvorgaben, publizistische Intelligenz, geschweige denn eine Strategie haben sie meist nicht.“ Das lässt sich so übersetzen: Oben in der Hierarchie der Verlage sitzen kaum Journalisten, sondern fast nur noch Buchhalter. Auch Seibt hat zwar etwas zu schreiben, aber nichts zu sagen. Die Möglichkeit zu strategischen Entscheidungen bleibt ihm verwehrt so wie anderen jüngeren Kollegen auch. Also macht er es wie sie und schreibt stattdessen einen Blog. Unternehmerisch betrachtet ist das das Gegenteil von Nachhaltigkeit.

Die kleineren lokalen und regionalen Zeitungen haben am meisten mit dem demografischen Wandel zu kämpfen. So schreibt das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung in einem Gutachten für die Bundesregierung, dass mehr als die Hälfte der deutschen Landkreise und kreisfreien Städte bis zum Jahr 2025 deutlich an Bevölkerung verlieren werden. Wenn die Zeitung dort das Kerngeschäft ist, zu dem es keine Alternative gibt, steht besonders viel auf dem Spiel.

Auf meine Anfrage beim Badischen Verlag meldet sich Christian Hodeige nach fünf Minuten. Der Journalist und Herausgeber der Badischen Zeitung leitet den Verlag in dritter Generation. Seit rund drei Monaten gibt es eine Online-Bezahlschranke, und die zeitgleich gestartete App hat bereits 7.000 Nutzer. „Wir sind trotzdem nicht bereit, den Kampf für die Printausgabe aufzugeben“, sagt er. Er setzt darauf, dass Verlag und Redaktion das Blatt gemeinsam verändern. Hodeige ist davon überzeugt, „dass das Kommentieren, Analysieren und Beleuchten von Hintergründen wichtiger wird, als Nachrichten zu drucken.“ Und die Chance für die Regionalen sieht er darin, „dass es Google und Youtube dort nicht gibt.“ Also investiert er weiterhin in 21 verschiedene Lokalredaktionen. In einem ist sich der Verleger sicher: „Wir Verlage haben viel zu lange gezeigt, wie billig Zeitung ist. Für 1,80 Euro kriegen sie die ganze Welt nach Hause geliefert.“ Um Auflagen zu steigern und für Anzeigenkunden attraktiv zu sein, füttern die Verlage die Lesermasse mit billigen Vierteljahresabos wie Angler die Fische. Den Einzelpreis haben sie dabei aus den Augen verloren. Christian Hodeige sagt: „Wenn ich Wurstsalat kaufe, schaue ich auch nicht, was mich das im Monat kostet.“

Ich frage mich, ob das reicht. Und während ich mich noch im Geheimen um die Kollegen der SZ in den Klauen der Südwestdeutschen Medienholding sorge, hat Dirk von Gehlen längst ein Rezept für deren Zukunft parat. Er ist dort für Social-Media-Innovationen zuständig und soll die Redaktionen zukunftsfähig machen. Er bringt ihnen bei, wie man twittert, und er betreut jetzt.de. Daneben hat er ein per Crowdfunding finanziertes Buch geschrieben, unterrichtet den journalistischen Nachwuchs und hält Vorträge. „Ich habe auch lange gedacht, wir brauchen eine Revolution“, tröstet er mich. „Das glaube ich jetzt nicht mehr.“

Er schlägt ein neues Bild für die Krise vor: Der Journalismus verschwindet nicht, sein Aggregatzustand verändert sich. Wie ein Eisblock im beginnenden Sommer. Und wir müssen herausbekommen, wie wir das Wasser auffangen können. Im Moment rinnt es uns durch die Finger. Es geht darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, wer Journalisten in Zukunft bezahlt. Helfen könnte es, Online und Print als sich gegenseitig ergänzende Formen zu betrachten. Zeitungen könnten online Crowdfunding für aufwendige Printthemen betreiben und das nicht nur den freien Journalisten überlassen. Sie könnten dort Recherchen offenlegen und den Lesern ein größeres Identifikationsangebot bieten. Oder noch einmal Springer: Im Moment überlegt man bei Bild, wie über die Printausgabe mehr Menschen zu den kostenpflichtigen Onlineangeboten gelenkt werden könnten. Wer aber denkt das umgekehrt?

Das Potenzial der Printzeitungen ist noch lange nicht ausgeschöpft. Sie könnten anders aussehen, die Spalten hinter sich lassen und wieder Fotografen bezahlen. Oder zeitlose Dinge tun, etwa jedem Ressort für einen festen Tag die Chefredaktion zuteilen: Einmal erschiene das Blatt aus Sicht des Feuilletons, einmal aus der des Sports. Die Redaktionen werden dafür Geld brauchen – aber auf ein Publikum stoßen, das darauf wartet, begeistert zu werden.

Es ist eine heikle Sache, die angestaubten Printmedien zu verteidigen. „Das Nichts ist manchmal mehr als das Alles.“ Das hat der Theaterregisseur Christoph Schlingensief gesagt, kurz bevor er das Theater neu erfunden hat.

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