Ihre Performance in dem Stück "Das Evangelium nach Jesus, der Himmelskönigin" hat vor allem Proteste von streng gläubigen Christen ausgelöst. Was ist Ihre zentrale Botschaft?
In dem "Evangelium" geht es um die Frage, was passieren würde, wenn Jesus heutzutage lebte und eine Transvestitin wäre. Das Problem ist: Alle Menschen scheinen als Abbild oder zumindest als Darstellung für Jesus denkbar, nur nicht wir Trans-Menschen. Es gibt in Brasilien eine eindimensionale Vorstellung von dem, was trans ist: Mein Körper wird sexualisiert und zum Fetisch erhoben. Deswegen akzeptieren einige Leute nicht, dass ich Jesus darstelle. Es heißt, mein Körper sei nicht dafür geeignet, ihn zu repräsentieren. Wir müssen darüber reden, dass Religion ausschließt und tötet.
In einigen brasilianischen Bundesstaaten wurde das Stück verboten. Was hat das mit Ihnen gemacht?Die Zensur war das Beste, was mir passieren konnte. Ehrlich. Auch wenn ich Depressionen und Panikattacken hatte und eine Therapie machen musste. Der Versuch, mich zum Schweigen zu bringen, war erfolglos. Im Endeffekt hat das meiner Stimme eher mehr Reichweite verschafft. Ich habe gemerkt, dass nicht ich angegriffen wurde, sondern die Transvestitin Renata. Es hätte genausogut irgendeine andere Person sein können. An all den Orten wurde ich nicht rausgeschmissen, weil ich ein schlechter Mensch bin. Denn es ist mein Körper, der immer vor mir kommt.
Sie sagen, mit Theater wollen Sie die Welt verändern. Können Sie transphobe Menschen darüber überhaupt in einer Zeit der politischen Polarisierung erreichen?Ich kann nicht sagen, ob mein Stück einen Bolsonaro-Wähler berühren wird. Ich hoffe natürlich, dass Theater diese Transformation ermöglichen kann. Es ist der demokratischste Ort der Welt, auch wenn das einige nicht wissen. Ich mache Theater, um die Welt zu verändern, die ich erreichen kann. Erst mit der Repräsentativität kommt das Zusammenleben. In dem Moment, in dem unsere Körper präsent sind, sind die Menschen dazu gezwungen, mit uns zusammenzuleben. Und nur so können unsere Körper entmystifiziert werden. "Romeo und Julia" ist ja auch nicht neutral. Ich sage immer: Wenn das Publikum müde davon ist, mich zu sehen, vergisst es vielleicht, sich zu empören.
In Brasilien wurde vor einem Jahr die linke lesbische Politikerin Marielle Franco ermordet, der linke schwule Politiker Jean Wyllys hat nach Morddrohungen Asyl in Deutschland gesucht und lebt in Berlin. Ähnlich geht es auch dem Performancekünstler Wagner Schwartz und der Philosophin Márcia Tiburi. Denken auch Sie daran, das Land zu verlassen oder nicht mehr aufzutreten?
Ja. Es ist nicht leicht, zu gehen, das schmerzt sehr. Ich weiß, dass dieses Land gewalttätig ist, sobald ich das Haus verlasse. In Brasilien werden die meisten Trans-Menschen getötet, ihre Lebenserwartung liegt bei 35 Jahren. Ich habe nur ein Leben. Wenn ich sage, ich möchte weg von hier, dann will ich ohne Gewalt leben. Ich war in New York, in Kap Verde, in London oder Irland. Dort hatte ich keine Angst, dass mich Leute auf der Straße verprügeln. Es geht auch um Wissen, das sehr von gesellschaftlicher Macht geprägt ist. Früher habe ich mich oft aufgeregt, weil ich das Offensichtliche erklären musste, aber keine Begriffe hatte. Heute habe ich das Wissen dazu. Das beruhigt.
Haben Sie auch ans Aufhören gedacht?Das habe ich nie. Wenn ich aufhöre, sterbe ich. Ich mache Theater, ich habe keine andere Möglichkeit, mich auszudrücken.
Renata Carvalho ist Schauspielerin und Trans-Aktivistin. Seit 2016 verkörpert sie in »Das Evangelium nach Jesus, der Himmelskönigin« von der schottischen Dramatikerin Jo Clifford einen transsexuellen Jesus. Aufführungen in Brasilien wurden von Gerichten mal verboten, mal erlaubt. Vom 26. bis zum 28. März feiert das Stück Europa-Premiere im Ballhaus Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg.
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