"Ich war in diesem mitteljungen Leben oft unerträglich. Vor allem in den letzten Jahren. Ängstlich, überfordert und verzweifelt. In Daseinsscham und Selbstverleugnung habe ich um mich geschlagen und dabei Menschen Unrecht getan. Die Flucht in die Einsamkeit war ein Schutzreflex, vor dem mich mancher, der mich lieb gewonnen hatte, bewahren wollte. Jetzt habe auch ich es verstanden." - Danksagung von Diana Kinnert in ihrem neuen Buch "Die neue Einsamkeit"
Natürlich trägt Diana Kinnert ihren Hut. Es ist ein Herrenhut aus Filz, dunkelbraun, fast schwarz. Diana Kinnert trägt auch Schuhe, sie sind aus Leder, dicke Botten. So steht sie in einem Charlottenburger Salon mit hohen Wänden und Echtholzparkett und bittet durch eine Flügeltür hinein. An den Wänden lehnen Ölgemälde, die noch aufgehängt werden müssen, davor stapeln sich Umzugskisten, die noch ausgepackt werden wollen. Es ist Diana Kinnerts neues Wohnzimmer, und sie steht dort, zwischen all ihrem Leben, mit Hut auf dem Kopf und Schuhen an den Füßen, als sei sie gerade erst gekommen oder als würde sie gleich wieder gehen wollen.
Das BuchDie neue Einsamkeit: Und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können ist Anfang März bei Hoffmann und Campe erschienen.
"Ich war in den letzten Jahren kaum zu Hause", sagt sie. Ständig auf Dienstreisen, auf politischen Konferenzen? "Nein. Weil ich es nicht konnte."
Diana Kinnert, 30 Jahre alt, ist gerade erst hier eingezogen, raus aus der WG in Berlin-Mitte, hinein in ihre erste eigene Wohnung. Charlottenburg ist ein guter Ort zum Ankommen. Ein altehrwürdiger Stadtteil, der sich nichts mehr zu beweisen hat.
Wenige Wochen zuvor holte ich Diana Kinnert hier ab für einen gemeinsamen Spaziergang um den Charlottenburger Lietzensee. Sie trug auch damals denselben Hut, dieselben Schuhe. Wir waren verabredet, um über ihr neues Buch zu sprechen: "Die neue Einsamkeit". Darin kann man lesen, wie Menschen durch ihr Leben rasen, was sie kaputt macht, was sie einsam werden lässt. Es zeigt einen neuen Blick auf das Thema Einsamkeit - aber auch eine neue Diana Kinnert.
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Am Tag vor unserem Spaziergang wurde Armin Laschet zum neuen CDU-Parteivorsitzenden gewählt. Kinnert hatte den Tag und die Nacht auf Clubhouse verbracht, die Wahl mit Freunden und Kollegen live kommentiert. Etwas verkatert sei sie noch, sagte sie, und doch redete sie ohne Punkt und Komma.
Es ist vielleicht die leichteste Sache der Welt, mit Diana Kinnert ins Gespräch zu kommen. Ihr zu folgen hingegen ist eine Herausforderung. Wenn man sie nach Berlin fragt, zitiert sie Alfred Döblin und Ulrich Beck. Wenn sie über Liebe spricht, nutzt sie das Wort "Begehrlichkeitsmarkt". Wenn sie über Einsamkeit spricht, sagt sie: "Die aktuelle Gemengelage führt zu einer Verstärkung der Vereinzelung." Bei einem erfahrenen Politiker würde das Soziologen-Deutsch wohl nicht auffallen. Spricht ein alter Mann wie ein Roboter, hält man das für angemessen. Bei Diana Kinnert hingegen wundert man sich. Weil man bei einer jungen Frau nicht erwartet, dass sie altklug klingt. Doch Diana Kinnert fühlt sich wohl und sicher in dieser Sprache. Wie ihr Hut ist sie ein Kleidungsstück, das sie sich überstreift, wenn sie zur Arbeit geht.
Wie aber klingt Diana Kinnert, wenn sie diese Sprache abstreift? Wenn sie bei sich ist? Und wie kommt sie, die junge, vernetzte Frau, zu einem Buch über Einsamkeit?
Das zweite Treffen in ihrer Wohnung. Diana Kinnert bittet an den Esstisch, eine klobige Holztafel, die locker Platz für zwölf Personen bietet. Eines Tages will sie hier große Partys feiern, sagt sie. Im nicht enden wollenden Corona-Lockdown sitzt sie hier oft allein. Unter ihrem Hut fällt ihr schwarzes Haar offen über ihre Schultern, sie ist ungeschminkt. Kinnert wirkt ernst. Warum war das Zuhausesein denn so schwer? "Es erinnert mich an mich selbst. Und alles, was mich an mich selbst erinnert hat, habe ich in den vergangenen Jahren oft vermeiden wollen."
Die meisten Menschen kennen Diana Kinnert wahrscheinlich als die CDU-Aktivistin mit dem Hut. Medien nannten sie mal "Influencerin der Politik", mal "Merkels taffes Mädchen". Als Politikerin bezeichnet nur sie selbst sich, auf ihrer Webseite zum Beispiel, doch eigentlich ist sie das nicht, weil sie eben kein Mandat hat, kein Amt bekleidet. Sie ist so etwas wie eine junge, öffentlichkeitswirksame Aktivistin der christdemokratischen Partei. Eine Marke für sich.