Dass ich mich in Ostdeutschland befinde, habe ich am Anfang meines Bachelorstudiums jeden Tag an den Räumlichkeiten meiner Vorlesungen bemerkt. Das soll nun kein Seitenhieb auf schlechte Infrastruktur werden, nein, ich hörte die meisten meiner Grundlagenvorlesungen tatsächlich in einem Gebäude, dass kaum sinnbildlicher für die frühere DDR hätte stehen können: In der alten Partei im Süden von Erfurt. 1972 war der Gebäudekomplex als SED-Bezirksparteischule „Ernst Thälmann" fertig gestellt worden.
Wo bis 1989 junge Parteifunktionäre die Grundlagen des Marxismus lernten, wollte man mich rund 40 Jahre später von ungefähr dem gegenteiligen Weltbild überzeugen: In Management- und Ökonomie-Vorlesungen sollte ich verstehen, dass Kapitalismus das einzig richtige und mit Abstand beste Wirtschaftsmodell für unsere Welt sei. So sehr der Osten aus dem Räumen sprach, in den Inhalten oder der Struktur meines Studiums war der Geist der DDR nicht mehr zu spüren.
Auch in einer anderen Hinsicht, war „Ostdeutsches" nicht mehr spürbar: in Sachen Lehrpersonal. Ostdeutsch sozialisierte Menschen haben an Hochschulen nur sehr selten das Sagen. Auch mir sind sie in Vorlesungen und Seminaren kaum begegnet. 2019 kam laut einer Studie des Centrums für Hochschulentwicklung ( CHE) keine einzige Universitätsleitung aus einem ostdeutschen Bundesland, 2020 war es gerade mal eine. Die Psychologin Gesine Grande leitet nämlich inzwischen die brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg. Zusätzlich werden inzwischen auch eine Handvoll Fachhochschulen von Ostdeutschen geleitet.
Aber: „Es gab noch keinen gebürtigen Ostdeutschen, der eine westdeutsche Hochschule geleitet hat", sagt dazu Peer Pasternack. Er ist Leiter des Instituts für Hochschulforschung an der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg.
Kein ZufallFraglos ist identitäre Repräsentation nicht die einzige oder wichtigste Qualität, die eine Unipräsidentin oder ein Hochschulrektor mitbringen muss, aber dass so wenige Hochschulen in Deutschland von Ostdeutschen geleitet werden, ist kein dummer Zufall sondern strukturell bedingt. Wer verstehen will, wie es dazu kam, muss ein paar Jahre zurückblicken. Nach der Wende veränderten sich Hochschulen in Ostdeutschland sehr schnell und sehr drastisch:
Zum einen wurden an den ehemaligen DDR-Hochschulen viele Stellen abgebaut: An der Uni Leipzig, der Technischen Universität Dresden und auch der Humboldt Uni in Berlin musste rund ein Drittel der Beschäftigten gehen. DDR-Wissenschaft wurde abgewickelt. Zum anderen, wurden in den Neunzigerjahren flächendeckend die meisten Stellen von Hochschullehren in ostdeutschen Bundesländern neu ausgeschrieben. Zwar konnten sich diejenigen, die in der DDR die Posten innehatten, wieder bewerben, aber sie standen nun in Konkurrenz zu westdeutschen Kollegen und Kolleginnen, die oft Auslandserfahrung und eine viel bessere Vernetzung mitbrachten.