In der Heimat bedroht, nach Berlin geflüchtet: Zaza Burchuladze wirft im Roman „Der aufblasbare Engel“ einen grotesk-fantastischen Blick auf Georgien.
Vielleicht sind die dunklen Gläser eine Art Filter, der die Welt so komplex und schräg erscheinen lässt, wie sie Burchuladze beschreibt. (Und wahrscheinlich passt's einfach gut zum schwarzen Outfit.). Burchuladze ist eine der bekanntesten Stimmen Georgiens, oder vielleicht war er es, denn er musste aus Tiflis fliehen: Er wurde bedroht, sagt er. Seit einigen Jahren lebt der Autor in Berlin, wo er es mittelprächtig langweilig findet. Gerade ist sein Buch „Der aufblasbare Engel" (Blumenbar) auf Deutsch erschienen; in Georgien war's schon 2011 auf dem Markt. Der Roman hatte, wie auch das 2009 publizierte „adibas", dort für Furore gesorgt.
Jetzt sitzt der Schriftsteller mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einer Bank am Messestand, einigermaßen entspannt (vor Kurzem hat er aufgehört zu rauchen) und nimmt seine Schirmmütze ab. Auf Burchuladzes Kopf sind zwei große dunkle Punkte eintätowiert: „Gottes Eier", sagt er. Lisa Berins spricht mit dem Autor über religiösen Fanatismus, verlorene Heimat, verirrte Geister und die Scharlatane der Welt.
Herr Burchuladze, Sie haben eine ganz spezielle Verbindung zu Ihrem Heimatland Georgien. Kann man es Hassliebe nennen?
Definitiv. Auf der einen Seite kann ich nicht in Georgien leben, aber auch nicht ohne. Eine klassische Hassliebe also. Da gibt's nichts hinzuzufügen.
Was ärgert Sie am meisten an Georgien?
Zu allererst die Homophobie und die georgische Dummheit. Sie kommt von der Kirche, der mächtigsten Institution des Landes. 85 Prozent der Georgier sind orthodox. Die Kirche, speziell Patriarch Ilia II., züchtet sich Zombies, die dumm und ungebildet, schwarzmalerisch und leer sind. Bis 1991 hatten wir eine Sowjetregierung mit Propaganda, jetzt macht die Kirche ihre Propaganda. Aber eigentlich sind diese beiden Formen ziemlich gleich, nur eben, dass die Orthodoxen so mächtig sind wie die Regierung, Polizei und Armee zusammen. Der Patriarch ist so etwas wie ein Copy-Paste von Gott. Er ist die gefährlichste Person im Staat.
Was macht ihn so gefährlich?
Seine Ideale: Wir leben im 21. Jahrhundert, da kann man einfach nicht sagen, georgische Frauen müssten abends die Füße ihrer Männer waschen. Vor ein paar Jahren gab es eine große Überflutung in Georgien. Viele Tiere, die durch die Flut aus dem Zoo in Tiflis entkommen waren, starben. Der Patriarch sagte dazu: „Was habt ihr erwartet? Die Käfige wurden in der Sowjetzeit aus Kirchenglocken gemacht. Das ist eine gerechte Strafe." Und die Leute glaubten diesen Mist. Aber das Schlimmste war der 17. Mai 2013, der Internationale Tag gegen Homophobie. 29 Leute in Tiflis haben gegen diese Engstirnigkeit demonstriert - und wurden von einem Mob aus 5 000 Orthodoxen verprügelt. Das Video gibt es heute noch online. Zum Schluss hat die Polizei die Demonstranten, unter denen ich war, in einem Van durch die wildgewordene Menge gefahren.
Ihr Buch „Der aufblasbare Engel" ist gerade auf Deutsch erschienen. Darin ruft ein georgisches Paar den Geist von Georges Gurdjieff, einem Esoteriker, Philosophen und Lehrer des „Vierten Weges". Der Geist erscheint tatsächlich - und nistet sich in der Wohnung ein. Wer ist dieser Gurdjieff?
Das bin ich - wie ich nach dem Schreiben festgestellt habe. Es ist das fiktionalste Buch, das ich je geschrieben habe, die anderen waren eher Dokudramen oder Dokumentationen, jedenfalls nicht fiktional. „Der aufblasbare Engel" ist zugleich mein autobiografischstes Buch. Gurdjieff wird darin erst ausgeweidet und dann rausgeworfen. Genau das ist meine Geschichte: Auch ich wurde aus meiner Heimat geschmissen.
Gurdjieff war ein Scharlatan.
Ich bin auch einer.
Auf der einen Seite ist er ein ganz normaler Mensch, der beim Schlafen sabbert, süchtig nach Facebook ist, TV- Soaps guckt. Auf der anderen Seite ist da diese Magie, über die er verfügt, etwas Verführerisches, Mächtiges.
Ja, vielleicht ist er ein Magier, er kann ein paar Wunder vollbringen. Aber das Wichtigste: Er ist ein verlorener Geist. Er ist verloren in der Welt. Und er wird ausgenutzt. Aber er nutzt sich auch selbst aus. Sehr kompliziert das Ganze. Aber ich mag ihn.
Gurdjieff ist auch skrupel- und verantwortungslos. Am Ende isst er seinen treuesten Freund; seinen Hund!
(Lacht). Ja ... Also ehrlich gesagt: Das Buch hatte zwei Enden. Ich habe mich erst mal für die Schocktherapie entschieden. Aber vielleicht werden wir auch irgendwann einmal die softere Version drucken.
Und wie wäre dann das Ende?
Da müssen Sie abwarten. Es ist wirklich viel softer.
Wie schade. Ich finde den rabiaten Schluss gut.
Ja, weil er eine eigene Macht hat. Dieser Hund musste am Ende sterben. Ich meine, er heißt schließlich Foucault. Und es gibt in dieser Welt nun mal keine Philosophie mehr! Und keine Bildung. Der Scharlatan frisst die Philosophie. Aber eines Tages kommt sie wieder. Hoffe ich zumindest.
Zurück zu Gurdjieff. Er ist ja eine historische Person, die wirklich existiert hat, und um die sich viele Mythen ranken. Er soll Stalin gekannt haben und angeblich auch Hitler. Und er war selbst so etwas wie ein Führer; ein irrer, irrationaler, absurder, der nicht von der Vernunft gelenkt wird, sondern - wie Sie im Buch beschreiben - von einem Kabelsalat in seinem Bauch...
Schönes Detail!
... Wo auch immer diese Kabel herkommen. Das gibt es doch durchaus Parallelen zu unseren heutigen Herrschern oder? Zu Trump, Putin, Erdogan ...
Erdogan? Toll! Ja, das ist ein Kompliment, danke!
Ich glaube, dass Sie von diesen grotesken Herrschern in irgendeiner Weise fasziniert sind, kann das sein?
Also, die Frage ist brillant, da will ich gar nichts hinzufügen. Eigentlich wollte ich mit weißen Buchstaben auf mein schwarzes T-Shirt drucken: Vladimir Putan. Er ist nämlich eine Schlampe. Das gleiche sage ich natürlich auch über Trump, und speziell über Erdogan. Diese Männer sind - dafür findet man gar keine Worte - sie sind einfach nur klein. Sie sind im Grunde Bakterien.
Sie haben es nicht so mit Political Correctness oder?
Nein, Political Correctness ist langweilig. Seit einiger Zeit darf man bestimmte Sachen ja nicht mehr sagen. Und natürlich muss man vorsichtig sein, mit dem, wie man's sagt, wie man sich verhält. Politische Korrektheit ist trotzdem wirklich langweilig, zumindest für Schriftsteller. Das Schwere ist: Wir müssen wichtige Dinge sagen, aber auf der anderen Seite aufpassen. Vorsichtig und scharf zugleich sein. Wie Marmelade aus Chili - was ein bisschen komisch wäre.
In Georgien haben Sie es jedenfalls geschafft, so etwas wie ein Staatsfeind zu werden. Wie haben Sie das genau angestellt?
Ich habe gekämpft, und zwar seit mehr als zehn Jahren gegen religiöse Verblendung. In meinem Blog, in Artikeln in Zeitschriften und Zeitungen. Ich hatte eine Stimme in Georgien, und ich denke, ich habe sie immer noch.
Der Patriarch hat also Ihre Artikel gelesen ...
Ja, von hier aus gesehen erscheint das merkwürdig. Aber ich war so bekannt, wie, ja, vielleicht wie Dieter Bohlen in Deutschland. Okay, wenigstens wie Thomas Anders.
Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Die georgischen Emotionen. Wir sind eine sehr emotionale Nation. Zum Beispiel wurde ich verprügelt für das, was ich geschrieben habe, das muss man sich erst mal vorstellen. Ich hatte eine Gehirnerschütterung, ich war im Krankenhaus. Diese Leute haben drei Mal versucht, mich umzubringen, mich zu erschießen. Und wenn du nachts nicht mehr aus dem Haus kannst, um Zigaretten zu kaufen, ist das schon schwer. Dann gehst du mit deiner Tochter die Straße entlang und merkst, dass das einfach nicht mehr geht. Diese Menschen haben meine Bücher verbrannt. Präsident Saakaschwili hielt eine Fernsehansprache - über mich. Als wäre ich ein Erdbeben. Die Leute auf der Straße haben mich aufs Übelste beschimpft. Und das alles vermisse ich. Hier in Deutschland, in Berlin ist es so sicher und ruhig. Ich fühle mich wie ein Wolf im Zoo.
In Deutschland werden Sie nicht mehr bedroht?
Nein, nur ein paar Mal von einigen Landsleuten - in den ganzen sechs Jahren, in denen ich hier schon lebe.
Worüber wird Ihr nächstes Buch gehen? Ist die Sache mit Georgien schon abgeschlossen?
Ich kann für nichts garantieren. Sag niemals nie.
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