1 abonnement et 1 abonné(e)
Article

Sprünge im Fels

Training bis zum Erbrechen: Monika Retschy zählt zu den besten deutschen Boulderinnen

München – Nur ihre Zehenspitzen halten Monika Retschy in der Wand. Ihre Arme hat sie seitlich gespreizt, in der Hocke kauernd auf einem schmalen Tritt. Retschy spannt alle Muskeln an, den Blick nach oben, wie eine Katze vor dem Sprung. Aus den Beinen drückt sie sich hoch, hechtet zu dem anvisierten Griff und baumelt in der Luft. Sie hebt ihren Fuß über Kopfhöhe und drückt sich mit dem Knie nach oben. Den letzten Griff hält sie drei Sekunden lang mit beiden Händen, damit hat sie es geschafft, im ersten Anlauf. „Flash“, heißt das, wenn die Sportler nur einen Versuch brauchen, um die Boulderroute zu durchklettern. Damit wird Monika Retschy, 20 Jahre alt, Dritte beim Bouldercup 2012 in München.

„Bouldern ist mein Leben. Ich habe viele andere Sportarten ausprobiert, beim Klettern bin ich geblieben. Wenn man Spaß an der Bewegung hat und koordinativ halbwegs fit ist, geht Bouldern von ganz alleine. Kraft braucht man kaum, es funktioniert nur über Technik.“

Bouldern (von engl. boulder , „Felsblock“) ist eine Disziplin des Sportkletterns. Sie wird ohne Seil und Gurt betrieben, an Felsen oder künstlichen Kletterwänden. Schon in den Siebzigern wurde gebouldert, doch seit einigen Jahren erfährt die Sportart enormen Zulauf. Boulderhallen entstehen, Sportartikelhersteller verkaufen Boulderschuhe und -shirts, es gibt Weltcups und Weltmeisterschaften. Im Gegensatz zum Klettern bleibt man beim Bouldern in Absprunghöhe. Bis zu sieben Meter hoch sind die Wände, Weichbodenmatten federn die Stürze ab. Um anspruchsvolle Routen zu meistern, braucht es oft wilde Verrenkungen, Sprünge und akrobatische Bewegungen.

Monika Retschy klettert und bouldert seit neun Jahren. Heute fängt der Nachwuchs früher an, doch als Retschy mit dem Bouldern begann, war der Sport kaum bekannt. Über den Alpenverein kam sie zum Klettern, als Kind wurde sie in Wettkampfgruppen der Sektion München und Oberland gefördert. Mittlerweile ist sie eine der besten deutschen Frauen, Mitglied im Nationalkader und Weltcup-Teilnehmerin. Zuletzt gewann sie die bayerischen Meisterschaften und wurde auf nationaler Ebene Zweite. Als ihren größten Erfolg nennt Retschy den 13. Platz bei einem Weltcup in Sheffield 2011.

Bevor Monika Retschy an die Wand geht, mustert sie die Route genau. Wie eine Turnerin vor dem Beginn der Übung streckt sie dabei ein Bein nach vorne. Hat sie die Wand erfasst, geht alles ganz schnell. Beherzte Griffe, kraftvolle Tritte, Körperspannung.

„Wettkämpfe sind die Hauptsache für mich, sie machen unglaublich Spaß. Sie sind das Trainingsziel. Für Wettkämpfe werden neue Boulder geschraubt, man lernt neue Bewegungen kennen. Leider sind die Wettkämpfe in der Öffentlichkeit nicht sehr präsent. Es wird kaum berichtet, es gibt keine Live-Übertragungen.“

In diesem Jahr liegt ihr Schwerpunkt auf dem Weltcup, möglichst oft ins Halbfinale zu kommen, ist ihr Ziel. Ein ambitioniertes Ziel, denn die internationale Konkurrenz ist hart. In Deutschland gibt es zwar kaum eine Frau auf ihrem Niveau, doch hier steckt das Bouldern im Vergleich noch in den Kinderschuhen.

2011 hat Monika Retschy ihr Abitur gemacht. Seitdem gönnt sie sich ein Jahr Pause, in dem sie sich nur auf ihren Sport konzentriert. Zwischen zehn und 20 Stunden trainiert sie jetzt pro Woche. Sie klettert vor allem in Münchner Hallen, denn die vielen Wettkämpfe lassen ihr kaum Zeit, raus an den Fels zu gehen. Im Herbst will sie dann anfangen, Sport zu studieren. Zwar hat Retschy Sponsoren und zwar gibt es bei den Wettkämpfen ein kleines Preisgeld, trotzdem ist Bouldern immer noch zu unbekannt, um es in Deutschland zu einem Beruf machen zu können.

„Bouldern ist erst seit einem Jahr im Kommen. Seitdem aber richtig. Ich gehe nur noch vormittags in die Halle, weil es sonst zu voll ist. Man muss anstehen. Grundsätzlich freue ich mich, dass der Sport bekannter wird. Auf den Wettkämpfen ist viel mehr los, die Stimmung ist dann natürlich besser.“

Immer wieder versucht sich Monika Retschy an einem Sprung, immer wieder landet sie auf der Matte. Ihre Hände sind weiß, voller Magnesia. Seit einem Jahr sind die Sprünge bei vielen Wettkämpfen gefragt, sie musste sich erst daran gewöhnen. Bis zum Erbrechen habe sie deshalb trainiert, erzählt Retschy. Im Vergleich zu diesem Jahr wird sie ihr Trainingspensum bald für ihr Studium herunterschrauben müssen. Viele junge Talente sitzen ihr im Nacken, doch noch ist Monika Retschy eine der besten Boulderinnen Deutschlands.

„Ich werde mich nicht vom Bouldern abbringen lassen, weder durch das Studium, noch durch den Beruf. Mit den Wettkämpfen werde ich sicherlich irgendwann aufhören. Wenn ich merke, dass zu viele gute Talente nachkommen, will ich nicht ganz unten in der Platzierung enden. Aber klettern selbst werde ich hoffentlich bis ins hohe Alter."