Die Kinderintensivstation der Universitätsmedizin Mainz feiert am Donnerstag ihr 50-jähriges Jubiläum. Ihre Methoden gelten bis heute als fortschrittlich.
Bis Mitternacht wurde Tim (Name geändert) operiert. Sein Zustand war kritisch. Ob er die Nacht übersteht, war nicht klar. Am nächsten Morgen geht es Tim gut und mit etwas Glück kann er bald nach Hause. 14 Kinder liegen zur Zeit in der Mainzer Kinderklinik, acht auf der Intensivstation, sechs auf der Überwachungsstation. Einige protestieren, einige wollen unterhalten werden, andere schlafen. Manche bleiben ein bis zwei Tage, andere monatelang. Alle werden auf der Kinderstation unterstützt, bis ihre natürlichen Heilungsprozesse greifen.
"Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie haben andere Bedürfnisse und Möglichkeiten", erklärt Oberarzt Ralf Gunter Huth. Das mache Kinderintensivstationen notwendig. In Mainz herrscht daher auch eine kindgerechte Atmosphäre: Meerestiere und Frösche schmücken Flure und Zimmer, es gibt ein Spielzimmer, Musik und Videos für die Kleinen, ein Elternzimmer für die Erwachsenen. Das hat der Vater einer ehemaligen Patienten geschreinert. Als Dank.
"Irene Harth ist die 'Masterin des Desasters', die alles steuert, koordiniert, organisiert. Zusammen sind wir die Fossile der Kinderintensivstation", sagt Huth und schmunzelt. Seit 28 Jahren ist der Oberarzt auf der Kinderintensivstation der Mainzer Unimedizin tätig, Kinderkrankenschwester Harth seit 36 Jahren. Am 1. Oktober 1965 startete die Intensivstation in der "Baracke" ins Leben, dem provisorisch errichteten Vorgänger des heutigen Gebäudes 105. Damals hieß die Station noch "Aufnahmestation" und war eine der fünf ersten Kinderintensivstationen Europas. Ein Arzt, ein Assistenzarzt und zehn Schwestern diagnostizierten und behandelten dort im Tagdienst.
Heute arbeiten neun Ärzte, darunter zwei Oberärzte und 32 Mitarbeiter im Schichtdienst, unterstützt von Geräten, Maschinen, Monitoren. Für Harth und Huth die hilfreichste technische Neuerung der letzten Jahrzehnte: Die transkutane Messung der Sauerstoffsättigung. "Früher mussten wir die Kinder jedes Mal piksen, um den Sauerstoffgehalt im Blut festzustellen, heute können wir diesen per Infrarot von außen messen. Das ist zwar schon 30 Jahre her, aber das fand ich damals toll", erinnert sich Huth. Harth ergänzt: "Es war ein Meilenstein, da weniger invasive Methoden auch die Schmerzbelastung der Kinder senken".
Nicht nur die Behandlungsmethoden haben sich verändert, auch die Patienten. Früher prägten neben Infektionskrankheiten vor allem Unfallopfer das Bild. Dank guter Verkehrserziehung, Helmen und Airbags sei ihre Zahl aber zurückgegangen, resümiert Harth. Heute behandelt das Mainzer Team vor allem Kinder nach schweren Operationen, mit Stoffwechselerkrankungen, angeborenen Herzfehlern - und zur Grillsaison Verbrennungen.
Die Mainzer Kinderintensivstation hat laut Huth gleich zwei Alleinstellungsmerkmale: Sie war die erste in Deutschland - und sie sei die leiseste. "Das ist das größte Kompliment, dass je ein Besucher aussprach. Ruhe ist wichtig für den Heilungsprozess. Und auch, dass man das Licht an die Tageszeit anpasst", erklärt Huth. Harth freut sich: "Wir sind nie dem Trend einer Intensivstation mit einem großen Raum für alle gefolgt. Bei uns gab es schon immer Einzelzimmer, Familienzimmer - und Privatsphäre".
Die Ruhe scheint sich auszuzahlen: Deutschlandweit versterben auf Erwachsenenintensivstationen bis zu 20 Prozent aller Patienten, auf der Mainzer Kinderintensivstation ein Prozent. Darunter schwerste Unfälle und nicht behandelbare Herzfehler. Der Grund: Kinder haben mehr Reserven, um sich zu erholen - wenn man sie mit den richtigen Konzepten begleiten. Das Mainzer Konzept: Nicht invasive Behandlungsmethoden. Statt mit dem Schlauch, werden die Kinder beispielsweise mit einer Maske beatmet, können dadurch besser ernährt werden und brauchen weniger Beruhigungsmittel.
Aber noch etwas ist anders auf der Kinderintensivstation: "Wir begleiten die Kinder und ihre Familien ein Leben lang. Wer als Kind zu uns kommt, kommt auch noch mit 18 oder 30 Jahren her, wenn er Hilfe braucht. Es geht um Vertrauen", sagt Huth.
Harth und Huth wissen, was aus ihren Patienten von früher geworden ist, eine Motivation für beide. Vor Huth auf dem Tisch liegt die Hochzeitsanzeige eines ehemaligen Patienten, der auf seiner Hochzeit Spenden für die Station sammelte. Eine ehemalige Patientin macht gerade eine Ausbildung zur Krankenschwester - in der Mainzer Kinderklinik. Auch Eltern, die ihre Kinder verloren haben, engagieren sich, sprechen mit anderen Betroffenen, gründen Fördervereine.
Probleme gibt es allerdings auch. Zum Beispiel die personelle Unterbesetzung, offene Stellen, geschlossene Betten. Diese gilt es in naher Zukunft zu lösen. Doch der Nachwuchs muss nicht nur finanziert werden, sondern auch Anreize erhalten, um den Pflegeberuf zu ergreifen.
Hinzu kommt: Kindermedizin erhält häufig weniger Aufmerksamkeit als Erwachsenenmedizin - auch finanziell. Ein Grund: Kinder können sich alleine nicht für ihre Anliegen stark machen. Ihnen fehlt ein Sprachrohr. Trotz der gut 500 Patienten, die pro Jahr allein in die Mainzer Kinderintensivstation kommen. Die Mainzer Kinderklinik versorgt jährlich sogar gut 5.000 Patienten.
Stand: 1.10.2015, 10.16 Uhr