Die Exil-Aktivistin Mona Khogali spricht über die nicht endenden Konflikte in ihrer Heimat und die Energie der Frauen und einfachen Leute. Von Linda Peikert.
Seit nun gut sechs Monaten tobt ein brutaler Machtkampf im Sudan. Besonders die Zivilbevölkerung leidet unter dem Krieg und der damit verbundenen Knappheit an allem, was es zum Leben braucht. Mona Khogali ist im Sudan geboren und musste 2013 wegen Repressionen fliehen. Heute arbeitet sie bei der Bildungsstätte Kurve Wustrow im Wendland und ist als Aktivistin in der sudanesischen Diaspora aktiv.
Frau Khogali, wie würden Sie die derzeitige politische Lage im Sudan beschreiben?Die Situation im Sudan ist aktuell sehr kritisch. Das Leben in Karthum steht still. Es gab zwar Bemühungen um eine Waffenruhe, aber auch wenn es Abkommen auf dem Papier gibt, werden sie nicht umgesetzt. Darunter leidet vor allem die Zivilbevölkerung. Jegliche Hoffnung auf ein Kriegsende verliert sich bisher direkt wieder.
Viele Jahren standen das Militär und die Rapid Support Forces Seite an Seite. Warum kämpfen nun diese beiden Parteien gegeneinander?Das stimmt, viele Jahre haben die RSF, also die Rapid Support Forces, das Militär unterstützt und wurden auch vom Militär als Unterstützung anerkannt. Während des Krieges in Darfur haben die RSF für das Militär die Kämpfe vor Ort ausgetragen. Die RSF wurden deshalb auch mit Waffen beliefert. Das Militär wird von Abdel Fattah al-Burhan angeführt, die Rapid Support Forces von Mohammed Hamdan Daglo, auch bekannt als Hemeti. Diese beiden Männer haben viele Jahre zusammengearbeitet. Als 2019 der ehemalige Präsident Al-Baschir gestürzt wurde, hat auch Hemeti beschlossen Al-Baschir nicht mehr zu unterstützen. Al-Burhan ist heute an der Macht, Hemeti kennt ihn eigentlich gut. Man dachte erst, dass das für ihre Interessen von Vorteil wäre. Aber die RSF wurden stärker als das Militär. 2021 kam es zu einem Militärputsch im Sudan. Die zivilen Kräfte haben dadurch wiederum an Einfluss verloren, mit dem Putsch sollten aber auch die RSF geschwächt werden. Es entstand daraufhin eine Rahmenvereinbarung, die besagt, dass zum Einen die RSF in das Militär eingegliedert werden sollten und zum Anderen das Militär neu aufgestellt werden müsste. Die ethnischen Gruppen und Minderheiten sollten auch in den Machtpositionen des Militärs repräsentiert werden. Doch dabei gab es Unstimmigkeiten. Die Wiedereingliederung der RSF in das Militär hätte die Macht von Hemeti und der RSF-Elite geschwächt. Deshalb kam es zu der bewaffneten Auseinandersetzung am 15.April dieses Jahres. Und dieser Machtkampf hält nun an.
Welche Rolle haben Deutschland und die EU in dem Konflikt?Der Karthum-Prozess trat 2014 in Kraft: Es setzten sich Vertreter:innen verschiedener afrikanischer und europäischer Länder an einen Tisch. Für lokale Migrationskontrolle flossen Gelder. Damals war noch der Diktator Al-Baschir an der Macht. Er setzte die RSF zum Grenzschutz ein und es floss viel Geld in die Miliz, obwohl damals schon bekannt war, dass sie schreckliche Gräueltaten in ihren Einsatzgebieten, wie zum Beispiel in Darfur, begangen hatte. Ich finde die Außenpolitik der EU beschämend, dass es zu so einem Abkommen wie dem Karthum-Prozess kommen konnte. Durch die Unterstützung der EU sind die RSF erst an so viel Macht gekommen. Dank der EU-Gelder konnten die RSF auch Personen aus den Nachbarländern rekrutieren. Heute sagen die RSF, sie würden auf der Seite der Zivilbevölkerung stehen. Aber schon während vergangener Aufstände war die Zivilbevölkerung mitunter gegen die Regierung, weil sie der RSF so viel Macht überließ. Also wir - die sudanesische Bevölkerung - wollen unter keinen Umständen, dass die RSF politischen Einfluss haben. Aber Deutschland hat sie finanziell unterstützt und somit gestärkt.
Welche Forderungen haben Sie als sudanesische Aktivistin an die Europäische Union?Im Sudan muss es dringend zum Waffenstillstand kommen, damit Medikamente und Nahrungsmittel bei den Menschen vor Ort ankommen. Außerdem bräuchte es humanitäre Korridore, damit die Menschen fliehen können. Die EU sollte Druck auf die Kriegsparteien ausüben. Sie hat außenpolitisch so viel Macht, auch hier im Sudan. Außerdem bedarf es an humanitärer Hilfe. Der Machtkampf dauert nun schon so lange an und das Leid wird von Tag zu Tag nur schlimmer.
Wie geht es denn der Zivilbevölkerung? Wie geht es Ihren Freund:innen und Ihrer Familie vor Ort?Vielen meiner Kontakte ist es inzwischen gelungen, aus Karthum zu fliehen. Einige stecken allerdings fest. Viele von denen, die noch in Karthum oder in Darfur sind, können die anstrengende Flucht nicht auf sich nehmen. Freunde von mir haben zum Beispiel einen pflegebedürftigen Vater. Er ist bettlägerig. Sie müssten ihn den ganzen Weg tragen. Jetzt kommt noch dazu, dass gerade der Herbst im Sudan beginnt. Im Herbst füllen sich Flussbette, die ansonsten als Straßen genutzt werden. Das wird die Flucht noch weiter erschweren. Wenn es jetzt keine humanitären Korridore für die, die noch dort sind, geben wird, werden sie die nächsten ein bis zwei Monate keine Chance haben, die Region zu verlassen. Währenddessen gehen die Vorräte zur Neige. Ich habe jüngst von Leuten aus Karthum gehört, dass ihre Vorräte noch maximal eine Woche reichen. Medikamente wurden bereits zum Luxusgut. In Al-Dschunaina sind zum Beispiel allein an einem Tag 250 Dialysepatienten gestorben. Es gab keine Geräte, kein Strom und keine Möglichkeit, die nötigen Medikamente zu liefern. Ich glaube, durch die ausbleibende Versorgung wird sich die Lage der Menschen in den nächsten Monaten noch viel weiter verschlimmern.
Gibt es denn Strukturen innerhalb der Zivilgesellschaft, um dieser humanitären Katastrophe etwas entgegenzusetzen?2019 während der Revolution haben sich Nachbarschaftskomitees im Sudan gebildet. Da waren schon immer viele Frauen engagiert und haben sich für die Zivilbevölkerung eingesetzt. Diese Nachbarschaftskomitees haben sich inzwischen flächendeckend vernetzt. Sie sind sehr gut strukturiert: Sie sind in verschiedenen Untergruppen organisiert. Das kann man sich inzwischen wie eine Art „Sub-Regierung" vorstellen. Sie kümmern sich darum, dass Hilfsgüter ankommen. Es gibt Leute, die heute als Feuerwehr oder Rettungssanitäter arbeiten, obwohl sie gar nicht dafür ausgebildet sind. Sie evakuieren Verletzte und Leichen, helfen Frauen bei der Entbindung. Es wird Saatgut in die abgeschnittene Region Darfur gebracht, so dass die Landwirtschaft aufrechterhalten werden kann. In Chats wird sich ausgetauscht, was gebraucht wird und wo es gerade welche Notlage gibt. Man muss bedenken, dass es im Sudan schon lange Krieg und Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien gibt. Trotzdem schafft es die Zivilbevölkerung nun, gut organisiert zusammenzuarbeiten. Ich habe großen Respekt vor diesen Aktivist:innen, denn sie begeben sich bei ihrer Arbeit oft in große Gefahr. Viele sind bereits gestorben. Die Menschen, die dort diese Arbeit machen, sind die wahren Helden. Die internationaler Hilfsorganisationen haben ihre Leute längst alle evakuiert.
Da Sie die aktiven Frauen in den Komitees ansprechen: Wie geht es denen heute?Die Frauen sind im Krieg immer die, die am meisten leiden. Aber die Frauen sind gerade auch die, die viel unterwegs sind, Transportfahrten machen, Menschen aus ihren zerbombten Häusern evakuieren und auf die Straßen gehen, um sich für Frieden einzusetzen. Die Frauen aus Darfur sind zum Beispiel sehr aktiv im Bereich Friedensgespräche: Sie üben Druck auf die Stammesältesten aus, die wiederum Einfluss auf die lokalen Offiziere haben. Die Frauen können somit weitere lokale Eskalationen vermeiden.
Sehen Sie denn Hoffnung auf ein Ende des Krieges?Wenn die beiden Kriegsparteien den Konflikt weiterhin unter sich ausmachen - eher nicht. Das Militär erhält Unterstützung aus Saudi-Arabien und Ägypten, die RSF aus Russland. Die einflussreichen Mächte im Hintergrund müssten Druck auf die lokalen Kräfte ausüben, dass es zu einem Waffenstillstand kommt.
Interview: Linda Peikert