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Doku „Die Morde des Niels Högel": Sie fühlen sich von RTL hintergangen

Ob in Podcasts, Dokumentationen oder in Magazinform - die Gattung „True Crime" erlebt einen Boom. Die vierteilige Serie „Der Todespfleger - Die Morde des Niels Högel" folgt diesem Trend. Sie läuft seit diesem Montag auf dem RTL-Streamingdienst TVNow. Die erste Folge beginnt mit Worten des Täters: Niels Högel wird, telefonisch aus der Justizvollzugsanstalt Oldenburg, interviewt. Högel sitzt eine lebenslange Haftstrafe ab. Der Krankenpfleger hat bis 2005 mindestens 91 Patienten in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst getötet. Er gilt als einer der größten Serienmörder Deutschlands. Jetzt hagelt es Kritik an der RTL-Dokumentation. Sie hängt mit der Frage zusammen, wie weit „True Crime" gehen darf.

„Es ist nicht hinnehmbar, dass so ein Mann auf diese Weise medial in den Mittelpunkt gestellt wird. Noch heute leiden viele Menschen unter Högels Taten, und selbst Gerichte befassen sich noch damit", sagt Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, dem Evangelischen Pressedienst epd. Auch Johann Kühme, Präsident der Polizeidirektion Oldenburg, übt in der Neuen Osnabrücker Zeitung Kritik: „Sein Motiv war die Geltungssucht, und jetzt darf er sich schon wieder als wichtig empfinden. Es wird sogar mit ihm geworben." Es war geplant, dass die Doku-Reihe auch Beiträge der Polizei zeigt. Kühme habe diese jedoch entfernen lassen, weil vertraglich geregelt war, dass Niels Högel nicht in Erscheinung träte.

Weitere Interviewpartner fühlen sich von RTL hintergangen, wie Karsten Krogmann vom Opferschutzverein Weißer Ring. Er verfolgt den Fall Högel seit vielen Jahren, am Erscheinungstag der RTL-Doku wurde sein Buch unter demselben Titel „Der Todespfleger" veröffentlicht. „Vor der Zusammenarbeit sicherte ich mich mündlich ab, dass Niels Högel nicht zu Wort kommen wird. Das war meine Bedingung", sagt Krogmann am Telefon. Später habe man ihn um sein Einverständnis gefragt, ob Ausschnitte von einem älteren, bereits gesendeten Interview mit Högel gezeigt werden dürfen. Ein eigenes Interview mit dem Täter sei nicht erwähnt worden. Das deckt sich mit einer Aussage von Matthias Corssen in der Süddeutschen Zeitung, der in der Doku-Reihe als Opfer zu Wort kommt. „Ich habe der Filmfirma gesagt: Wenn Högel vorkommt, dann bin ich nicht dabei. Das hat man mir zugesichert", sagt Corssen. Als sein Interview abgedreht war, hieß es, Högel sei nun doch dabei, aber nur telefonisch. „Das machte mich sprachlos", sagt Corssen. In einer Stellungnahme dementiert RTL das: Alle Interviewpartner seien vorab über die O-Töne Högels informiert wurden.

Immer wieder kommt Niels Högel in den vier Folgen zu Wort, spricht über seine Kindheit, seine Trennung, über Schuldgefühle und seine Motive. Dramatische Musik oder ruhige Pianoklänge untermalen seine Aussagen. Sie werden im Nach- hinein meist eingeordnet. Es sprechen Psychiater, Journalisten, Angehörige von Opfern, ehemalige Mitarbeiter und Freunde, sein Vater.

RTL rechtfertigt den Umstand, dass Högel in der Sendung zu Wort kommt, mit „Gründen der journalistischen Ausgewogenheit". In der letzten Folge fragt der Doku-Autor Kimmo Wiemann den Philosophen und Medienethiker Matthias Rath, ob man einen Serienmörder öffentlich sprechen lassen dürfe. Rath bejaht die Frage. Auch Täter seien schließlich Menschen und hätten ein Recht, sich mitzuteilen - somit auch Niels Högel. In dieser Frage sind sich Opferschutzverbände, die Polizei und RTL uneins.

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