Fragen Sie eine Person nach dem 11. September 2001, so wird sie ihnen Ort und Umstände, an denen sie die Nachricht von den schrecklichen Terroranschlägen erreichte, mit großer Wahrscheinlichkeit ziemlich detailliert beschreiben können. Und mit ähnlich großer Wahrscheinlichkeit wird sich diese Person an den 10. September 2001 nicht mehr erinnern. Solche Beispiele machen jedem deutlich, wie eng Gefühle und Gedächtnis bei uns Menschen miteinander verbunden sind.
Einer der ersten, der diesen Zusammenhang auch neurowissenschaftlich unter die Lupe genommen hat, war Larry Cahill vom Center for Neurobiology and Learning an der University of California in Irvine. Bereits 1996 bat der Psychobiologe eine Gruppe von Probanden, sich jeweils zwölf neutrale und zwölf emotional aufwühlende Filmszenen anzusehen. Mittels Positronen-Emissions-Tomographie untersuchte der Forscher währenddessen deren Gehirnaktivitäten. Drei Wochen später sollten sich die Versuchsteilnehmer dann wieder an die Sequenzen erinnern. Wie Cahill vermutet hatte, reagierte das Gehirn schon beim Betrachten der Filmszenen stärker auf die emotional erregenden Filme als auf bei den neutralen. Besonders aktiv war die Amygdala, ein Teil des limbischen Systems, der unter anderem für die emotionale Bewertung von Reizen und die Verknüpfung von Ereignissen mit Emotionen zuständig ist. Je stärker die Amygdala beim Betrachten der emotional aufwühlenden Filmszenen aktiviert war, desto besser konnten die Probanden diese Filmszenen drei Wochen später erinnern. Bei neutralen Filmszenen hingegen fand sich dieser Zusammenhang nicht.
Die Amygdala steht in Verbindung mit dem Hippocampus, der auch als "Wächter der Erinnerung" bezeichnet wird. Diese Hirnregion spielt bei Überführung von Inhalten aus dem Kurz- ins Langzeitgedächtnis die entscheidende Rolle. Emotionen und Gedächtnis stehen also auch auf Hirnebene in Zusammenhang. Wie eng diese Verbindung ist, zeigt sich auch daran, dass Menschen mit Schädigungen der Amygdala oft unter einem schlechten Emotionsgedächtnis leiden (siehe Info-Kasten).
Noradrenalin hilft beim Erinnern"Ohne Gefühle gibt es keine Erinnerung", sagt der Psychologe Hans J. Markowitsch von der Universität Bielefeld. Wird ein Reiz vom "Gefühlszentrum" im limbischen System als besonders positiv oder negativ bewertet, was beim ersten Kuss sicherlich beides der Fall sein kann, werden vermehrt Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin oder Noradrenalin freigesetzt. Diese Neurotransmitter beeinflussen die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen. Über welche Mechanismen der Botenstoff Noradrenalin auf die Gedächtnisbildung einwirkt, hat der US-amerikanische Neurobiologe Robert Malinow kürzlich beschrieben.
Der an der University of California tätige Malinow setzte Mäuse dem Geruch von Fuchs-Urin aus, um so die Ausschüttung des Stresshormons Noradrenalin auszulösen. Als er die Gehirne der von einem potenziellen Feind geängstigten Mäuse näher untersuchte, stellte der Neurobiologe eine größere Anzahl von so genannten GluR1-Rezeptoren an den Nervenzellendigungen (Synapsen) der Neurone im Hippocampus fest. Noradrenalin bindet an diese Rezeptoren und bewirkt dadurch eine Veränderung der Zellaktivität. Auf diese Weise werden bereits vorhandene Nervenzellverbindungen gestärkt und neue Synapsen gebildet - was als zentraler Mechanismus der Gedächtnisbildung gilt. Anders formuliert: Je mehr GluR1-Rezeptoren in einer Zellmembran vorhanden sind, desto besser können die Zellen miteinander kommunizieren, das heißt Signale übertragen - und ein bestimmtes Aktivitätsmuster langfristig speichern.
Dies gelte allerdings nur für einmalige Stresssituationen, betont Hans J. Markowitsch. Bei chronischem negativen Stress sterben langfristig Nervenzellen im Hippocampus ab. Besser ist also, über die an positiven Emotionen beteiligten Botenstoffe wie Dopamin und Serotonin das Erinnerungsvermögen zu stärken. Sie können bei einem Lob ausgeschüttet werden, das nicht nur die Motivation fördert, sondern eben auch den für die dauerhafte Gedächtnisbildung so zentralen Aus- und Umbau der synaptischen Verbindungen zwischen Nervenzellen.
Gefühle und Emotionen sind also ein maßgeblicher Indikator dafür, ob Ereignisse langfristig speichernswert sind oder nicht. Sie helfen uns dabei, die unzähligen Reize und Informationen, die täglich auf uns einströmen, nach ihrer Relevanz zu sortieren. Und machen so das Leben nicht nur leichter, sondern auch lebenswerter. Vor allem an emotional positiv verknüpfte Erlebnisse denkt man schließlich gerne immer mal wieder zurück und hält damit diese wichtigen Erinnerungen wach. Auch wenn das Bild aus dem Gedächtnis dabei nicht immer den Tatsachen entspricht (siehe Info-Kasten).