GARRY KASPAROV: Verlieren fühlt sich natürlich schlecht an. Aber wenn man verliert, kommt es darauf an, was man daraus lernt - ob man sich vernichtet fühlt oder nach neuen Möglichkeiten schaut. Die Niederlage gegen Deep Blue hat mir die Augen geöffnet und gezeigt, dass in der Zukunft Menschen nicht gegen Maschinen kämpfen, sondern mit ihnen zusammenarbeiten sollten. Und sie zeigte mir, dass Schach ein gutes Laboratorium für diese Zusammenarbeit sein kann.
Künstliche Intelligenz ist eine revolutionäre Technologie, die unsere Welt dramatisch verändern wird. Grundsätzlich wird KI zeigen, dass viele Angestelltenberufe von Maschinen sehr viel effizienter erledigt werden können - und weil wir nicht mit Maschinen konkurrieren können, glaube ich, dass KI uns zwingen wird, kreativer zu werden. Zudem wird KI die gesellschaftlichen Beziehungen verändern. Das Einsetzen von Maschinen führt in der Regel dazu, dass die Kosten gesenkt werden, sodass mehr Menschen ein Produkt erwerben können. Für Tausende verloren gegangene Jobs in den USA, können also vielleicht Millionen von Leben in Asien oder Afrika gerettet werden.
Wie gesagt: KI ist revolutionär. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Wenn wir KI als Beitrag zu unserem Menschsein verstehen, werden wir gewinnen. Dann wird es viel mehr auf der positiven Seite geben. Aber natürlich wird es auch Menschen geben, die sich an den Konsequenzen stören - so wie das schon vorher bei der Landwirtschaft und der industriellen Produktion war. Dieser Kreislauf ist diesmal nicht anders. Der einzige Unterschied ist, dass die Menschen, die heute betroffen sind, Twitter-Accounts haben, deshalb gibt es mehr Aufregung. Aber aus einer historischen Perspektive erleben wir eine Umwälzung, die es auch schon zuvor gab.
Das Problem mit jedem Hype ist, dass es eine Diskrepanz zwischen der Realität und den gesellschaftlichen Erwartungen und Ängsten gibt. Die heutige KI-Debatte wird von einem Schwarz-Weiß-Denken dominiert. Eine kleinere Gruppe spricht darüber, dass KI die Welt retten wird, eine größere Gruppe spricht über das Ende der Welt. Wir müssen damit aufhören, solche religiösen Begriffe zu verwenden und stattdessen anfangen, ernsthaft über diese von Menschen erfundene Technologie zu sprechen. Ob es einem gefällt oder nicht, KI passiert jetzt, ist in Bewegung. Also sollten wir darüber sprechen, wie wir unser Business dem anpassen können. Wenn es um Technologie geht, gibt es kein Gut oder Schlecht. Es geht darum, wie wir sie einsetzen. Also sollten wir darüber nachdenken, wie wir KI so einsetzen können, dass es für die Mehrheit der Gesellschaft Vorteile bringt.
Wo liegen die Grenzen der Künstlichen Intelligenz?
Künstliche Intelligenz ist nicht imstande kreativ zu sein. Kreativität erfordert die Fähigkeit Fehler zu machen. Kreativität bedeutet nicht nur etwas Neues anzufangen, sondern etwas Neues anzufangen, ohne das Ergebnis zu kennen. Maschinen würden niemals etwas anfangen, dass keinen Erfolg verspricht. Sie funktionieren anders. Ich denke, deshalb wird es immer einen Raum geben, der nur von den Menschen besetzt werden kann.
Im Vergleich zu den USA und China hängt Europa beim Thema Künstliche Intelligenz hinterher. Woran liegt das?
In vielen europäischen Ländern passiert einfach wenig – abgesehen vom Vereinigten Königreich. Ich glaube, einer der Gründe hierfür ist, dass die Menschen in Europa nicht gern Risiken eingehen. Die Öffentlichkeit wünscht sich bloß keine drastischen Schritte und bewertet als etwas Schlechtes. Künstliche Intelligenz bringt aber Ungewissheit. Sie könnte die Gewinne zum Positiven verändern – der Preis, den man hierfür zahlen muss, ist allerdings diese Ungewissheit. Und die europäischen Unternehmen wollen lieber Vorhersagbarkeit statt Produktivität. So schafft man aber keine Innovationen.
Wo steht Russland?
Nirgendwo. Wenn es um Künstliche Intelligenz geht, ist Russland irrelevant. Anders als China, das einen Plan hat und massiv in KI investiert, geht es in Russland immer um den sofortigen Gewinn. Jedes offizielle Programm, das Technologien fördern soll, endet damit, dass Putins Kumpanen das vorgesehene Geld kassieren.
Sie setzen sich für Schachunterricht in der Schule ein. Warum?
Natürlich ist Schach nicht für die Lösung für alle unsere Probleme. Aber wir müssen einsehen, dass unser aktuelles Bildungssystem nutzlos ist. Denn wenn wir Bildung als ein wichtiges Element für die Zukunft unserer Kinder begreifen, dann sollte sie ihnen dabei helfen einen Job zu finden. Die Idee unseres aktuellen Bildungssystems wurde aber vor einhundert Jahren entwickelt. Es ging primär darum, den Kindern beizubringen, was ist. Heute ist es an der Zeit Ihnen beizubringen, wie etwas funktioniert. Es geht um die Anwendung. Schach könnte da sehr hilfreich sein, denn dabei geht es darum, Muster zu erkennen. Es könnte ihnen beibringen, wie man sich vorbereitet und sein Wissen kreativ anwendet.
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