FrankfurtAuf den ersten Blick ist in Frankfurt ein gewöhnlicher, ruhiger Sonntag im Spätsommer. Um den Eurotower, ehemals Sitz der Europäischen Zentralbank, und die Alte Oper schlendern Touristen. In den Grünanlagen unweit der Bankentürme führen die Einwohner ihre Hunde aus. Wollen die Frankfurter jedoch ins unmittelbar angrenzende Westend spazieren, müssen Polizisten ihnen den Durchgang verwehren. In dem wohlhabenden Stadtteil findet die größte Evakuierungsaktion der deutschen Nachkriegsgeschichte statt.
Mehr als 60.000 Menschen mussten ihre Wohnungen am Sonntagmorgen verlassen. Denn nahe dem Campus der Goethe-Uni stießen Bauarbeiter Mitte der Woche auf eine britische Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Fall, der in deutschen Städten häufig vorkommt. Doch die Luftmine mit einem Gewicht von 1,8 Tonnen könnte immer noch einen riesigen Schaden anrichten. Deshalb sperrte die Polizei die Fundstelle in einem Umkreis von 1,5 Kilometern.
Betroffen sind neben dem Uni-Campus unter anderem zwei Krankenhäuser, in einem davon befindet sich die größte Säuglingsstation Hessens. Wer gerade an diesem Septembertag einen Geburtstermin hat, musste auf ein anderes Krankenhaus ausweichen. Insgesamt wurden hunderte Patienten aus dem Sperrgebiet gebracht, ebenso wie die Bewohner von ganzen 20 Altenheimen. Die Goldbarren in der ebenfalls betroffenen Zentrale der Bundesbank dürfen hingegen an ihrem Platz bleiben.
Auch die Bundespolizei wacht an diesem Tag über die deutschen Goldreserven - um so etwa einem spektakulären Verbrecher-Coup keinen Vorschub zu leisten. Die rund 1.700 Tonnen Goldbarren seien „so sicher wie an jedem anderen Tag", sagte ein Zentralbank-Sprecher in dieser Woche. Der deutsche Goldschatz ist insgesamt 120 Milliarden Euro wert. In Frankfurt lagert derzeit die Hälfte der Reserven. Wer aber nicht gerade aus Gold oder ein Polizist ist, muss das Gebiet verlassen. Das überprüfen Motorradstaffeln, die durch das menschenleere Westend fahren. Auch ein Hubschrauber sollte eingesetzt werden.
„Einige meiner Bekannten aus der Nachbarschaft sind heute Morgen aber in ihrer Wohnung geblieben", sagt Charlotte Blair. Die Rentnerin musste ihre Wohnung im Sperrgebiet bis 8 Uhr verlassen. Nun hat sie sich eine Zeitung gekauft und geht spazieren. Später sei sie mit Freunden zum Essen verabredet - wie an einem ganz normalen Sonntag. Der Bomben-Entschärfung blickt die Frankfurterin jedoch auch mit einem mulmigen Gefühl entgegen. Während des Zweiten Weltkriegs erlebte die 77-Jährige die Luftangriffe auf ihre Heimatstadt. „Diese Erinnerungen habe ich bis heute. Wenn dann so ein Blindgänger gefunden wird, kommt alles wieder hoch", erzählt Blair.
Ein Vertreter der Generationen ohne Kriegserfahrung sieht der Entschärfung deutlich entspannter entgegen. „Solche Einsätze sind ja eigentlich Routine", sagt Marco Schmerbeck. Auch der 33-Jährige musste sein Haus am Morgen verlassen. Nun schlägt der Unternehmensberater in der Innenstadt noch etwas Zeit tot, später will er Verwandte besuchen. „Ich glaube nicht, dass etwas schiefgeht. Von einer größeren missglückten Entschärfung in Deutschland habe ich noch nichts gehört", sagt Schmerbeck.
Und tatsächlich scheint auch diese besonders große Aktion unter einem guten Stern zu stehen. Denn erst am Samstag entschärfte der Kampfmittelräumdienst einen Weltkriegs-Blindgänger in Koblenz - ohne Probleme. In der rheinland-pfälzischen Stadt hatten rund 21.000 Menschen ihre Wohnungen sicherheitshalber verlassen müssen.
In puncto Schadensregulierung müssten sich Haus- und Autobesitzer im unwahrscheinlichen Fall der Fälle übrigens keine großen Sorgen machen. Schäden durch explodierte Blindgänger würden in der Regel durch die Hausratversicherung abgedeckt, so der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Schäden an geparkten Autos würde die Teilkaskoversicherung übernehmen.