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Der Blues des weißen Mannes

Rainer Zellner will Bluegrass populärer machen

Der Blues des weißen Mannes

Rainer Zellner kämpft seit 40 Jahren dafür, die amerikanische Musikrichtung Bluegrass in Deutschland bekannter zu machen. Am morgigen Donnerstag treten er und drei Bluegrass-Bands aus den USA im Reutlinger franz. K auf. Zu dem Club hat Zellner eine besondere Beziehung.

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Tübingen. Ohne das amerikanische Militär wäre Rainer Zellners Leben anders verlaufen. Mit 15 bat er seinen Vater, ihm Langspielplatten aus der Bibliothek der US-Soldaten mitzubringen - der Vater arbeitete als Zivilbediensteter auf der Airbase bei Frankfurt. Folk-Musik hatte sich der Sohn gewünscht, „mit Folk hat schon Bob Dylan angefangen." Doch der Vater brachte Bluegrass mit nach Hause - eine Musik, die auch der „Blues des weißen Mannes" genannt wird.

Bluegrass-Fan Rainer Zellner hat auch ein Lehrbuch über Mandoline-Spielen veröffentlicht.Bild: Haas

Heute ist Rainer Zellner 60, seit 1991 lebt er in Unterjesingen. Die europäische Bluegrass-Vereinigung hat ihn nun zur „Persönlichkeit des Jahres" gewählt. „Aus solchen Posten mache ich mir aber nichts," sagt er. Drei Wochen werden Zellner und seine fünfzehnköpfige Mannschaft in einem Bus durch Deutschland touren. Mit an Bord sind seine Frau Ille, die für Tour-Management und CD-Verkauf zuständig ist, und drei Bluegrass-Gruppen. Die Tour heißt „Bluegrass Jamboree" und geht dieses Jahr in die siebte Runde.

Künstler als Albtraum der Veranstalter

Bluegrass wurde das erste Mal in den Vierzigern gespielt, in den Bergen Kentuckys, wo das Gras einen bläulichen Schimmer haben soll - daher der Name. „Aber die Wurzeln von Bluegrass liegen im 16. Jahrhundert, als europäische Siedler nach Nordamerika kamen," erklärt Zellner. „Ihre Balladen gekreuzt mit afroamerikanischen Einflüssen und mehrstimmigem Kirchengesang ergeben Bluegrass." Zu einem Bluegrass-Ensemble gehören Gitarre, Banjo, Bass, Geige, Mandoline und eine „Dobro" genannte, besonders lange Gitarre. Dazu wird meist dreistimmig gesungen. Die Musik ist immer akustisch, nie elektronisch. „Von Hand gemacht", so Zellner.

Einen starken Einfluss hatte nicht nur der Blues, sondern auch der Soul. „Ray Charles' erstes Album war Bluegrass." Zellner ist stolz, wenn er solche Sätze sagt. Ihn ärgert, dass viele Menschen wenig offen für diese Musikrichtung sind. „Gerade bei den Älteren sind oft Anti-Amerika-Ressentiments schuld. Viele denken, Bluegrass hätte etwas mit patriotischer, billiger Saloon-Musik zu tun." Bluegrass-Lieder existieren fast ausschließlich in englischer Sprache. Zellner hat allerdings früher deutsche Texte geschrieben: „Die waren sehr politisch und vor allem gegen die Atomkraft gerichtet."

Am Bluegrass schätzt Zellner, „dass er sich trotz seiner langen Tradition ständig neu erfindet". Gerade hat er eine Anfrage einer US-Gruppe erhalten, die Bluegrass mit Rap kombiniert, „Gangster Grass" nennen sie sich. Zellner will sie im Programm eines Festivals unterbringen. Er hört alles, „bis auf Death Metal". Eigentlich wollte er selbst Musiker werden. Mit 13 brachte er sich das Gitarrespielen bei, mit 20 Mandoline. Unterricht gegeben hat er in beiden Instrumenten. Das einzige in Deutschland erhältliche Lehrbuch fürs Mandolinespielen hat der Unterjesinger geschrieben.

Studiert hat er Sozialarbeit: „Das war damals cool." Mehrere Jahre fuhr er in den Semesterferien mit Freunden in die französischen Pyrenäen. „Der Campingplatz, auf dem wir wohnten, gehörte einem Polizisten. Kaum ein Urlauber hatte Geld - 80 Prozent der Gäste bezahlten mit Bildern statt mit Geld." Nicht so Zellner mit seiner Gruppe: Sie verdienten Geld mit Auftritten in Fußgängerzonen. „Die Franzosen waren vom Bluegrass begeistert."

Nach dem Studium betreute Zellner Drogenabhängige in einer Wohneinrichtung. „Recht schnell empfand ich den Job als sinnlos. Ich merkte, dass ich die Welt nicht ändern kann. Und meine Musik blieb auf der Strecke." Er kündigte und ging für ein paar Jahre regelmäßig mit einer Gruppe auf Tour. Erfüllt hat ihn auch das nicht. „Acht Stunden Bus fahren stand in keinem Verhältnis zu den halbstündigen Auftritten am Abend."

Dann gründete er eine Musik-Agentur, die 2017 30-jähriges Bestehen feiert. Als Manager vermittelt Zellner zwischen Künstlern und Veranstaltern. „Künstler sind der Albtraum eines jeden Veranstalters. Unzuverlässig und ohne Geschäftssinn."

Zwischendrin versucht er immer wieder, Zeit für seine eigene Musik zu finden. Kürzlich trat er mit seinem Freund, dem Gitarrenbauer Rudi Blazer, im Tübinger Sudhaus vor Flüchtlingen auf. „Eifrig haben die mitgeklatscht." Am Donnerstag, 26. November, 20 Uhr, ist Zellner erneut auf der Bühne erleben. Beim „Bluegrass Jamboree" in Reutlingen spielt er am Ende gemeinsam mit den Profi-Musikern. Auf die Station im franz. K freut er sich besonders: „Hier gastierte dieses Festival vor sechs Jahren zum ersten Mal."

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