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Unerschöpfliches Ehrenamt

Viele ehrenamtliche Helfer*innen engagieren sich für Geflüchtete. Wo ihre Belastungsgrenze liegt, beschäftigt mittlerweile auch die Wissenschaft

"Wenn wir im Sommer 2015 nicht hier gewesen wären, wären definitiv Menschen gestorben", meint Christiane Beckmann. Sie ist Koordinatorin der Ehrenamtlichen und PR-Beauftragte der Initiative Moabit hilft, die sich im September 2013 im Berliner Stadtteil Moabit gegründet hat. Seit August 2015 übernehmen sie an der Erstaufnahme des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) die humanitäre Erstversorgung. Außerdem initiiert die Organisation Projekte für Geflüchtete wie Deutschunterricht oder Kinderbetreuung.

Allein in Berlin verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 2015 über 33.000 Asylerstanträge. Dementsprechend hoch ist der Bedarf an Hilfe und Versorung. "Letztendlich beginnt Ehrenamt dort, wo die Politik im sozialen Sektor versagt", sagt Christiane Beckmann. Offizielle Stellen wie Senatsverwaltung und Behörden täten auf humanitärer Ebene zu wenig, um Geflüchteten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das sieht Claudia Schulte, Ehrenamtliche der Berliner Initiative Kreuzberg hilft, genauso: "Aber nichts tun, ist keine Option", stellt sie klar. Man habe das Gefühl, von staatlichen Stellen ausgenutzt zu werden.

Wenn die Politik versagt

"Der Entschluss, sich ehrenamtlich für Geflüchtete zu engagieren, wurzelt oft in dem Willen, Menschen in Not helfen zu wollen", erklärt Dr. Serhan Karakayali. Der Integrations- und Migrationsforscher an der Humboldt-Universität zu Berlin untersucht die Strukturen und Motive ehrenamtlicher Flüchtlingsarbeit. Meist bereit diese Aufopferungsbereitschaft aber auch den Nährboden für Erschöpfung und Überforderung - zeitlich, körperlich und seelisch.

"Wir haben alles gesehen: Unbehandelte Schusswunden, Diabetiker ohne Insulin, Dialysepatienten", sagt Beckmann, "ganz abgesehen von den vielen schwangeren Frauen, die auf der Flucht ihre Kinder verloren haben." Das Erlebte nehmen die Ehrenamtlichen mit nach Hause, berichtet die 50-jährige, die hauptberuflich in der freien Wirtschaft tätig ist: "Als die Belastung extrem war, schlief ich sehr schlecht. Wenn ich nachts aufwachte und es regnete, dachte ich als erstes an die tausenden Menschen, die in diesem Moment schutzlos vor dem LAGeSo saßen".

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- weiter auf S. 26